Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 10
- 3. September 2006
Kaum will ich meinen Tagesablauf streng organisieren, werde ich von mir selber gestoppt. Mein Körper hat seit meinem Burn-Out-Syndrom zu Anfang des Jahres eine gut funktionierende Bremse entwickelt, die sich sofort selber aktiviert, wenn ihm das Pensum ein wenig zu groß erscheint. Nach einem anstrengenden Wochenende habe ich meine Liste “heute muss ich das machen und das und das und das” noch nicht richtig laut gesagt, da höre ich die Bremse quietschen und bin für einen ganzen Tag arbeitsunfähig. Ganz geschickt verwendet mein Körper dazu Sehstörungen und Kopfschmerzen, denn er weiß, dass ich fast alle meine Arbeiten mit gut funktionierenden Augen machen muss. Aber ich lerne ja ständig dazu, ändere “heute muss ich” in “demnächst kann ich”, lege mich aufs Sofa und bin der nervigen Bremse eigentlich dankbar. Wenn ich ihr zeige, dass ich entspannungswillig bin, hört sie nämlich nach einigen Stunden wieder auf und ich kann in ruhigerem Tempo weitermachen. Ich beschließe, dass erst die nächste Woche die “Woche der Giraffe” wird, ich bis dahin einen dringenden Film fertig schneide und nicht versuche das gleichzeitig hinzubekommen. Allerdings suche ich in den Schneidepausen schon meine Zeichensachen zusammen, lege die endgültige Illustrationsgröße fest und mache immer mal wieder kleine Skizzen, wenn mir ein Detail einfällt, das ich nicht vergessen will.

Am Ende der Woche sitze ich dann tatsächlich noch bei Kerzenlicht abends im sommerlich warmen Garten, lausche einem Livekonzert von Brings, das etwa 700 Meter Luftlinie entfernt auf dem Schützenplatz unseres Dorfes stattfindet, und kritzel Affen vor mich hin. Das mit den Affen und Brings ist Zufall, ehe das jetzt jemand falsch versteht, denn die Affen hätte ich auch skizziert, wenn ein klassisches Orchester auf dem Schützenplatz Beethoven gespielt hätte. Der Klang zieht ungehindert und laut über die Felder bis zu mir nach oben in den Garten und ich habe das Gefühl zeichnend mitten im Konzert zu sitzen. Was für ein Luxus, oder auch: Was für ‘ne superjeile Zick! Ich arbeite endlich wieder für mein Kinderbuch und sofort kommen Brings und spielen live! Dafür, dass ich mitsumme und mit dem Fuß im Takt wippe, strahlen die gezeichneten Affen nachher erstaunlich viel Ruhe aus. Vor allem weiß ich jetzt, wie sie ungefähr aussehen. Die Affen, nicht Brings.

Inzwischen trudeln immer mal Vorbestellungen für das Buch ein, was mich total freut und irgendwie auch sehr beruhigt. Allerdings passe ich auf, dass ich das nicht überbewerte, denn der ein oder andere wird vielleicht doch wieder abspringen, und vor allem darf ich nicht wegen 30 Vorbestellungen ganz optimistisch 500 Bücher mehr drucken lassen. Ich werde mir da aber rechtzeitig etwas überlegen, um einerseits abschätzen zu können, wie viele Bücher ich brauche und andererseits die Sache interessant zu machen. Ziemlich sicher ist schon, dass ich die Bücher von Hand nummerieren werde und in der Reihenfolge der Bestellungen abgebe. Wer früh bestellt, bekommt eines der ersten Exemplare, was natürlich später bei Ebay sensationelle Preise erzielen wird. Bei diesem persönlichen Einsatz ist es dann vielleicht ganz gut, wenn es keine Millionenauflage gibt. Nicht nur das Nummerieren von Hand wäre dann echte Arbeit, sondern auch die Menge von Briefmarken fürs Verschicken ziemlich groß, die ich bei der Post holen müsste. “Ich hätte dann gerne noch eine Million Briefmarken für Büchersendungen.” Und vor mir ein netter Postbeamter, der die vom Zehnerblöckchen abzählt. “Zehn, zwanzig, dreißig.....”

Wenn ich irgendwann mal sicher bin, dass das Buch fertig wird, ich es wirklich drucken lasse und einen festen Preis nennen kann, werde ich rechtzeitig einen Termin angeben, an dem es mit den Vorbestellungen los gehen kann. Und dann gilt die Reihenfolge. Wie spannend! Das ist ja fast wie bei einem Ticketverkauf, wo beim Konzert alle in die erste Reihe wollen. Mal sehen, ob die zehn bis zwölf dann immer noch fest entschlossenen Vorbesteller am Stichtag meine Mail-Leitung blockieren, auf der Jagd nach Buch Nummer 001.

Sollte ich das Buch Nummer 001 lieber selber behalten, später dann bei Ebay reinsetzen und mit dem sensationellen Erlös die komplette Buchherstellung und einen Swimmingpool finanzieren?
Welche Gruppe spielt in der nächsten Woche live für mich?
Und was passiert sonst noch?



Woche 11 - 10. September 2006
Endlich geht es weiter: Ich kaufe eine große Plastikkiste, um Bleistifte, Zeichenblöcke, Pinsel, Farben, Radiergummi ...  darin griffbereit verstauen und problemlos an verschiedene Zeichenorte transportieren zu können. Dann kann ich nämlich spontan wählen, ob ich gleich neben der Küche im Hof arbeite, oder doch lieber oben im Garten auf dem Grillplatz, oder drinnen am Küchentisch und habe mit einem Griff alles dabei. Als ich am Dienstagabend außer dem Kistenkauf immer noch nichts für das Kinderbuch gemacht habe, weil zu viele andere Sachen zu tun sind, seufze ich und beginne am gesamten Projekt zu zweifeln. Wird das jemals was mit meiner Giraffe? ‘Plastikkiste kaufen’ kann ja wohl nicht das Wochenpensum sein.

Leicht depremiert schlage ich den Kölner Stadtanzeiger auf, den ich rein zufällig, ohne besonderen Grund, an diesem Nachmittag geschenkt bekommen habe und sehe unter der dicken Überschrift “Haus und Garten stehen voller Giraffen” einen Bericht über einen Giraffensammler, der ein Giraffenmuseum hat. Das darf doch nicht wahr sein! Wenn das mal kein Giraffenwink ist! Es ist ja nicht üblich, dass solch ausgeprägte Giraffenmeldungen in einer Tageszeitung stehen. Nach dem Lesen des Hape-Kerkeling-Buches “Ich bin dann mal weg” habe ich mir angewöhnt solche Botschaften sofort anzunehmen. Ich habe ja eigentlich auch nie ernsthaft am Giraffenprojekt gezweifelt, aber jetzt, nach diesem Wink des Schicksals, bin ich überzeugt, dass mein Buch tatsächlich fertig wird. Das Problem ist nur: Ich muss mal endlich mit den Illustrationen anfangen.

Vielleicht ist es nicht nur andere Arbeit, die mich abhält und mir gute Ausreden gibt, sondern auch ein eigenes Zögern. Sobald ich nämlich anfange, lege ich mich mit der Größe der Illustrationen, den Farben, dem Aussehen der Giraffe fest und aus den lockeren, idealen Vorstellungen und Träumen wird Realität. Dann sitzt der eine Giraffenfuß nicht so, wie ich es eigentlich haben will, der linke Affe grinst zu blöd und der Baum im Hintergrund sieht auch dämlich aus. Andererseits bin ich doch immer mit viel Spaß dabei, wenn ich an Illustrationen zu einer Geschichte arbeite und grinse meistens selber blöde, weil ich Szenen witzig finde. Ach, jetzt wäre ein Verlegeranruf doch ganz nett, der mich drängend auf den Abgabeschluß in drei Monaten hinweisen und mir damit richtig Druck machen würde. Aber nützt ja nichts, denn ich würde sofort vermuten, dass einer meiner Freunde mich reinlegen will, weil ich ja weiß, dass ich gar keinen Verleger habe.

Und dann, am Ende der Woche, passiert es:
Ich fange tatsächlich mit der ersten Illustration an! Es geht los!

Natürlich werfe ich sofort mein ausgeklügeltes Konzept der Bild- und Textverteilung um, weil mir einfällt, dass ein vorbeieilendes Warzenschwein, das eigentlich auf Bild 1 auftauchen sollte, einen kurzen Satz sagen wird und darum erst auf Bild 3, passend zum dort stehenden Text zu sehen sein darf, was eine Fortmatänderung für Bild 1 bewirkt, weil ich dann dazwischen noch Platz für Bild 2 mit der Eidechse brauche. Hört sich kompliziert an, ist es auch.

Na, prima! Da kann ich wegen der personellen Änderung im ersten Bild das gesamte Bildverteilungs- Konzept neu erarbeiten. Eigentlich sollte das Warzenschwein auch auf dem letzten Bild auftauchen und so den Kreis der Geschichte schließen, aber dann müsste es auf beiden Bildern stumm bleiben, damit es nicht im Text auftaucht, sondern nur kommentarlos zu sehen ist. Ich will aber, dass das Warzenschwein “Oh, hallo!” sagt und dann leise vor sich hin singend “Dumdidumdidum...” verschwindet. Naja, kommen eben ein paar stumme Erdmännchen mit aufs erste Bild.

Soll ich das Giraffen-Museum in Dortmund mal besuchen?
Was ist, wenn jetzt auch meine Erdmännchen singen wollen?
Und was passiert sonst noch?



Woche 12 - 17. September 2006
Berechnung: Wenn ich 48 größere und kleinere Illustrationen für mein Buch brauche und ab jetzt eine Illu pro Woche schaffe, könnte das Buch tatsächlich etwa zu Weihnachten 2008 fertig sein. Wenn die Druckerei dann zügig mitspielt und den Termin nicht noch verzögert! Allerdings habe ich da das Titelbild nicht mitgerechnet, das auch gezeichnet werden muss. Und die Rückseite des Buches kriegt ja auch eine Illu. Dann vielleicht Ostern 2009. Hört sich jetzt blöd an, ist aber auch völlig falsch berechnet.

Bei einer richtigen Statistik müsste ich  nämlich davon ausgehen, dass ich in 11 Wochen nur eine Illustration geschafft habe, und dass 48 Illus mal 11 Wochen überschlagsmäßig irgendwas von 530 Wochen und damit 10 Jahren ergäbe. “Das ist doch mal ‘ne Aussicht”, freut sich mein Gatte. “Da ist das Ende doch in Sicht.” Ich bin gerührt, wie positiv er das sieht.

Immerhin schaffe ich es meine sauber aufgestellte Statistik sofort umzukippen, weil ich in dieser Woche an vier Illustrationen arbeite. Lange nicht so oft und intensiv, wie ich es will, denn mein Arbeitsplan mit festen Zeiten klappt überhaupt nicht, aber für “zwischendurch” bin ich ganz zufrieden. Und ich glaube, dass ich das mit den Arbeitszeiten auch noch geregelter hinbekomme.

Momentan verdränge ich dabei, dass in den nächsten Wochen mehrere andere, zum Teil sehr arbeitsintensive Projekte auf mich warten und ich mein Kinderbuch sicher oft zurückstellen muss. Aber vielleicht sehe ich es dann als Ausgleich zwischen kochen, Filme schneiden, spülen, einkaufen und Wise Guys Spezialnacht vorbereiten. Ob ich nach drei Stunden auf dem Stuhl sitzen und Film schneiden oder Untertitel eingeben wirklich noch konzentriert und freudig an Illustrationen gehen kann, bei denen ich ebenfalls ruhig auf dem Stuhl sitzen muss? Vermutlich nicht. Aber egal. Ich kann zwischendurch ja mal spülen gehen - da findet sich in unserem spülmaschinenfreien Haushalt immer mehr als genug. Oder einkaufen. Irgendwas steht immer auf der Liste. Auf den Ausgleich kommt es an.

Das Rahmenprogramm der Spezialnacht soll richtig schön werden, das Konzert ist Anfang November vorbei, und danach habe ich wieder weitgehend frei. Ist doch supernett bis dahin zwischen Warzenschweinen, Giraffen und den Wise Guys hin und her zu pendeln.


Hätte ich die Geschichte lieber komplett in der Savanne spielen lassen sollen, weil Dschungelbilder mit vielen Pflanzen viel aufwändiger zu zeichnen sind?
Eine Giraffe am Nordpol wäre noch einfacher zu zeichnen und dazu farbsparend! (“Als die kleine Giraffe am Nordpol einschneite”?)
Und was passiert sonst noch?


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