Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

1.Nach-Bericht 
13.1.2008
Die 500 ist erreicht! Yeah! Das Giraffenbuch Nr. 500 wurde am 10. Januar per Mail bestellt und es wird in Norddeutschland wohnen. Und ich darf zur Feier der halbierten Buchauflage chinesisch essen gehen. Afrikanisches Essen wäre vermutlich passender, aber das China-Restaurant mit dem leckeren Buffet ist gleich bei uns um die Ecke. Hätte ich, wie ursprünglich geplant, nur 500 Bücher drucken lassen, würde ich mich jetzt schon gewaltig ärgern und als Trost chinesisch essen gehen müssen. Für meinen Chinesen bedeutet es also keinen Unterschied.

Nebenbei bekommt die Giraffe Geschwister, wie das hier abgebildete Exemplar von Mathilda. Ein fröhliches, sonniges, gut gelauntes Giraffenkind, das plötzlich im Briefkasten lag.

Die 500 Bücher haben sich bisher schön verteilt. Von ganz oben bei Flensburg bis ins unterste Bayern. Weit in den Osten hinein, in den Westen, in winzigkleine Dörfchen und große Städte. Ich sollte mir anhand der Postleitzahlen mal eine Karte markieren. Überall da, wo die Giraffe hingeschickt wurde, ein roter Punkt. Erfolgs-Unternehmer machen das so, weil das Besucher beeindruckt. Ich glaube, ich wäre schon selber sehr beeindruckt. Aber statt Punkt wäre eine Stecknadel mit rotem Kopf noch besser. 500 Stecknadeln auf eine Karte gepiekt sehen bestimmt gigantisch aus. Ist ja doch gut, dass ich keine Millionenauflage gemacht habe und jetzt so viele kleine Stecknadeln durchzählen muss. “Siebenhundertsechsundzwanzigtausendvierhundertunddrei, siebenhundertsechsundzwanzigtausendvierhundertundvier ... undvier? ... undfünf??
... ääh ...  Eins, zwei, drei, vier ...”

Zwei Bücher sind in den Niederlanden, eins in Frankreich, vier in Österreich und acht in der Schweiz. Wenn ich demnächst meinen Bekannten jeweils ein Buch an ihre Urlaubsorte mitgeben würde, wo sie es einfach unauffällig auf Parkbänken und am Strand liegen lassen sollen, könnte ich die Länderliste noch aufsehenerregend erweitern.

Ein Buch brauchte für den 30-km-Weg bis nach Köln volle 5 Tage, während andere Bücher, die gleichzeitig zur Post gebracht wurden, am nächsten Morgen in München waren. Ein auf dem Weg in die Schweiz verschollenes Buch kam nach drei Wochen plötzlich doch noch bei der Empfängerin an. Der Postbeamte, den ich schon wegen eines Suchantrages gefragt hatte, hatte tröstend gesagt: “Hört sich jetzt blöd an, kann aber auch schon mal fünf Wochen dauern.” Das System der Post bleibt überraschend. Manchmal vermute ich, es gibt gar keins. Aber ich will nicht meckern. Bisher hat alles früher oder später seinen Weg gefunden.



2.Nach-Bericht  30.1.2008
Eine Bestellung aus Amerika ist eingegangen! Eine Giraffe wird tatsächlich nach Kentucky gehen. Nicht zu einem zufällig dort anwesenden deutschen Austauschschüler, sondern zu richtigen Amerikanern. Ich finde das total klasse und irgendwie schön verrückt. Die Deutschland- Holland- Österreich- Frankreich- Schweizkarte mit den roten Stecknadelköpfen für Giraffen-Wohnorte sollte ich wohl doch lieber als Weltkarte anlegen. Der eine rote Punkt in Kentucky wird Aufmerksamkeit erregen.

Außerdem zeigt die Bestellung aus Kentucky, dass ein Buch nicht nur über Verlag, ISBN-Nummer und Buchhandlungen zu verkaufen ist. Mit dem Internet gibt es inzwischen ganz neue Möglichkeiten. Vor zehn Jahren wäre meine Giraffenbuchauflage von 1000 Stück, ohne Verlag und in Eigenregie, der komplette Wahnsinn gewesen. Wahnsinn ist es auch jetzt noch irgendwie, aber die Chance, dass ich Käufer finde, die nicht zum mitleidigen Verwandtenkreis gehören, ist einfach größer. Mittlerweile bin ich sogar davon überzeugt, dass die Auflage komplett verkauft werden wird. Ich weiß nur nicht, wie lange es dauern wird. Vielleicht noch 5 Monate, vielleicht 2 Jahre. Ist aber auch egal.

Von den 1000 Giraffenbüchern sind jetzt 628 weg. Ja, die 600 ist überschritten! Netterweise geht diese besondere Nummer nach Norderney. Eine Giraffe auf einer Nordseeinsel, das finde ich genauso schön wie eine in Kentucky. Ach was, ich finde auch jede Giraffe im Ruhrgebiet, in bayerischen Dörfern, in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Hamburg toll! Manchmal ist es schon seltsam, dass die kleine Giraffe, die so lange ein Teil nur von mir war, jetzt plötzlich auch vielen anderen Menschen etwas sagt. Ich habe sie gehütet, gepäppelt und aufgezogen und als sie groß war, habe ich sie losgelassen und in die Welt geschickt.


rechts: “Der große Makiki”,
gemalt von Jonah, 4 Jahre..



Beim In-die-Welt-schicken habe ich in der letzten Woche auch wieder was gelernt: Der Absender auf Briefumschlägen muss links oben oder auf der Rückseite stehen. Vorwurfsvoll tippte ein Postbeamte (nicht der, dem ich sonst immer so viel Arbeit mache) auf den Absenderstempel in der linken, unteren Ecke und erklärte, dass der da nicht stehen dürfe. Völlig baff sagte ich: “Ich mache den seit vierzig Jahren unten links”, was gar nicht stimmte, denn im Kindergartenalter habe ich noch keine Briefe geschrieben, was ich so schnell aber nicht nachgerechnet hatte. Der Beamte machte jedoch keine charmante Bemerkung über mein zu hoch angegebenes Alter, “Aber junge Frau, Sie sind doch gerade erst mit der Schule fertig geworden!” oder so, sondern anwortete nur knapp: “Dann machen Sie es seit 20 Jahren falsch.” Peng, das saß. Über 300 Giraffen-Buch-Sendungen habe ich in den letzten Wochen zu diesem Postamt gebracht und plötzlich erfahre ich, dass die alle den Absender an der falschen Stelle hatten. Immerhin weigerte er sich nicht, die Sendungen anzunehmen und zu frankieren, obwohl er vermutlich große Lust hatte, mich zum Nachbessern wieder nach Hause zu schicken. 23 falsch vorgestempelte Umschläge habe ich noch zu Hause und die werde ich auch verwenden, ehe ich den Absender ab dann vorschriftsmäßig links oben in die Ecke setzen werde und damit einer langen, persönlichen Tradition ein Ende mache.

Momentan kommen täglich zwei bis drei Bestellungen rein. Manchmal sogar sechs oder acht. Blöderweise bekomme ich jetzt schon den Rappel und bin nicht zufrieden, ehe nicht die “Minimum-Bestellung von 2 Büchern” am Tag da ist. Hab ich sie eigentlich noch alle?? Ich sollte froh sein, dass es so gut läuft und nicht anfangen auszuflippen! Sogar zwei Bestellungen in der Woche sind supergut und mehr, als ich hätte erwarten können! Manchmal erstaune ich mich selbst, wie anspruchsvoll ich nach dem guten Anfang werde und dass ich plötzlich noch Steigerungen haben möchte. Bisher schaffe ich es aber immer noch ganz gut, mich auf den Teppich zu holen, wenn ich ausrechne, was mich die 1000 Bücher, von denen ich ja gerade mal etwas über die Hälfte verkauft habe, an Zeit, Arbeit und Geld gekostet haben. Wenn ich von den Büchern leben müsste, wäre ich schon lange verhungert. 600 Bücher verkauft, na klar, das ist ein toller Erfolg, aber nur auf meiner privaten, persönlichen, künstlerischen Ebene. Geschäftlich und weltweit gesehen ist das lächerlich. Nach solch klaren Überlegungen lande ich sehr schnell wieder auf dem Boden und freue mich dann tatsächlich wieder über jedes einzelne verkaufte Buch.



3.Nach-Bericht  21.2.2008
Es ist erstaunlich und wird von mir immer noch etwas ungläubig registriert: Die Kartons mit den Giraffenbüchern, die im Flur gestapelt sind, werden immer überschaubarer. Erst vor gut zwei Monaten haben wir 1000 frisch gedruckte Bücher in den Flur geschleppt und inzwischen sind drei Viertel davon schon wieder rausgetragen worden. Liest sich vom Aufwand her gesehen sinnlos, ist aber trotzdem Grund zu großer Freude.

Allerdings bedeutet das auch, dass ich nicht nur freudig durch die Gegend hüpfen kann, sondern ganz konkret überlegen muss, ob das Giraffenbuch wirklich nur in einer Originalauflage bleiben soll oder ob es eine weitere Auflage geben wird. Das war so nicht geplant. Aber es war auch nicht geplant, dass das Buch so schnell aus meinem Flur verschwindet. Das ist eine völlig unübliche Vorgehensweise bei kleinen Selbstverlegern, die traditionell auf dem Großteil der Auflage sitzen bleiben müssen. (Indem sie zum Beispiel aus den vielen vollen Kartons Sitzmöbel und Gästebetten bauen, die sie unauffällig mit Tüchern dekorieren.)

Ich wäre aber wirklich blöd, wenn ich weiterhin die Nachfrage, aber keine Bücher mehr habe. Noch blöder wäre es allerdings, wenn ich mir neue Bücher drucken lasse und dann die Nachfrage ausbleibt. Aber eigentlich bin ich jetzt einmal ins unbekannte, kalte Wasser gesprungen und entdecke, dass es recht angenehm warm ist und ich unerwartet gut darin schwimmen kann. Was spricht dagegen, noch etwas weiter hinauszuschwimmen?

Außerdem wurde in der letzten Woche ein richtig echter Schreibfehler im Buch entdeckt! Originellerweise fehlt ein Punkt, was ich äußerst passend im Bezug auf den Inhalt der Geschichte finde! Wer nachsehen will: Seite 37, Zeile 7. Am Ende des Satzes fehlt der Punkt. Und sofort danach sagt die Giraffe: “Das macht nichts, ein Punkt mehr oder weniger ist doch egal!” Ist das nicht so passsend, dass es geplant sein könnte? Damit hätte ich jetzt aber nicht nur einen Grund für eine Neuauflage, sondern sogar den passenden Werbetext:

Die kleine Giraffe - jetzt mit einem Punkt mehr !
Genial, finde ich.

In der Grundschule bei mir im Dorf mache ich eine Powerlesung, die mir viel Spaß macht und gleichzeitig bestätigt, dass vier Lesungen nacheinander durchaus zu machen sind, dass meine Stimmbänder aber keine Lust auf eine fünfte hätten. Da immer zwei Klassen gleichzeitig da sind, komme ich an einem Vormittag durch alle Jahrgänge vom 1. bis zum 4. Schuljahr. Es ist schon etwas anstrengend, aber es macht auch große Freude die Spannung auf den Gesichtern der Kinder zu sehen, ihr Staunen über die Bilder zu erleben und im Anschluß ihre Fragen zu beantworten. Ich gucke meinerseits verblüfft, als ich höre, dass zwei der Kinder schon ein eigenes Giraffenbuch haben. Ich hatte keine Ahnung, dass die auf verwinkelten Wegen wieder in meinen Wohnort gekommen sind. Die Kinder hatten allerdings auch keine Ahnung, dass die Autorin im gleichen Ort wohnt.

Ich habe meine Sachen am Ende der Lesungen gerade wieder eingepackt, da ist Schulschluß. Als ich über den Schulhof gehe, fragen mich einige Kinder, ob sie ein Autogramm bekommen können. Können sie natürlich und ganz schnell wird das auch von anderen Kindern entdeckt. Es bildet sich plötzlich eine unerwartet lange, ordentliche Schlange freudig aufgeregter Kinder vor mir. Praktischerweise haben sie alle einen Giraffenbuch-Flyer bekommen, auf dem ich unterschreiben kann, aber auch Mathearbeitsblätter werden gereicht, wenn der Flyer nicht sofort zu finden ist. Da bitte ich dann aber doch, lieber den Flyer zu suchen und warte geduldig ab. Ich komme mir ein bisschen wie ein Wise Guy beim Afterglow vor, nur dass alle Autogrammsammler wuselig, aber doch sehr diszipliniert, hintereinander in einer Reihe stehen, in ihren Ranzen kramen und keiner ein Handyfoto von mir machen will.

Am nächsten Tag bringe ich während der Pause Bücher zum Sekretariat und viele Kinder auf dem Schulhof rufen fröhlich: “Hallo, Anette!” und winken aus allen Ecken. Süß! Auf dem Weg zu ihren Klassen kommen sie an mit vorbei und einige sagen: “Ich darf ein Buch kaufen!”, “Ich auch!”, “Die Geschichte war schön”, “Wir überlegen noch - vielleicht darf ich”,  und “Ich nehm’ es nicht, weil wir ja vielleicht noch’n Pool wollen.”

Zum Glück habe ich ein Kinderbuch geschrieben und muss jetzt nicht einen Erwachsenen-Roman vor obercoolen Leuten lesen, die vielleicht gar nicht unterhalten werden wollen, sondern ich kann meine Geschichte vor neugierigen, lebensechten Kindern vortragen, die lachen, wenn sie es lustig finden, große Augen machen, wenn es spannend ist und aus dem Fenster gucken oder ihren Sitznachbarn in den Bauch pieken, wenn es langweilig wird. Fenstergucken und Nachbarpieken ist mir übrigens während meiner Lesungen nicht aufgefallen, was aber auch an der guten Erziehung der Kinder liegen kann.

Nachmittags versuchen einige Grundschulkinder, die natürlich schnell herausgefunden habe, wo ich wohne, bei mir Klingelmäuschen zu spielen. Vor Aufregung treffen sie aber die Klingel nicht richtig und rennen nur lautstark wieder weg. Kaum ist man im Dorf berühmt, wird man gemobbt.



4.Nach-Bericht  1.3.2008
Es ist soweit. Ich mache eine zweite Auflage der kleinen Giraffe. Hört sich erstmal nach Erfolg an, bedeutet in der harten Realität aber, dass ich finanziell gerade wieder im Plusbereich bin und bald den Flur erneut voller Bücherkisten stelle und dann wieder genauso im Minus bin wie vorher. Wenn jetzt die Nachfrage schlagartig nachlässt, stehe ich da, als hätte ich schon von der ersten Auflage kein Buch verkauft. Man kann das unternehmerisches Handeln nennen. Oder Wahnsinn. Von dem Geld für den Buchdruck hätte ich mir auch einen netten, nur leicht gebrauchten Kleinwagen kaufen können. Aber was soll ich mit einem Kleinwagen im Flur? Das würde die ganze Sache ja noch wahnsinniger machen!

Damit sich die Originalauflage von der Zweitauflage unterscheiden lässt, steht “Zweite Auflage” drin. Auch der in der Originalauflage fehlende Satzend-Punkt auf Seite 37 ist dann dabei. Man kriegt also eigentlich etwas mehr fürs Geld. Andererseits habe ich einen total überflüssigen Punkt auf Seite 20 entdeckt, gleich über der Seitenzahl. Wenn ich den entferne, bleibt es punktemäßig dann doch ausgeglichen. Sobald ich jetzt die Kontrollausdrucke der Druckerei durchgesehen und abgesegnet habe, geht es in die zweite Runde.

Nummeriert wird weiterhin von Hand. Das ist zwar sehr viel Aufwand und bedeutet deutlich mehr Büroarbeit, aber ich finde das einfach nett. Immerhin kann ich mich mit einer “Autoren-Handnummerierung” als Kleinverleger von den Millionenauflagen der Großverleger abheben. Vielleicht der entscheidende Wettbewerbsvorteil.

Bei einem Buchdruck gibt es bis zu 10% Exemplare mehr oder weniger als in Auftrag gegeben. Die muss man zwar auch entsprechend mehr oder weniger bezahlen, aber man kann im Vorfeld nicht mit einer festen Menge planen und rechnen. Hat was mit den angekauften Papiermengen zu tun. Das ist auch bei mir der Grund, warum die erste 1000er-Auflage nicht genau bis zum Buch 1000 reicht, sondern bis zur Nummer 1085. Es bleiben ab jetzt für Sammler, die auf spätere Wertsteigerung hoffen, also noch etwa 250 Exemplare der allerersten Originalauflage, ehe die zweite Auflage dann fortlaufend mit der Nummer 1086 weitergeht.

Die Überlegung, ob ich jetzt beim Nachdruck nicht doch eine ISBN-Nummer nehmen will, habe ich nach kurzem Nachdenken mit einem klaren Nein entschieden. Der große Vorteil wäre, dass das Buch in jeder Buchhandlung zu bestellen wäre, was vieles vereinfachen würde. Der große Nachteil wäre aber, dass die Buchhandlung einen recht großen Teil des Verkaufspreises selber behalten darf, so dass bei meiner knappen Kalkulation jedes über eine Buchhandlung verkaufte Buch ein Minusgeschäft für mich wäre. Da müssten meine Auflagen schon wesentlich größer werden, um das ausgleichen zu können. Aber eigentlich gilt ja noch immer: Wer von dem Buch gehört hat, kennt mich oder die Internetseite und hat damit eine Kontaktadresse, über die er sehr einfach bestellen kann.

Soweit ich weiß, kann man ohne Verlag und ohne ISBN-Nummer auch keinen Literaturnobelpreis bekommen, aber da muss ich dann eben drauf verzichten. Ich nehme mich einfach von vorneherein aus dem Rennen und lasse anderen Anwärtern den Platz. Sowas finde ich supercool. Einfach einen Schritt zurücktreten, die Augenbrauen arrogant nach oben ziehen und bescheiden sagen: “Macht ihr das mal unter euch aus.” Wer gar nicht erst antritt, kann auch nicht verlieren.


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