Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 4
- 23. Juli 2006
Die ersten Druckereien, die ich per Internet angeschrieben habe, melden sich sofort zurück. Anscheinend können sie alle auch farbige Kinderbücher und nicht nur schwarz-weisse Romane drucken. Ich warte mal auf die Musterseiten, um zu sehen, ob die Qualität richtig gut oder eher wie bei schlechten Farbkopien ist. Bei einigen Druckereien kann man den Verlagsservice gleich mit bestellen. Vom Layout über die Umschlaggestaltung, bis hin zur ISBN-Nummer und dem späteren Angebot in verschiedenen Online-Bookshops ist dann alles mit drin. Ist ja eigentlich klasse, werde ich mir aber sparen. Ich werbe dann eben damit, dass das Buch exlusiv nur bei mir zu bestellen ist. Man muss das nur richtig verkaufen - im wahrsten Sinne des Wortes. Was würden Sammler heute für eines der zweihundert ersten selbst herausgegebenen Harry-Potter-Bücher von Frau Rowling bezahlen, wenn es das irgendwo gäbe? Vielleicht sollten Leute meine Giraffenbücher als Wertanlage sehen? Eingeschweißt kaufen, bloß keinem Kind in die Hand geben, sondern gleich ab in den Safe.

Auf jeden Fall ist es ein unerwartet erhebendes Gefühl die informative “Autorenmappe” von Books-on-demand in Händen zu halten. Das ist fast so, als wäre man schon richtiger “Autor” und ein Verlag würde höflich um die Überlassung des Manuskriptes bitten. Im Anschreiben steht nichts von “Haben Sie sich das gut überlegt?” oder “Besteht die Möglichkeit, dass es totaler Mist ist, den Sie da zusammenschreiben?” oder “Wer will das denn lesen??”, sondern es wird freundlich und zuversichtlich viel Erfolg beim Schreiben gewünscht. Aber so, als gäbe es gar keinen Zweifel am Erfolg des Buches. Die sind echt begeistert, dass ich mir die Zeit nehme ein Buch zu schreiben. Und sie machen unterschwellig klar, dass es ihnen eine Ehre wäre, es für mich drucken zu dürfen. Wow!!

Aber vor einem Druck müssen ja noch einige andere Sachen erledigt werden. Zeichnen zum Beispiel. Zum Giraffenangucken gehe ich in den Kölner Zoo. Glücklicherweise stehen die Giraffen auf staubiger, leergefressener Steppe und sind gut zu erkennen. Sie sind tatsächlich Paarhufer, haben eine blaue Zunge und die kurze, braune Halsmähne steht vom Kopf abwärts erst schräg nach unten, hat dann aber einen Wirbel etwa in der Mitte des Halses und steht ab da schräg nach oben. Vielleicht kein entscheidendes Detail für mein Buch, aber immerhin. Habe ich bis dahin überhaupt nicht gewußt. Allerdings sind die Giraffen im Kölner Zoo Netzgiraffen, und meine ist ja eine Punktgiraffe. Ich würde den Titel jedoch nur ungerne ändern in: “Als die kleine Giraffe ihr Netz verlor”. Da höre ich ja jetzt schon die verwunderten Gegenfragen: “Wieso Netz? Ist sie Fischer? Sammelt sie Schmetterlinge? Oder ist sie ein brutaler Tierfänger?” 

Beim Verlassen des Zoos habe ich dann eine Giraffe dabei. Sie hat 4 Euro 80 gekostet, und ich denke mir, dass es günstig ist, ein ruhiges, geduldiges und vor allem gut überschaubares Exemplar in der Nähe zu haben, falls sich Fragen bezüglich des Körperbaus ergeben sollten. Viel Hunger hat sie nicht, denn sie rührt das angebotene Futter nicht an. Und abwaschbar ist sie auch. Praktisch!

Ich fange mit den ersten Skizzen der Giraffe und einiger Affen an. Bevor die Illustrationen losgehen, muss ich wissen, für welche Varianten bei Ohrengröße, Punktverteilung, Fell- und Schwanzlänge, Mimik und Größenverhältnis ich mich entscheide. Und ich muss wissen, ob meine Giraffe sich relativ giraffentypisch steif bewegt, oder ob sie falsch, aber kinderbuchpassend mit den Vorderfüßen Gegenstände greifen kann. Aber eigentlich muss ich da nicht lange überlegen: Sie kann es nicht, beziehungsweise nur sehr begrenzt. So, das ist schon mal geklärt.

Meine Ungeduld bezüglich des Beginns der Illustrationen verschwindet spontan, als mir klar wird, dass ich bei den derzeitigen, ungewöhnlich sommerlich heißen Temperaturen sowieso nicht mit Aquarellfarben arbeiten kann. Die würden dann schon während des Auftragens eintrocknen und könnten nicht gleichmäßig verteilt werden. Wird also nichts mit dem Juli-Zeitplan, aber da weder ich noch die Druckereien etwas dafür können, nehme ich es gelassen und entspannt. Ab dem nächsten Monat habe ich zwar wieder weniger Zeit, aber dann dauert es eben länger, bis ich mal fertig bin. Es gibt ja zum Glück keinen Verlag, der drängt!


Wie viele Affen sind eine kleine, überschaubare Affenherde?
Darf ich aus optischen Gründen einfach eine neue Affenart erfinden?
Und was passiert sonst noch?



Woche 5 - 30. Juli 2006
Die angekündigten Probefarbseiten der Druckereien kommen nicht. Kann ich das irgendwie als gutes Zeichen deuten? Ich bemühe mich, finde aber keine stichhaltigen positiven Anzeichen. Da werde ich wohl mal anrufen müssen, um meine ernsten Absichten bezüglich des Geldausgebens zu bekunden. Auch sonst geht es nicht gerade zügig weiter. Es ist einfach zu warm. Bei bis zu 35 Grad, dazu oft schwülwarmer Luft, ist es in meinem Garten eigentlich wie in Spanien am Strand. Ist ja fast witzig, dass das Wetter bei meiner Urlaubsschwindelei so perfekt mitspielt. Ich hätte nur intensiver an Meer denken müssen, damit ich sowas ähnliches auch gleich mitgeliefert bekomme. Hin und wieder ein Gewitter reicht nicht.

Immerhin schaffe ich die ersten Skizzen und kritzel im Schatten entspannt Giraffen und Affen vor mich hin. Ist bisher aber mehr Spaß als echte Arbeit. Dabei wäre die drückende Hitze doch genau richtig, um sich perfekt in eine durch die Savanne laufende Giraffe hineinversetzen zu können. Aber es ist einfach zu heiß, um sich auch noch in schweißnasse Tiere zu denken.


Vielleicht sollte ich in der nächsten Woche doch mit den Zeichnungen anfangen und mich einfach aufs A5-Format festlegen. Dann steht die Größe eben fest, bevor ich mich nach anderen Größen-Preis-Alternativen erkundigt habe. Das könnte sonst ja noch wochenlang dauern. Bis dahin ist die Giraffe groß und der Titel stimmt nicht mehr. “Als die große, erwachsene Giraffe ziemlich spät ihre Punkte verlor” hört sich blöd an. Auf keinen Fall wie ein Millionenbestseller.

Nach einigen Tagen Pause lese ich die Geschichte am Computer nochmal durch und finde gleich einige kleine Stellen, die ich kürze oder ausweite. Wirklich fertig ist sie aber immer noch nicht, ich muss sie nach verschiedenen Gesichtpunkten noch mehrfach lesen, darum drucke ich sie aus, um sie griffbereit zu haben. Ist sie eigentlich lustig genug? Während ich ja sonst schräge Gedanken und seltsame Kalauer ungerne vermeide, gehe ich mit Kinderlesern vorsichtiger um. Humorvoll muss es sein, aber die Kinder sollen später nicht vor für sie unverständlichen Sätzen sitzen und sich blöd fühlen. Dabei darf es durchaus Stellen geben, die sie anders lustig finden als erwachsene Leser, aber es muss alles nachvollziehbar bleiben. Und bei all meinen kritischen Überlegungen darf ich die Geschichte jetzt auf keinen Fall mit Lineal im Kopf konsturieren und damit tot schreiben. Uäh, wie kompliziert! Ich hör auf! Nee, war Quatsch. 

Um Ordnung zu schaffen und wirklich perfekt an die Sache heranzugehen, räume ich am Ende der Woche auf meinem Computer den versehentlich auf Laufwerk C angelegten Giraffen-Ordner auf, indem ich von dort meine Zoofotos von den Giraffen in den richtigen Giraffen-Ordner auf Laufwerk D zu den Fotos für diesen Bericht verschiebe. Als der auf C leer ist, lösche ich ihn komplett. “Sind Sie sicher?” fragt mich der Computer. Na klar! Ist ja blöd, wenn es zwei Ordner gibt und ich immer suchen muss, wo ich was drin habe. Noch blöder ist es allerdings, dass ich mit dem vermeintlich leeren Giraffen-Ordner auf C auch die darin enthaltende komplette Textdatei der Geschichte lösche, weil sie mir nicht als Bild angegeben wird und ich dummerweise denke, dass der Ordner völlig leer ist. Och nee! Hätte mein Computer nicht fragen können: “Sind Sie sicher? Da ist noch ein Text drin!” Zum Glück habe ich noch die frisch ausgedruckten A4-Seiten, aber die jetzt abzutippen, um den Text wieder in den Computer zu bekommen, wo ich ihn haben muss, ist auch nicht so toll. Immerhin gibt es den Text aber noch und ich muss ihn nicht komplett neu anfangen, ein Glücksfall, der mich jetzt wenigstens vom Schreien und Heulen abhält. Vielleicht ist es auch das warme Wetter, das mich so lethargisch wirken lässt. Egal.


Haben die Druckereien geschwindelt oder können sie tatsächlich farbig drucken?
Andere müssen für 5 Euro die Stunde stumpfsinnig Texte abtippen - Ich krieg gar nichts dafür.
Und was passiert sonst noch?



Woche 6 - 6. August 2006
War’s das schon? Ist meine Begeisterung für die kleine Giraffe und ihre verlorenen Punkte abgeklungen? Beim Blick auf meine Aktivitäten bezüglich des Kinderbuches könnte ich das fast glauben. Ich schaffe in Woche 6 nämlich so gut wie nichts. Gerade mal eine Mail-Anfrage bei meiner momentan bevorzugten Druckerei wegen der ausstehenden Probeseiten, auf die es aber keine Reaktion gibt. Haben die Betriebsferien?

Und dann natürlich das Wiederherstellen der versehentlich gelöschten Textdatei auf meinem Computer. Auf der Diskette habe ich noch den am Laptop getippten Text bis zum Ausfall der B- und N-Tasten und auf dem Tisch die 12 aktuellen, ausgedruckten DinA4 Seiten. Da ich den Laptoptext inzwischen schon überarbeitet hatte, ist es etwas mühsam jeden Satz mit der neuen Version zu vergleichen und die Änderungen einzufügen, aber es geht. Weil ich etwas lustlos an die Sache herangehe, dauert es allerdings tagelang. Mit etwas mehr Schwung hätte ich das an einem Nachmittag schaffen können.

Wahrscheinlich bin ich so energiearm, weil ich die letzten freien Tage noch auskosten möchte, ehe meine Arbeit und für meine Kinder die Schulzeit wieder losgeht. Sind die Ferien wirklich schon vorbei? Wie schade! Außerdem nervt es mich, dass ich wegen der ausbleibenden Infos der Druckerei immer noch keine Entscheidung über die Größe des Buches treffen kann. Ich denke inzwischen aber immer stärker, dass es wohl A5 werden wird und ich einfach anfangen muss. Die neue Frage: A5 hoch oder quer? Bisher bin ich immer vom Hochformat ausgegangen, aber die andere Variante wäre auch nicht schlecht.

Am Computer wähle ich zunächst das Hochformat, überlege wo ich was für eine Illustration haben möchte und gebe dafür Freiräume in den Text. Als ich fertig bin, werden mir 24 DinA4 Seiten angegeben, was für das Buch 48 Seiten bedeuten würde. Dazu dann noch die Innenseiten mit dem Titel und verschiedenen Angaben, da lande ich bei mindestens 52 Seiten. Tja, mit meiner Schätzung von 40 Seiten lag ich wohl etwas daneben. Mit 12 vierfarbigen Seiten mehr wird das Buch in der Herstellung also noch teurer werden. Aber ich kann ja nicht auf Seite 40 mitten im Satz aufhören, wenn die Geschichte da noch gar nicht fertig ist!

Trotz aller Verzögerungen und der plötzlichen Umfangänderung habe ich momentan aber überhaupt keine Zweifel an der Fertigstellung des Buches. Ich gehe sogar sicher von mindestens 100 verkauften Exemplaren aus und denke hin und wieder schon in höheren Zahlen. Soll ich wirklich nur 250 drucken lassen oder doch lieber gleich 500? Dabei habe ich den Text gerade mal rekonstruiert und grob aufgeteilt und noch nicht eine Illustration angefangen! Ich bin mir aber sicher, dass es ein nettes Buch wird. Ist diese selbstsichere Einstellung jetzt die Vorahnung des großen Erfolges, oder einfach nur Größenwahn? Vielleicht war’s auch zu heiß in Spanien. Vier Wochen lang Sonne auf den Kopf, kann nicht folgenlos bleiben.


Soll ich die Geschichte mit Gewalt kürzen, um 12 teuere Farbseiten zu sparen?
Habe ich Platz, um 450 nicht verkaufte Bücher zu lagern?
Und was passiert sonst noch?




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