Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 13
- 24. September 2006
Was für eine Woche! Die Giraffe linst täglich um die Ecke und ich schicke sie jedesmal mit einem: “Tut mir total Leid, aber ich habe leider keine Zeit!” wieder weg. Mein Sohn, der am Ende der Woche auf Klassenfahrt nach Rom fahren möchte, zieht sich zu Beginn der Woche (Montag, erste Schulstunde) einen Bänderriss am Fuß zu. In die mit “Termin beim Kieferorthopäden”, “Sommersachen für Rom raussuchen”, “letzte Abi-Treffen- Vorbereitungen“, “Gäste zum Kaffeetrinken”, “Purple Schulz, Josef Piek und Stefan Stoppok-Konzert” und “Abi-Treffen” gefüllte Woche mischen sich jetzt auch noch “Arztbesuche”, “Wartezeiten in Warteräumen” (Spitzenwert: 95 Minuten für 3 Minuten Untersuchung!), “Schulbescheinigungen holen”, “Gehhilfen besorgen”, “Thrombosespritzen setzen lernen” und “mit der Krankenkasse, der Schule, dem Lehrer, dem Arzt” telefonieren. Kann man das Kind mit einem Bänderriss überhaupt durch Rom humpeln lassen? Kann es die schätzungsweise hundertausend Stufen in die Kuppel des Petersdoms auf einem Bein hüpfen?

Ich weiß, dass hinter der Ecke eine vom Schicksal gebeutelte Giraffe steht, die ihre Punkte verliert und jetzt nicht mal weiter gezeichnet wird, aber die Geschichte “Als die Romfahrt ohne meinen Sohn stattfand” ist auch nicht unspannend. Vor allem weiß ich bis zum Ende der Woche nicht, wie sie ausgeht. Doch dann ist der rasche Heilungsverlauf ebenso beeindruckend wie der Bluterguss, der den Fuß grün und blau werden lässt, das Kind kann ohne Gehhilfen recht ordentlich laufen und wird nach Rom geschickt. Happy End. Für meinen Sohn, für Rom, aber leider nicht für die Giraffe. Die steht immer noch unfertig hinter der Ecke.

Damit es hier nicht ganz so leer bleibt, habe ich spontan zwei kleine Illustrationen gemacht, die aber im späteren Buch keine Verwendung finden werden. Also bitte jetzt nicht drauf freuen, denn die kriege ich in der Geschichte einfach nicht logisch unter. 







Bild 1: Eingeschneite Giraffe am Nordpol









Bild 2: Giraffe läuft am Nordpol einen Berg hinunter




Boah, das Zeichnen ging echt erstaunlich schnell. Ich bin ja blöd, dass ich nichts über einen winterschlafenden Schneehasen am Nordpol mache!

Kann man in Wartezimmern Tische aufbauen, an denen in langen, trostlosen Wartezeiten Illustrationen angefertigt werden können?
Sollte ich die Nordpol-Geschichte nicht lieber ausbauen?
Und was passiert sonst noch?



Woche 14 - 1. Oktober 2006
Um die Verwirrung komplett zu machen, zeichne ich ziemlich viel, aber nur wenig für das Giraffenbuch. Es sind kleine Eulen für ein Stadt-Magazin dran, die später nicht in die Giraffen-Geschichte eingebaut werden können. Besonders nicht die Eulen mit Weihnachtsmann-Mützen auf dem Kopf; das würde im afrikanischen Dschungel irgendwie befremdlich wirken. Auch der dicke Wombat von einer anderen, größeren Illustration hat nicht wirklich was mit Afrika zu tun, sondern lebt auf Tasmanien. Allerdings wäre der vom Zeichenstil her eventuell einzufügen. Vielleicht in einer Szene, in der die Giraffe ihn trifft, verwundert fragt: “Was machst du denn hier in Afrika?” und er brummend antwortet: “Keine Ahnung.”

(Das mit dem Wombat ist jetzt etwas riskant, denn es gibt genau einen Freund, der bei “Wombat” und “Tasmanien” aufmerksam wird, große Augen kriegt und genau weiß, wovon ich rede - und der kriegt die Illustration mit dem Wombat morgen geschenkt. Eigentlich als Überraschung. Ich hoffe darauf, dass er am Tag vor der Feier nicht unbedingt den aktuellen Giraffenbericht liest, sondern erst einige Tage später. Wenn doch, ist es aber auch nicht schlimm, denn 1. sieht er hier nur einen kleinen Ausschnitt und 2. wird er in beiden Fällen vermutlich grinsen. Entweder vor- oder nachfreudig.)

Für die weiteren Giraffenillustrationen kaufe ich ein paar neue Aquarellfarben und einen mitteldicken Pinsel für zusammen 37,54 Euro und dann noch Aquarellblöcke für 22,60.  Zusammen mit dem Spritgeld nach Koblenz zur Druckerei habe ich jetzt schon über 100 Euro ausgegeben und entferne mich weiterhin von der Plus-minus-null-Marke. Leider in die falsche Richtung. Zu Villa und Pferdepfleger geht es in die andere, aber was will ich eigentlich mit einem Pferdepfleger? In meinen Garten passen ja nicht mal Pferde!

Dass ich zwischendurch tatsächlich noch die Giraffe zeichne, liegt an meinem großen Mitleid für ihr Schicksal. Und in meinem eigenen Interesse. Wenn ich sie nicht aus der Ecke hole und weiterzeichne, wird mein Buch nie was. Noch hat sie übrigens ihre Punkte, weil die Geschichte noch am Anfang ist, und ich momentan chronologisch zeichne. Allerdings immer an zwei oder drei Bildern parallel, weil mir das mehr Abwechslung bringt und damit mehr Spaß macht.

Die Affengruppe wird jetzt acht Mitglieder haben, die sich bei ähnlichem Aussehen trotzdem alle unterscheiden sollen - eine Vorgabe, an der ich dann doch einige Zeit sitze, bis ich das für mich klar entschieden habe. Da ein paar mehr Haare auf dem Kopf, dort welche am Kinn, bei dem Kleinen die Ohren dunkel... Die meisten Kinder werden das beim Angucken später schnell raushaben. Und ich werde total aufpassen müssen und auf jedem Bild die Affen durchzählen, damit nicht plötzlich neun zu sehen sind oder versehentlich einer doppelt auftaucht. Wenn Bilderbuchgucker wüssten, was für Probleme es vorher beim Zeichnen gibt...

Kann ich auf die Frage “Was machen Sie beruflich?” “Affenzählen!” antworten?
Guckt der Wombat-Freund zu früh ins Internet und sieht sein Bild?
Und was passiert sonst noch?



Woche 15 - 8. Oktober 2006
Direkt zu Anfang, weil es Fragen nach der Überraschung von letzter Woche gab: Der Wombat-Freund, der mir ein sehr lieber Freund ist, war völlig überrascht und hat sich sehr gefreut. Ich habe mich gefreut, dass er überrascht war und mich außerdem gefreut, dass er sich so gefreut hat. Und ich weiß, dass die stark vernachlässigte Giraffe die Wartezeit gerne hingenommen hat, weil es wichtiger war, dass der Wombat und seine beiden Freunde nach Hause kommen und zeigen, dass es sie wirklich gibt. Hört sich jetzt ein bißchen wirrig an, ist es aber gar nicht, wenn man weiß, worum es geht.

Andererseits hat die geduldige kleine Giraffe vielleicht überlegt, dass jede Verzögerung meinerseits dafür sorgt, dass sie ihre Punkte noch etwas länger behält, weil ich ja noch zwei oder drei Bilder brauche, bis sie sie verliert. Dann lieber mit Punkten warten, als ohne, wird sie sich gedacht haben. Und wo wir gerade bei “warten” sind - ich fürchte, ich muss die Giraffe noch für vier Wochen am See warten lassen. Ist vielleicht etwas unbequem für sie, ständig so tief heruntergebeugt und von Affen umgeben, aber immerhin hat sie frisches Wasser und momentan auch noch alle Punkte. Vielleicht kann sie sich mal kurz aufrichten, wenn gerade keiner die Internet-Seite anguckt?

Bei mir stehen jetzt einige Sachen an, die zum Teil recht arbeitsintensiv sind. Einmal Kulissen für ein Theaterstück malen, die ganz andere Dimensionen als die handliche Kinderbuch- Giraffe haben und nicht mal auf meinen Arbeitstisch passen würden, und dann die Video-Vorbereitungen für die Wise Guys Spezialnacht Anfang November. Noch bin ich überall gut im Plan, aber das kann sich schnell ändern, wenn ich mich jetzt auch noch intensiv um die Giraffe kümmern will.

Was ist eigentlich aus meinem Plan geworden, dass die Giraffe an erster Stelle steht? Der muss mal wieder nach hinten gehängt werden. Na toll! Aber so richtig sauer bin ich nicht, denn die anderen Arbeiten machen ja auch sehr viel Spaß. Außerdem merke ich, dass ich durch die Warterei immer kribbeliger werde und nach der Spezialnacht bestimmt mit sehr viel Schwung weitermachen werde. Ich freu mich jetzt schon darauf wie auf einen Urlaub! Obendrein habe ich zum Text die erste Meinung einer kritisch testlesenden Familie bekommen. Das ist ja immer besonders spannend: Wie kommt die Geschichte überhaupt an? Ist viel zu wirrig, was mir einfach erscheint, sind die lustigen Stellen wirklich lustig und ist vieles eher bemüht als gut? Das Ergebnis ist sehr ausführlich, mit vielen kleinen Anmerkungen im Manuskript und zu meiner Beruhigung ziemlich klasse ausgefallen. Was heißt Beruhigung? Wenn ich bei ihrer Beurteilung nur unbeteiligt zugehört hätte, ohne das Buch zu kennen, würde ich jetzt sagen: “Das muss ich haben!” Wie klasse - ich freue mich echt darüber!

Die kleine Giraffe macht also vier Wochen Pause und wird während dieser Zeit wahrscheinlich unverändert am See stehen bleiben. Trotzdem wird hier jeden Sonntag der neue Bericht stehen, in dem ich erzählen kann, was läuft, was ruhig steht und ob es nicht doch ein neues Bild und vielleicht eine total negative Meinung gibt. Da ich das Manuskript aber bisher nur dieser einen Familie gegeben habe, habe ich momentan keine weiteren und vor allem keine schlechten Beurteilungen zu befürchten. 

Soll ich das Manuskript jetzt lieber NICHT an einige ausgewählte Freunde zum Testlesen geben, damit ich mich weiterhin zufrieden in der ersten tollen Bewertung sonnen kann?
Halten große, mit dickem Edding geschriebene Buchstaben “ALS DIE KLEINE GIRAFFE IHRE PUNKTE VERLOR” auf Autos und wäre das eine Werbemaßnahme?
Und was passiert sonst noch?



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