Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 22
- 26.November 2006
Yeah! Obwohl ich ziemlich viel andere Sachen machen muss, schaffe ich es, mich auch mit der Giraffe zu beschäftigen. Ich überarbeite den Text im Feinschliff, so dass er jetzt wohl ziemlich nahe an der Endversion ist und entscheide, dass ich die total normale ‘Comic Sans’-Schrift nehmen werde. Die ist zwar nicht sehr originell, aber gut zu lesen und außerdem meine Lieblingsschrift. Insgesamt ist der Text nach der letzten Überarbeitung etwas länger geworden, was ich durch eine etwas kleinere Schriftgröße ausgleiche. Statt 12 Punkt nur noch 11 Punkt. Zum dritten Mal schnippel ich anschließend ausgedruckte Textseiten in kleine Stücke und klebe sie in mein Manuskriptheft, um zu sehen, ob die Text- und Bildverteilung noch klappt. Sie klappt. Ich rücke sogar noch alle Seiten um eine Position nach hinten, damit ich vorne eine Leerseite mehr bekomme. Dafür fliegt hinten eine Illu raus und alles geht perfekt auf.

Von den sechs Manuskript-Test-Lesern haben sich inzwischen vier schon komplett durch den Text gearbeitet und mir danach ihren Eindruck gesagt und einige wertvolle Anregungen gegeben. Es gab auch Fragen von ihnen, die ich sehr wichtig fand, weil sie mich überlegen ließen, ob ich es wirklich so machen will oder dann doch lieber anders. So blöde es auch ist, ein “Werk” der Kritik zu überlassen und auf eventuell vernichtende Beurteilungen zu warten, so wichtig sind mir doch die Meinungen und Anregungen, die ich bekomme. Zu meiner Beruhigung nimmt mich auch keiner mit ernster Miene zur Seite, guckt mir tief in die Augen und sagt mitleidig: “Willst du das wirklich tun? Überleg es dir lieber nochmal.” Eher im Gegenteil, aber es stehen ja noch zwei Meinungen aus...

Wirklich sehr witzig finde ich, dass ich von vier Manuskriptlesern unabhängig voneinander die fast gleichlautende Frage gestellt bekommen habe: “Für welches Alter soll das sein?” Korrekturleserin Christel, die vom Buch insgesamt sehr begeistert war, brachte es dabei auf den Punkt: “Für kleine Kinder gibt es zu viel Text, für große zu viele Bilder.” Stimmt, und genauso soll es sein. Allerdings löste die mehrfach gehörte Frage intensive Überlegungen bei mir aus, ob ich da wirklich richtig entscheide, oder ob ich nachher an allen Alterszielgruppen vorbei schreibe und male. Aber ich bin überzeugt, dass das Konzept in diesem Fall richtig ist. Die Bilder gehören einfach zum Text und der ist eben etwas länger. Kürzerer Text hieße, die wichtigen Nebensachen wegzulassen, die die Geschichte und die Atmosphäre erst ausmachen. Und da ich ja die Verlegerin bin, entscheide ich einfach, dass das unüblich, aber gut ist. Die Geschichte ist dann eben zu lang, um sie kleinen Kindern komplett vor dem Schlafengehen vorzulesen, aber ich habe meinen Kindern zu Kindergartenzeiten auch wochenlang “Jim Knopf” und “Die kleine Hexe” in einzelnen Kapiteln vorgelesen und sie fanden es toll. Es muss ihnen allerdings ein wenig wie “Die unendliche Geschichte” vorgekommen sein. Dagegen sind meine 12 DinA4 Seiten Text ja noch überschaubar.

Eine Anregung von Korrekturleser Eddi nehme ich jedoch gerne auf und unterteile die Geschichte in Kapitel. Es gibt fünf Handlungsbögen, nach denen man Lesepausen machen kann, ohne mitten in einer Handlung aufhören zu müssen. Sie bekommen kurze Überschriften und sind “natürliche Kapitel”. Keine Ahnung, ob es diesen Begriff in der Literaturwissenschaft gibt, aber er hört sich total gut an, finde ich. Ich spiele kurz mit dem Gedanken das Buch “Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor - ein Abenteuer in fünf natürlichen Kapiteln” zu nennen, lasse ihn aber sofort wieder fallen.

Zum Illustrieren komme ich nur wenig, aber ich weiß, dass das ab Mitte Dezember richtig losgeht. Bis dahin pinsel ich zuerst noch die großen Kulissen für ein Theaterstück fertig, schneide einen Konzertmitschnitt und illustriere eine kleine Katzengeschichte - alles Sachen, die feste Termine haben und nicht so flexibel wie meine kleine Giraffe sind. Aber die lässt sich auf der aktuellsten Illu gerade im See treiben, wartet auf ihre Farbe und wirkt dabei rundum zufrieden. Ist ja auch angenehmer im kühlen Wasser zu treiben, als wochenlang mit gebeugtem Kopf am See zu stehen.


Ist die Alterangabe “Für Kinder von 8 bis 11, aber auch für die von 5 bis 7 und für alle ab 12” klar genug?
Soll ich diesen Satz wirklich auf den Buchumschlag schreiben?
Und was passiert sonst noch?



Woche 23 - 3.Dezember 2006
Plötzlich habe ich eine Szene mit einem Faultier im Kopf. Die ist total nett, denn das Faultier ist ziemlich faul, gähnt ständig und kann keine Auskunft über den Weg geben, weil es bei seinem langsamen Lebe-Tempo nie von seinem Baum wegkommt und sich darum im Urwald nicht auskennt. Faultiere mag ich wirklich sehr gerne. Könnte man vielleicht psychologisch erklären, will ich aber nicht. Ich schreibe die Faultier-Szene sofort an passender Stelle in das Manuskript und freue mich zwei Tage lang darüber. Am dritten Tag fällt mir ein, dass es Faultiere nur in Südamerika gibt und nicht in Afrika. Och nö. Wenn das Tier nicht von seinem Baum wegkommt, wie soll es dann logisch von Südamerika bis nach Afrika gekommen sein? Seufzend und traurig streiche ich die Szene wieder raus. Mist. Wäre echt nett geworden.

Ich versuche in dieser Woche wenigstens 30 Minuten am Tag für die Giraffe zu illustrieren, letzte Korrekturen zu machen oder zu organisieren und schaffe das auch. Manchmal sogar mehr als 30 Minuten. Na also! Trotz meines immer noch recht vollen Terminkalenders geht es schrittweise weiter. Inzwischen ist so viel vorbereitet, dass ich ein Ziel habe: Im Mai soll das Buch fertig sein. Geschrieben, gezeichnet, gedruckt und mit der Hörfassung auf CD. Habe ich mir zumindest jetzt vorgenommen. Das sind noch 6 Monate. Ich bin sehr gespannt, ob ich das schaffe. Da muss die Verlegerin wahrscheinlich die Illustratorin mal etwas anstupsen und auf den Termin aufmerksam machen. Aber die kann ihrerseits ja auf die lahme Layouterin oder auf die blöde CD-Aufnahmeleiterin hinweisen, die alles verzögert. Ich bin jetzt schon gespannt, wie ich das mal mit mir ausdiskutiere. Und an wen ich später die Rechnungen für die Arbeit von Autorin, Illustratorin, Layouterin, CD-Aufnahmeleiterin und Tonschneiderin schicke. Vermutlich an die Verlegerin. Also an mich. Und ich schick die dann alle zurück. Auch an mich. Manchmal finde ich, dass sich das alles etwas nach multipler Persönlichkeitsstörung anhört. Vielleicht sollte ich mich mal in einem netten Stuhlkreis zusammensetzen und darüber reden.

Weil der Text und die Seitenaufteilung nach der letzten Überarbeitung ziemlich sicher stehen, fange ich mit den Planungen zur Hör-CD an. Der Text für die Hörfassung muss in den nächsten Wochen leicht bearbeitet und an einigen Stellen ergänzt werden, damit kleine, aber nicht unwichtige Sachen, die im Buch auf den Bildern zu sehen sind, auf der CD mit einem Zwischensatz erklärt werden. Vor allem muss ich die Affen der Herde aus ihrer Herdenanonymität holen und genau wissen, welcher Affe was sagt. Im Buch ist das unwichtig und ich umgehe das meistens absichtlich, indem es heißt: “Einer der Affen sagte:.....”, aber in der Hörfassung muss das schon klar zugeordnet werden.

Ich entscheide mich dafür, die Erzählerstimme und die Giraffe selber zu sprechen, aber alle anderen Rollen an andere Sprecher zu geben. Da die Rollen meistens nur aus zwei bis drei Sätzen bestehen, ist das nicht viel Aufwand für den jeweiligen Sprecher, für das spätere Hörvergnügen aber sicher sehr schön. Außerdem finde ich die Idee lustig. Also schreibe ich Mails, in denen ich kurz erkläre um was es geht, und erstaunlich schnell sagen die zehn angefragten Sprecher zu. Krokodil, Warzenschwein, Makiki, Panther, Affe 1, Affe 2, Affe 3 und die Eidechse - die tauscht aber vielleicht noch mit Affe 4 -, die Frösche im Teich und die allgemeinen Urwaldgeräusche sind dabei. Ich verrate aber noch nicht, wer was macht. Außerdem muss ich sowieso wegen der noch unbesetzten Rollen anfragen. Jetzt ist es vielleicht ganz gut, dass ich nicht jemanden ansprechen muss: “Willst du das Faultier sprechen? Ich habe bei der Rolle gleich an dich gedacht.”


Soll ich nach Beendigung der Giraffe ein Buch über ein Faultier machen, damit ich die nette Szene endlich irgendwo einbauen kann?
Lohnt es sich für mich auf einen der legendären Scheck des Verlegers zu warten?
Und was passiert sonst noch?


Woche 24 - 10.Dezember 2006
Mein Gatte meint übrigens, ich sei eine wunderbare Verlegerin und brauche dafür wirklich keine Hilfe von außen. Nachdem ich in der vergangenen Woche zwei frisch gebrannte DVDs, die wir am nächsten Tag für eine Präsentation dringend brauchten, nur kurz am Schreibtisch ablegte und dabei innerhalb von 2 Minuten unauffindbar verlegte, habe ich meinen Ruf als talentierte Verlegerin wieder mal bestätigt. Das zeigt, neben meiner Fähigkeit rasch und gut zu verlegen, dass mein Schreibtisch mit den aufgehäuften Zetteln, Notizen und Büchern eindeutig zu voll ist. (Wir mussten übrigens nach 30 Minuten intensiver Sucherei zwei neue DVDs brennen. Die anderen fand ich drei Tage später, als ich mein privates Telefonbuch bei ‘S’ aufschlug, wo ich sie aus unerfindlichen Gründen abgelegt und dann das Buch zugeklappt und ordentlich ins Regal geräumt hatte.)

Neben DVDs kann ich auch prima Schlüssel und Geld verlegen - wieso also jetzt nicht auch ein Buch? Mein Gatte hatte allerdings einen etwas ironischen Unterton, als er bestätigte: “Klar, DU kannst auch Bücher verlegen.” Ich frag da aber jetzt nicht weiter nach, sondern nehme das als positive Bestärkung.

Immer noch wird es mir schwer gemacht an der Giraffe zu arbeiten, denn jetzt sind zuerst noch einige Illus für einen Freund dran, die am Ende der Woche fertig sein müssen. So sitze ich jeden Tag am Tisch und illustriere, aber keine Giraffe im Dschungel, sondern eine Katze auf dem Dach. Es macht viel Spaß, aber der Blick auf den Kalender ist beruhigend, denn ich sehe, dass es in der nächsten Zeit nicht mehr viele Termine für mich gibt. Meine Augenringe finden das eher beunruhigend, denn sie ahnen, dass sie mich nicht mehr lange begleiten werden. Ist mir aber egal.

Ab Montag werde ich abtauchen. Ich mache Urlaub. Die Farbkästen kann ich dabei gleich auf dem Tisch stehen lassen, denn ich werde neben ‘Zeit haben’, ‘Kekse knabbern’, ‘Tee trinken’ und ‘überfällige Berichte schreiben’ auch viel illustrieren. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht so tun muss, als ob ich während dieser Zeit in Finnland wäre und mich einschneien lasse. Ich kann auch warm angezogen in meiner Grillhütte am Ende des Gartens sitzen und an den Illus arbeiten (das geht natürlich nur, so lange das Wasser für die Aquarellfarben nicht einfriert und die Finger beweglich bleiben), höre dann weder Klingel noch Telefon und bin wirklich unerreichbar. Das ist für die Presse auch viel interessanter, wenn die geheimnisvolle Autorin nicht zu sprechen ist und nur hin und wieder per Mail antwortet. Natürlich muss ich aufpassen, dass ich den Weg zur Grillhütte immer mit einem Tuch über dem Kopf zurücklege, damit die Paparazzi-Fotos, die aus den Büschen der Nachbargärten geschossen werden, auch richtig gut aussehen. Na, die nächsten Wochen scheinen richtig spannend zu werden! Ich werde jeden Sonntag berichten, was ich geschafft habe und wie ich die wartenden Paparazzi reingelegt habe.

 Zwischendurch kann ich ja noch etwas ‘verlegen’ üben. Die Zeichenfedern, die ich so gut ‘verlegt’ hatte, sind übrigens wieder aufgetaucht. Nicht im Telefonbuch, sondern im Küchenschrank. Das macht die Sache ja so interessant. Wenn alles im Telefonbuch bei ‘S’ liegen würde, wäre das Verlegen nicht so spannend.


Kann ich meinen Haushalt, in dem ich so viel verlege, schon als Verlag bezeichnen?
Werde ich mal so geheimnisvoll und unerkennbar wie Walter Moers werden, von dem es seit Jahren nur noch Bücher, aber keine Fotos gibt, oder ist es dazu schon zu spät?
Und was passiert sonst noch?


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