Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch
Woche 16 - 15. Oktober 2006
Es gibt einen
Panther in der Geschichte! Einen schwarzen. Morgens beim Aufstehen fällt mir plötzlich ein, was er sagt, dabei kommt er bis dahin noch gar nicht in der Geschichte vor. Was soll ich machen? Ich muss ihn sofort einfügen.
In den Tiefen meines Hirnes saß er wohl schon lange und hat sich gerade noch rechtzeitig zu Wort gemeldet. Blöderweise habe ich jetzt eine nette Textstelle, weiß aber noch nicht, wo ich sie in der Geschichte
unterbringe. Die Handlung ist bisher gut ohne Panther ausgekommen und für den Fortgang ist er völlig überflüssig. Aber mir gefällt sein Satz so gut! Na, irgendwo wird schon Platz für ihn sein. Jetzt kann ich nur hoffen,
dass nicht noch weitere Tiere in meinem Hirn schlummern und sich morgens mit originellen Sätzen zu Wort me lden, besonders nicht irgendwelche ganz urwaldfernen Geschöpfe wie Haubenlerchen oder Tiefseefische. Oder gibt es Haubenlerchen in Afrika?
Die Frage lässt mir keine Ruhe und ich informiere mich. Toll, wie viel Allgemeinbildung man sich anlesen kann, wenn man nur etwas über eine Giraffe schreiben will. Natürlich kommen
Haubenlerchen in Afrika vor, und ihr Lockruf ist: “trüdritri-eh". Trudi, die Haubenlerche - wär ja eine tolle Idee für ein nächstes Buch. Für Tiefseefische im
afrikanischen Dschungel ist vermutlich das Wasser zu flach. Oder meine Allgemeinbildung.
Viel Zeit für die kleine Giraffe habe ich nicht, und ich bin beruhigt, dass ich sie offiziell bis
zum Ende des Monats abgemeldet habe. Trotzdem ist sie täglich bei mir und ich arbeite sozusagen mental an ihr. Außerdem bereite ich ihre Homepage vor. Ist ja doch besser, wenn
die vielen potentiellen Käufer des Bestsellers sich später nicht lange durch meine komplette Homepage zur Giraffe durchklicken müssen, sondern auf wenigen Seiten übersichtlich
informiert werden. Bis es etwas zum übersichtlich Informieren gibt, dauert es zwar noch, aber ich kann ja schon mal anfangen. Eine Internetseite mit einprägsamem Namen habe ich
noch übrig, und so wird es demnächst Informationen über das Buch auf www.gurkentee.de geben. Achtung: Demnächst! Zu mehr als den ersten Vorbereitungen habe ich momentan keine Zeit.
Damit ich aber richtig durchgedreht rüberkomme, melde ich kurzentschlossen noch
www.alsdiekleinegiraffeihrepunkteverlor.de
an. Was für ein Glück, dass dieser Name noch nicht vergeben war! Hätten ja auch andere
drauf kommen können! Um aber nicht noch eine zweite Homepage vorbereiten zu müssen, werden Leute, die den Namen tatsächlich komplett und fehlerfrei eintippen, sofort auf den Gurkentee weitergeleitet.
Jetzt muss ich nur noch auf mein Auto schreiben:
ALS DIE KLEINE GIRAFFE IHRE PUNKTE VERLOR www.gurkentee.de
und kann damit andere Vekehrsteilnehmer zum stundenlangen Grübeln bringen, was denn dieser blöde Spruch mal wieder bedeuten soll.
Ist es sinnvoll, wenn ich meine knappe Zeit mit der Entwicklung von Werbemaßnahmen verbringe, anstatt mit dem Illustrieren der Bilder?
Gibt es phonetisch einen Unterschied zwischen“trüdritri-eh" und“trütritri-eh" beim Imitieren von Haubenlerchen?
Und was passiert sonst noch?
Woche 17 - 22. Oktober 2006
Weil ich meine Zeit nicht mit dem Illustrieren verbringen kann, habe ich die Möglichkeit für
die Zukunft zu planen. Angenommen, die kleine Giraffe wird ein Bestseller. Abgesehen von meinen Lesereisen, den Auftritten in Talkshows und der Anwesenheitspflicht mit Cocktails und
Häppchen auf den Buchmessen, gäbe es die Notwendigkeit alles auch in Musicalform zu präsentieren. Was liegt da näher, als irg endwann das Musicalhaus von “König der Löwen” im Hamburger Hafen zu übernehmen? Liegt schön mit Bootsanschluß am Wasser, innen passt auch alles, die Dekorationen für Savannen- und
Dschungelszenen sind schon vorhanden, ein Orchester ist da und zwei mir bekannte supernette Mitarbeiterinnen können gleich die Leitung ihrer Abteilungen übernehmen. Schön, wenn man große Pläne hat!
Textlich kann ich mir jetzt schon vorstellen, wie ganze Kindergartengruppen die Trendschlager aus dem beliebten Giraffenmusical singen und in lustigen Kostümen auf ihren
Sommerfesten aufführen: “Oh Schreck, oh Schreck, der Punkt ist weg....” oder “Durch den Dschungel mit Gesange und am Baume eine Schlange...” Vielleicht sollte ich auch überlegen die
Entwicklung der Musicaltexte in professionellere Hände zu legen.
Bevor es aber ans Musical geht, gebe ich zunächst das überarbeitete Manuskript mit dem
Buchtext an wenige handverlesene Freunde und Freundinnen, die es kritisch durchlesen sollen. Von ihnen hängt jetzt ab, wie viel ich noch ändern werde, ob ich demnächst glücklich durch
die Gegend hopse oder völlig deprimiert dunkle Gassen entlang schleiche. Aber lieber die ehrliche, knallharte Wahrheit in diesem Stadium, als böses Erwachen, wenn das Buch gedruckt
ist. “Ich wollte es damals nicht sagen, aber war doch klar, dass das Buch großer Mist ist”, wäre ein Satz, den ich später eigentlich nicht hören möchte. Lieber den: “Ich habe damals
gleich gesagt, dass das Buch großer Mist ist. Konnte ich ja nicht ahnen, dass das dann millionenfach verkauft wird.”
Soll ich lieber ein eigenes Musicaltheater bauen, wenn der “König der Löwen” noch läuft und mein Giraffen-Musical aktuell wird?
Gibt es überhaupt die Möglichkeit eine dreistellige Auflagenhöhe millionenfach zu verkaufen?
Und was passiert sonst noch?
Woche 18 - 29. Oktober 2006
Ich zeichne immer noch nicht an weiteren Illustrationen, weil ich bis Anfang November an
einigen anderen Sachen arbeiten werde und mir keinen Stress machen will. Dafür gibt es aber eine weitere Entscheidung, die schon lange in der Luft schwebte und jetzt endgültig von mir
auf den Boden geholt wird: Zum Buch wird es eine Hör-CD geben. Aber nicht einzeln zu kaufen, was markttechnisch gesehen natürlich günstiger wäre, sondern zu jedem Buch gleich
dazu. Und das ist diesmal kein Witz. Hartmut, ein Freund und wunderbarer Gitarrist, wird wahrscheinlich die untermalende Hintergrundmusik dafür machen und lässt sich schon vom
Manuskript inspirieren. Ich vermute, dass er die Geschichte musikalisch ähnlich sieht, wie ich sie bildlich vor mir sehe. Die im Bericht von letzter Woche erwähnten Musical-Mitsing-Lieder
wird es allerdings nicht geben, das war Quatsch. Giraffen können ja überhaupt nicht singen. Ich forsche da jetzt aber nicht im Internet nach und finde dann wohlmöglich Informationen über ganze Giraffenchöre....
Ein Meilenstein in der Werbegeschichte wird der 90cm breite Schriftzug sein, den ich jetzt bestellt habe und auf die Heckscheibe meines nicht viel breiteren Autos kleben werde.
Millionen von Autofahrern werden demnächst hinter mir im Stau stehen und ihren Blick zwangsläufig auf die dicke Zeile: “Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor” heften müssen.
Je mehr Stau, desto intensiver die Werbung. Ins Negative könnte das nur umschlagen, wenn ich immer der Anfang des Staus bin. Aber so viel werben, aus reiner Absicht, will ich dann doch nicht.
Zuerst freue ich mich, als mir einfällt, dass ich im nächsten Monat mit dem Auto zweimal über lange Autobahnen bis nach Norddeutschland und zurück fahre, also bundesweite Werbung
schalte, aber dann fällt mir ein, dass ich dafür ein anderes Auto nehme und mir der Schriftzug auf meinem zu Hause geparkten Auto gar nichts nützt. Vermutlich werde ich
immerhin in meiner befahrbaren dörflichen Umgebung demnächst als die Frau “mit dem Knall und der Giraffe” bekannt werden.
 Alternativ habe ich noch die Idee ein anderes Auto zu beschriften, das wirklich viel unterwegs und mit seiner eindrucksvollen Größe auch nicht so
einfach zu übersehen ist, aber ich fürchte, dass die bisherigen Hauptpersonen sich davon nicht so schnell überzeugen lassen. Da muss ich wohl erstmal prominenter als sie werden. Spätestens dann werden wir
uns schon einigen.
Wird es eine Zeit geben, in der andere Leute darum betteln meinen Schriftzug auf dem Auto haben zu dürfen?
Hält mich irgendjemand noch für normal?
Und was passiert sonst noch?
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