KINDERBUCH-BLOCK 7   Teil 61-70

Kinderbuchblock Nummer:
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61 - Sonntag, 28. Juni 2009
Morgen habe ich noch einen Lesungsvormittag, ab dann strahlt mein Kalender mich fast leer an. Zumindest für zwei Monate. Den Juli und den August halte ich weitgehend terminfrei, damit ich ganz intensiv am Theaterstück und am Prinz Ferdinand König Buch schreiben kann. Parallel dazu schneide ich endlich die letzten Videos fertig, die ebenfalls dringend auf ihre Abgabe warten. Ansonsten ist NICHTS.

Eigentlich wäre jetzt Zeit, dass ich in meinen jährlichen “Sommerurlaub” fahre. Wohin ich fahre, ist dabei egal, wichtig ist, dass der Ort - und damit auch ich - schwer zu erreichen sind. Wenn ich offiziell in Urlaub bin, kann ich keine Termine und Arbeitsaufträge annehmen und habe viel Ruhe für meine eigene Arbeit. Offiziell also mit Rucksack auf den Galapagosinseln unterwegs, inoffiziell mit Zeichensachen im Garten. In diesem Jahr merke ich allerdings, dass ich gar keinen Urlaubsort brauche, an den ich flüchte. Weder Galapagosinseln, noch Nordeifel. Ich habe den Juli und den August so fest für mich reserviert, dass ich andere Sachen sehr konsequent ablehnen und auf die Zeit danach verschieben kann.

Bei Prinz Ferdinand König geht es textlich auf das Ende der Geschichte zu und ich werde bald sehen, wie lang sie ist und wo ich Bilder einbinden kann. Die Bilder mit ihrem sensationellen Bildkonzept werden mir sicher noch Kopfzerbrechen bereiten. Ich habe immer noch keine Ahnung ob das, was ich mir vorstelle, überhaupt zu machen ist. Warum will ich es unbedingt so kompliziert haben? Als kühl rechnende Verlagsleiterin müsste ich ein so aufwändiges Konzept gleich bei der ersten Besprechung vom Tisch fegen, aber die Illustratorin ist so begeistert, dass sie nicht zu stoppen ist. Aber schon jetzt ist klar, dass genau diese Illustratorin im Sommer jammern wird, warum sie sich auf so viel Arbeit eingelassen hat.



62 - Sonntag, 5. Juli 2009
In den beiden nächsten Monaten mache ich Sommerpause und keine Lesung, kaufe mir aber trotzdem jetzt einen knallroten Hartschalenkoffer für die nächsten Termine. Das aber nur, weil mein bisheriger Koffer bei einer der letzten Lesungen kaputt gegangen ist, was blöd ist, weil es auch mein privater Ferien-Reise-Koffer war. Aber jetzt ist es sowieso Zeit für einen eigenen Lesungs-Koffer, finde ich. Inzwischen habe ich 94 Lesungen gemacht und es gibt immer mehr Anfragen. Fast immer auf eine Empfehlung hin, was für die Qualität meiner Arbeit spricht. Da habe ich allerdings auch selber hohe Ansprüche.

Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre eine langweilige Vorlesestunde, in der monoton ein Text runtergelesen wird. Damit bekäme man dann auch die Kinder vom Buch weg, die sowieso nicht viel lesen wollen. Mein Ziel ist es, den Kindern eine spannende Vorstellung zu geben, in der sie eine Geschichte hören, etwas übers Bücherschreiben und  Illustrieren erfahren und viel Motivation für ihre eigenen Ideen bekommen.

Dass ich schon im ersten Schuljahr freiwillig mit kleinen Buntstiftzeichnungen meine Schreib-Hausaufgaben ergänzt habe, was ich mit einem alten Schulheft demonstrieren kann, beeindruckt die Kinder ziemlich. Da bekommen sie auf einmal den Gedanken, dass sie später auch mal selber Bücher schreiben könnten.


Die häufigsten Fragen in der Fragerunde sind übrigens: “Macht dir das Spaß?”, “Bekomme ich ein Buch geschenkt?” und “Wieviel Geld verdienst du?” Witzigste Fragen bisher: “Hast du die Bilder vorher bei Goggel kopiert und dann abgemalt?” (Die Aussprache war wirklich: Goggel), “Gibt es auch Bettwäsche von der kleinen Giraffe” und “Hast du dazu auch ein Computerspiel?”

Bei Prinz Ferdinand König steht der Schluß fest, aber ich weiß noch nicht, wie ich dahin komme. Die Geschichte fängt ruhig an, momentan ist gerade alles völlig durcheinander und jetzt muss es sich zu einem friedlichen Ende auflösen. Ich könnte ausführlich über fünf Seiten beschreiben, wer am Ende was tut, was für ihn Glück bedeutet und was er in der Zukunft machen will, aber das ist mir zu langweilig. Wenn ich da beim Beschreiben schon einschlafe, wird das im fertigen Buch nicht spannend werden. Es muss ein großes Finale geben, in dem sich alle auf der Bühne nochmal treffen. Und die Frage “Was ist Glück” muss dabei ganz subtil untergebracht sein, damit es nicht nach Lebensweisheitsbuch mit erhobenem Zeigefinger aussieht.

Um meinen Gedanken eine Chance zu geben durch die hintersten Hirnwindungen zu kriechen und in mein Bewusstsein zu kommen, lege ich mich an einem milden Sommerabend im Garten in den Liegestuhl. Es ist still und friedlich, ich habe endlich mal komplett Ruhe, und es dauert keine zwei Minuten, da beginne ich schon Dialoge und den Fortgang der Geschichte auf einen Notizzettel zu kritzeln. Ich kann gar nicht so schnell schreiben, wie die Gedanken kommen. Es ist unglaublich. Ich lege mich auf einen Liegestuhl, sage mir: Überleg jetzt! und dann kommt auch sofort was. Daneben kann ich sogar noch auf zwei Mückenschwärme achten, die über mir im Himmel tanzen und deren langbeinige Mitglieder immer wieder auf meinen unbedeckten Armen und Beinen landen. Nach einer halben Stunde habe ich sechs fette Mückenstiche, obwohl ich die Stecher noch während des Stechvorganges erwischen konnte, habe mindestens weitere zehn Mücken im Landeanflug platt gehauen und weiß außerdem, wie die Geschichte von Prinz Ferdinand König an ihr Ende kommt. Dass ich noch am nächsten Tag an den Mückenstichen rumkratzen muss, stört da nicht weiter. Man muss der Kunst auch was geben. Und sei es Blut.



63 - Sonntag, 12. Juli 2009
Prinz Ferdinand König ist sehr grob fertig geschrieben und liegt ausgedruckt auf dem Tisch. Am liebsten würde ich ihn einen ganzen Monat völlig unbeachtet lassen, um ihn mit freiem Kopf dann nochmal frisch zu lesen. Wenn ich dabei loskicher und mich freue, habe ich meinen Geschmack getroffen. Wenn ich verständnislos gucke, kapier ich entweder nicht, was ich gemeint habe, oder ich frage mich, warum ich das mal gut gefunden habe. Beides wären Gründe, den Text intensiv zu überarbeiten. Leider habe ich nicht mehr so viel Zeit. Vor allem muss ich sehen, ob ich die Kleinigkeiten und Ideen noch eingearbeitet bekomme, die mir in den letzten Tagen und Wochen eingefallen sind und die ich auf vielen Zetteln notiert habe. Leider setzen die Kleinigkeiten manchmal voraus, dass der Anfang der Geschichte ganz anders verläuft. Das Ende habe ich auch noch nicht geschrieben, denn ich muss überlegen, ob der Professor und die Tanten dabei sind. Wenn ja - und ich glaube, ich will sie dabei haben - müssen sie vorher einen Grund haben, um dort zu sein.

Langsam wird es auch Zeit zu überlegen, wie alle Personen aussehen, die mitspielen. Bisher habe ich bewusst vermieden über ihr Aussehen nachzudenken. Das ergibt sich am Ende fast von alleine, wenn ich ihren Charakter kenne. Der zweite König macht mir allerdings noch Sorgen. Ist er nett oder eher dämlich oder sogar beides? Oder ist er richtig unangenehm? Will ich einen unangenehmen König haben, der immer nur an seine Position denkt? Immerhin ist er der Papa der netten Prinzessin. Ach, vielleicht mache ich ihn nur ein bisschen blöd. Eine hohle Königsbirne, die sich wichtig fühlt, aber nicht wichtig ist. Dazu müsste ich aber die Passage vom Gärtnern wieder streichen, denn dann will der nicht im Garten Blumen gießen.

Es ist also trotz grober Fertigstellung noch viel zu tun. Und es muss schnell gehen. Das heißt, ich muss die Geschichte jetzt überarbeiten und kurz danach schon endgültig testlesen. Dafür muss ich in wenigen Tagen vergessen können, was ich vorher geschrieben habe. Das sollte für mich aber eigentlich kein Problem sein. Ich kann ja sogar innerhalb von fünf Minuten keine Ahnung mehr haben, wo ich den blöden Einkaufzettel hingelegt habe. Oder wo der dämliche Teelöffel geblieben ist, mit dem ich gerade eben noch den Tee in meiner Tasse umgerührt habe. Oder warum ich gerade in den Keller gegangen bin.



64 - Sonntag, 19. Juli 2009
Zuerst schreibe ich das Ende um, weil mir die neue Variante logischer und realistischer erscheint, dann merke ich, dass das viel zu langweilig ist und ich schreibe es komplett anders. Jetzt ist es wieder so ähnlich, wie ich es am Anfang haben wollte. Wer fragt bei diesem Buch denn nach Logik? Es soll etwas abgedreht und witzig, aber kein Tatsachenroman sein. Probeweise setze ich danach viele Lücken in den Text - die später mit Illustrationen gefüllt werden sollen - und drucke alles aus. Ich erhalte 69 Seiten. Das ist eindeutig zu viel!

Auch das Bildkonzept geht nicht richtig auf. Am liebsten hätte ich jeden Ortswechsel so, dass die neue Szene auf einer neuen Seite oben beginnt. Wenn die Szene davor aber nicht bis ans Ende einer Seite reicht, sieht das wegen der großen Lücke blöd aus. Nur wenn ich mehr Illustrationen einplane oder einige Textstellen deutlich verlängere, geht es auf. Aber dann wird das Buch über 80 Seiten lang. Abgesehen von der dann viel zu langen Geschichte, kann ich mir das auch nicht leisten. Bei 80 Seiten im Vierfarbdruck müsste ich beim Druck so viel bezahlen, dass der Verkaufspreis bei mindestens 30 Euro liegen würde. Das kann ich mir vielleicht später mal erlauben, wenn ich mehrere Kinderbuchpreise, Oscars und Grammys abgeräumt habe und eine edle Sonderausgabe herausgebe, aber nicht jetzt. 60 Seiten oder maximal 64 Seiten wären zu machen, um den Verkaufspreis unter 20 Euro zu halten, aber da müssen dann auch alle Infos zur CD, die Titelseite und alle Zusätze einberechnet sein. Und wenn ich Lieder machen sollte, dann auch die Liedtexte.

Nun gut. Ab jetzt muss ich meine Kreativzellen noch stärker fordern. Wenn das bisher geplante Text/Bildkonzept nur zum Teil machbar ist, muss ich eine Möglichkeit finden, die das ausgleicht. Etwas, das den Stil der Geschichte unterstützt und das Buch von vorne bis hinten interessant macht. Auf jede Seite muss sich der Leser freuen, weil überall was zu entdecken ist. Das kann grandios werden oder komplett schief gehen. Wo ist die Grenze zwischen “schön bunt und kreativ” zu “verwirrend und überladen”? Und werde ich sie finden?

Gefunden habe ich die Stimme der Prinzessin. Schon sehr lange wusste ich, wer die sprechen könnte und habe jetzt mal nachgefragt. Eigentlich bin ich die ganze Zeit fest davon ausgegangen, dass sie mit Begeisterung zusagen wird. - Und sie hat mit Begeisterung zugesagt.



65 - Sonntag, 26. Juli 2009
Die Geschichte von Prinz Ferdinand König ist fertig geschrieben und ab jetzt wird nur noch an Details geändert oder ergänzt, wenn ich eine besonders gute Idee habe. Im Zeitplan bin ich sehr zurück, denn eigentlich wollte ich jetzt schon an den Illustrationen arbeiten. Stattdessen muss ich mich erstmal an das Layout setzen. Bei diesem Buch sind die Vorarbeiten ganz besonders aufwändig. Wenn ich mit dem ersten Bild anfange, muss die Verteilung von Text und Bild von der ersten bis zur letzten Seite genau feststehen und es gibt kaum noch Änderungsmöglichkeiten. Je besser ich also in den nächsten ein, zwei oder auch drei Wochen arbeite, desto unkomplizierter wird es danach.

Zuerst gebe ich aber die Liste der Darsteller in die  Abteilung “Typberatung” meines Verlages. Die überlegen kurz, greifen dann stilsicher zu passenden Kleidungsstücken, färben und schneiden Haare und suchen Schuhe aus. Stilsicher heißt in diesem Fall, zum Stil des Buches passend und intuitiv der spontanen Laune der Verlagsleiterin angepasst.


Als Autorin gucke ich danach verzückt zum ersten Mal meine Hauptdarsteller an. So sehen sie also aus. Das ist fast so, als hätte ich mit ihnen schon oft telefoniert und würde ihnen jetzt endlich mal gegenüberstehen. Das Kleid der Prinzessin ist rosa und grün? Erscheint mir etwas ungewöhnlich, aber wenn die Typberatung das passsend fand, wird’s wohl stimmen.

Beim Blick auf die bunten Sachen erkenne ich, dass ich eine Szene nochmal umschreiben muss. Die beiden Kinder sollten da Bademäntel tragen, weil das zur Situation passte und ich das witzig fand, aber jetzt finde ich es schöner, wenn sie ihre bunten Sachen tragen. Die Szene läuft bis fast zum Ende des Buches und wenn ich keinen Grund finde, dass sie mittendrin die Bademäntel aus- und sich umziehen, streiche ich lieber die optisch langweiligen Bademäntel komplett raus.



Aber nicht nur alle Darsteller müssen angezogen und frisiert werden, auch Zimmer, die Burg, die Landschaften und der königliche Garten müssen von Innen- und Außenarchitekten entworfen und in Skizzen festgelegt werden. Beim Zeichnen muss mir später ganz klar sein, wohin die Zimmertüre führt, ob es eine Treppe im Raum gibt und wo welches Sofa steht.


Oben auf dem Bild sind übrigens zwei Neben-Darsteller in ihrer Bühnen- (oder Buch-?) Kleidung zu sehen. Es sind der Tanzlehrer und der Gärtner. Ich war bei ihrer Rückkehr aus der Typberatung erstaunt, dass der Tanzlehrer einen Schnurrbart trägt. Aber passt erstaunlich gut. Auch die enge Hose finde ich scharf. Ich hatte vorher an einen Anzug gedacht. Dass es immer wieder Überraschungen bei meiner Arbeit gibt, finde ich total spannend.

Um mir Inspirationen zu holen, fahre ich nach London. Hört sich total gut an und ich bin sehr froh, dass ich diesen Satz jetzt so lässig einbauen kann. Natürlich war der London-Trip schon länger geplant und hat überhaupt nichts mit dem Kinderbuch zu tun. Ich überlege aber vorher kurz, ob ich überall in London Flyer meiner Kinderbücher verteilen soll, lasse es aber. Meine Werbeabteilung kriegt die Krise. Viel zu oft lasse ich Chancen einfach ungenutzt verstreichen.



66 - Sonntag, 2. August 2009
Es gibt freudige Erlebnisse, die mich innerlich strahlen lassen. Mit Schere, Klebestift und der Energie für schnelle Entscheidungen gehe ich an die Arbeit, schneide die ausgedruckte Geschichte in Textblöcke und verteile sie in einem  Probelayout- Buch. Ich fange vorne an und hoffe, dass es am Ende einigermaßen passt. Dabei muss ich berücksichtigen, wo ich Illustrationen haben möchte und wo es wichtig ist, dass der nächste Textblock auf der nächsten Seite beginnt. Schlimm wäre, wenn ich am Schluß noch vier oder mehr Textseiten übrig hätte, denn dann ginge es auch mit leichtem Schieben nicht auf.

Ich schneide und klebe und bin etwas angespannt, weil ich nie weiß, ob ich hier nicht mehr Platz und dafür dort weniger vorsehen sollte. An der letzten Layout-Seite angekommen, habe ich dann aber auch meinen letzten Textblock in der Hand. Es geht genau auf. Und das beim ersten Versuch. Wahnsinn! Natürlich wird es noch kleine Änderungen im Text und auch bei den Bildgrößen geben, aber wenn das Groblayout passt, lässt sich alles machen. Ein ganz wichtiger Schritt ist gemacht und er hat so gut geklappt, dass ich total gut gelaunt bin.

Wenn jetzt nicht noch grundlegende Änderungen vorgenommen werden müssen, kann ich sogar schon einige Angaben zum Buch machen: Es wird wird wieder 21 x 21 cm groß werden und 60 Seiten haben. Zur Erinnerung: Die kleine Giraffe hatte 48. Ich glaube, dass der Prinz nicht mehr Text als die Giraffe hat, dafür aber mehr Bilder. Ich muss komplett wahnsinnig sein, mir so viel Arbeit zu machen! Ob ich das in diesem Jahr überhaupt schaffen kann?
 
Immerhin bin ich beim Text jetzt so weit, dass ich ihn an meine bewährte Probeleser-Familie schicken kann, die erfahrungsgemäß unlogische Stellen findet und gute Tipps und tolle Ideen beisteuert. Danach kann ich die Geschichte noch einmal überarbeiten und anschließend das End-Layout entwickeln, bei dem dann auch alle meine gestalterischen Ideen genau überlegt und untergebracht werden müssen. Komplett und millimetergenau. Das wird eine der Hauptarbeiten am Prinz-Ferdinand-Buch werden. Manchmal denke ich, dass ich doch blöd bin, mir wegen der aufwändigen Bilder und Extras so viel Arbeit zu machen, anstatt eine Geschichte zu schreiben und die da zu bebildern, wo eben ein bisschen Platz ist. Aber ich weiß, dass Bücher aus dem gurkentee-Verlag eben etwas Besonderes sind. Da setzen sich die Autorin und die Illustratorin immer gegen die Buchhaltung durch.




67 - Sonntag, 9. August 2009
Der Text ist fertig, das Layout ist zumindest grob vorgeplant, ab nächster Woche kann ich mit den Illustrationen beginnen. Die Probeleser-Familie hat schnell und kreativ gearbeitet und wertvolle Anregungen gegeben. Der Probelese-Vater hat sich voll reingehängt und vor die Liste seiner Änderungs- und Ergänzungs-Vorschläge sicherheitshalber “Don’t call me Korinthenkacker” geschrieben. Dafür weist er aber auch darauf hin, dass mein “grauer Schwefelrauch” gelb sein muss und es Schwefel sowieso nicht als Rauch, sondern nur als Dämpfe gibt. Daraufhin werfe ich den Schwefel komplett raus, weil ich grauen Rauch haben will.

Die Probelese-Mutter findet eine total unlogische Stelle in der Geschichte, an der Leute nichts vom Drachen wissen, obwohl es ein unübersehbares Warnschild gibt. Kurzentschlossen lasse ich das Schild rechtzeitig zu Feuerholz werden. Ich finde es toll, dass ich so aufmerksame Probeleser habe, die sich mit viel Freude und Begeisterung an die Arbeit machen. Jetzt kann der Text auch endlich an die Lektorin gehen, die schon darauf wartet nach Schreib-, Grammatik- und Stilfehlern zu fahnden. Sie ist so engagiert, dass sie mir angeboten hatte, den Text bei Bedarf sogar in ihrem Urlaub zu bearbeiten. War nicht nötig, ist aber schön.

Beim letzten Durchlesen des Textes muss ich selber an manchen Stellen lachen, was ein gutes Zeichen ist. Zumindest ein gutes Zeichen dafür, dass es mir selber gefällt. Ob das für den Weltmarkt reicht, ist die Frage. Viele Stellen mit “Glück” als Mittelpunkt sind inzwischen rausgefallen, weil mir das dann doch zu aufgesetzt und gewollt wirkte. Übrig geblieben ist eine etwas abgedrehte Abenteuergeschichte, in der viele Leute ihr eigenes Glück suchen und meistens am Ende auch finden. Wobei das, was für den einen Glück ist, beim anderen unverständiges Kopfschütteln auslösen kann.

Mein gnadenlos gutes Bildkonzept kann ich nur in Teilen durchziehen. Es gibt zwar sehr viele Bilder, aber nur drei der großen, doppelseitigen Illustrationen sind drin geblieben, ansonsten müsste ich den Text stark kürzen oder den Seitenumfang deutlich vergrößern. Beides wäre keine gute Lösung. So wie es jetzt ist, ist es schon gut. Finde ich. Und mit mir natürlich der gesamte Verlag. Schön, wenn so eine Truppe fest hinter einem steht, wenn es drauf ankommt.

Aufmerksame Leser werden sich übrigens seit Wochen fragen: Was ist denn nun mit dem Theaterstück, das sie machen wollte? Unaufmerksamere Leser werden jetzt denken: Ach ja, da war was. Ja, beim Weihnachtstheaterstück gibt es neue Pläne. Weil der Regisseur in den nächsten Monaten viel zu tun hat und zweifelt, ob die Theatergruppe dann innerhalb von drei Monaten ein Stück mit Gesang und Tanz überzeugend gut auf die Bühne bringen kann, hat er bei mir offene Türen eingerannt, als er die Aufführungen auf das nächste Jahr verschob. Das ist auch deswegen sinnvoll, weil wir mit dieser Theatergruppe im Herbst eine weitere öffentliche “Oliver Twist” -Aufführung haben und auch dafür nochmal poben müssen. Ansonsten müsste ich jetzt vermutlich mein Prinz-Ferdinand-Buch weit nach hinten schieben und stattdessen weihnachtliche Liedtexte und Melodien überlegen und mich mit von Laien tanzbaren Choreographien beschäftigen. Wäre auch OK, aber so wie es jetzt ist, gefällt es mir besser.



68 - Sonntag, 16. August 2009
Am Anfang der Woche beginne ich mit den Skizzen. Bisher war alles noch Vorarbeit, jetzt geht es richtig los mit dem Buch. Zum ersten Mal in meinem Leben bereite ich die Zeichnungen sogar vor. Sonst überlege ich das mit groben Skizzen sehr schnell einmal quer durchs Buch und lege dann sofort mit den Originalen los. Die Ideen kommen beim Zeichnen. Diesmal möchte ich die Bilder vorher planen und mich nicht später ärgern, wenn mir auf einmal noch viel bessere Sachen einfallen. Darum sammel ich über mehrere Tage Ideen für jede Illustration. Und das Sammeln lohnt sich.

An einem Abend skizziere ich den Turm, in dem der Professor lebt und in dem gerade eine kleine Explosion stattgefunden hat. Alles ganz nett und witzig. Am nächsten Morgen wache ich auf und habe, noch bevor ich die Augen öffne, weitere Ideen für das Bild. Ich eile im Schlaf-T-Shirt an meinen Schreibtisch und skizziere rausgebrochene Mauerstücke, eine aus den Angeln gehobene und auf dem Vorplatz liegende Tür, ein größeres Fenster mit Blick in den Turm hinein und eine Ziege. Die Ziege ist völlig sinnlos, wird den Professor ab jetzt aber unkommentiert begleiten. Keine Ahnung, warum er sie hat, aber ich muss ja nicht alles wissen.

Dann beginne ich mit den ersten drei Illustrationen. Ich arbeite gerne parallel, denn dann kann links die Farbe trocknen, während ich rechts schon weiter mache. Zuerst muss ich den geplanten Text für die jeweilige Seite am Computer formatieren und sehen, wie viel Platz ich für das Bild habe. Ausmessen, auf den Aquarellblock übertragen, mit Bleistift vorzeichnen, mit Tusche nachziehen. Das dauert alles. Am Ende der Woche male ich mit Aquarellfarben an der ersten Illustration. Es wird bunt und es ist ein ganz besonderes Gefühl, denn mit diesem Bild wird die Geschichte von Prinz Ferdinand König beginnen:






69 - Sonntag, 23. August 2009
Der alte Professor, klein, dick und weißhaarig, guckt mit Bleistift vorgemalt schon aus dem Fenster, da ändere ich spontan sein Aussehen. Auf einmal finde ich es viel besser, wenn der etwas jünger ist. Er wird blitzschnell schlanker und bekommt braune Locken. Dazu eine knallenge Hose, aber da er bei seiner ersten Szene aus dem Fenster blickt, sieht man die erst auf späteren Bildern. Er war als alter Professor schon nett, aber jetzt sieht er dazu auch noch recht gut aus. Naja, zumindest für jemanden, der mit Vanillepudding experimentiert und von daher schon einen Knall haben muss. Anette erschafft sich die Welt, wie sie ihr gefällt. In Kinderbüchern klappt das. Ich habe jetzt jedenfalls einen knackigen Professor.

Außerdem - und das ist jetzt wirklich fast eine Sensation - gibt es in diesem Buch nicht die für mich typischen bunten Ränder um die Bilder. Seit vielen Jahren mache ich die und sie sind fast so etwas wie ein Markenzeichen für meine Illustrationen geworden. Beim Arbeiten merke ich aber, dass sie diesmal nicht passen. Viele der Bilder sind in den Fließtext eingepasst und “schweben” frei auf der Seite. Da passt kein viereckiger Rahmen drumherum. Jetzt mit Gewalt um einige Bilder eine bunte Umrandung zu ziehen, wenn es zufällig mal passt, finde ich blöd. Außerdem macht das den Stil zu wirrig. Ein bisschen komisch ist es schon, als mir klar wird, dass es keine Ränder geben wird, aber dann zucke ich mit den Schultern und mache lächelnd weiter. Dann eben mal nicht. Neue Wege sind auch spannend.

Auch sonst geht es gut voran. Illustrationen dauern ihre Zeit, aber ich bin nicht ungeduldig. Sollte ich auch nicht sein, denn ich bin gerade mal auf Seite 8 von 60 angekommen. In den nächsten Wochen werde ich viel Zeit in meinem Arbeitszimmer verbringen, Radio und CDs hören, Telefon und Haustürklingel überhören und meine Prinzen-Geschichte in bunte Bilder umsetzen. Wenn ich jeden Tag eine Illustration schaffe, bin ich in etwa 60 Tagen wieder raus. Leider brauche ich für die großen Illus bestimmt jeweils drei oder vier Tage. Titelbild und Extras sind auch noch nicht berücksichtigt. Mit einer frühen Entlassung ist nicht zu rechnen.

Ganz aktuell verlässt Prinz Ferdinand König übrigens gerade sein heimatliches Schloss und zieht in die Welt. Ich mag das Bild, weil er darauf klein und nicht sehr heldenhaft, aber trotzdem energiereich und optimistisch aussieht.





70 - Sonntag, 30. August 2009
Nachdem der Professor bei der ersten Illustration überraschend jünger wurde, ereilt auch einen der Könige meine spontane Typberatung. Bevor er empört protestieren kann, wird er von mir kleiner und schmaler als auf den Skizzen gezeichnet. Aus dem eindrucksvollen Regenten wird ein König, der etwas kleiner als seine Frau ist und zu dem es psychologisch viel besser passt, dass er so viel Wert auf seine königliche Stellung legt. Bisher konnte ich mir immer schon so gut vorstellen, wie der König später auf der CD voll und tief: “Ich bin der König!” sagen wird. Aber das passt jetzt nicht mehr. Nun muss er höher und nicht so volltönend sprechen, eben so, wie ein nicht mächtiger, dafür schmächtiger König spricht. Aber Hauptsache, er fühlt sich selber weiterhin wichtig.

Ich verbringe viele Stunden im Arbeitszimmer, tauche in eine andere Welt und mache aus schwarz-weissen Bilder bunte.





Die Königsbilder an der Wand sind in diesem Fall nur der Hintergrund im ersten ganzseitigen Bild. Ich bin mir außerdem noch nicht ganz sicher, ob die Prinzessin auf ihren goldgelben Rock noch hellgrüne Streifen  bekommen wird. Ursprünglich war der ja hellgrün-rosa gestreift geplant, aber das erschien mir plötzlich neben Prinz Ferdinand König, der eine hellgrüne Tasche und eine pink-lilafarbene Weste hat, zu ähnlich. Lebhafte Prinzessinnen können knalliges Gelb gut tragen, finde ich.

Es macht mir viel Spaß spontan Farben festzulegen und ganz auf das eigene Gefühl zu vertrauen. Blöd daran ist, dass ich mich ab dem ersten Bild fest an die einmal gewählten Farben halten muss, auch wenn mir ab dem dritten auffallen sollte, dass mit meinem Gefühl vielleicht etwas nicht gestimmt hat. Aber so geht es berühmten Modedesignern vermutlich auch. Da stiefelt dann ein Top-Model in der neuen pinkfarbenen Kollektion über den Laufsteg und der Designer denkt: “Mist, ich hätte doch alles in hellgrün lassen sollen.” Ich habe noch Glück, denn ich kann alles auf meine gurkentee-Stilberaterin schieben, die es aus gutem Grund noch nicht in die ersten Häuser von Paris und Mailand geschafft hat.




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