WHAT A FEELING!
                     15. Januar 2004    Contra-Kreis, Bonn

Ein kleines, kreisrundes Theater mit etwa 250 Sitzplätzen, die Bühnenfläche im Durchmesser höchstens 10 Meter groß - und hier sollte ein Musical stattfinden? Leicht skeptisch, aber durchaus bereit für Überraschungen, nahm ich meinen Platz in der ersten Reihe ein. Uah, erste Reihe, nicht gerade meine Lieblingsreihe, aber ich hatte es mir nicht aussuchen können, denn die Karten hatte ich von einem begeisterten Besucher geschenkt bekommen: “Das musst du unbedingt ansehen!” Hoffentlich musste ich nicht irgendwie mitspielen! Keine zwei Meter neben mir stand ein Klavier, schräg vor mir ein Stuhl, und meine Beine reichten bis ins Bühnenbild hinein. Da würde ich aufpassen müssen, dass keiner der Schauspieler darüber stolperte.

Ich versuchte mich ansprechend hinzusetzen. Bloß jetzt nicht so sackartig auf dem Stuhl rumhängen, wenn ich von Schauspielern und gegenübersitzenden Zuschauern genau gesehen werden konnte! Und wohin mit den Händen? Eigentlich saß ich gerne mit bequem verschränkten Armen, aber nachdem mich ein Warm-Upper bei einer Sendung mal ironisch “die Dame mit der offenen Körperhaltung” genannt hatte, versuchte ich diese Sitzhaltung zu vermeiden. Wer will schon verklemmt und abweisend aussehen? Na, OK, ein Bein lässig über das andere geschlagen, die Hände locker platziert und aufgepasst, dass der in den Bühnenbereich ragende Fuß nicht zur Stolperfalle wurde. In offener, lockerer Körperhaltung, die lange nicht so gemütlich wie die verschränkten Arme war, sah ich dem Stück entgegen. (Wer weiß? Vielleicht versteckte ich mich ja wirklich hinter meinen Armen und beobachtete von da aus alles genau, ohne selbst zu viel von mir zu zeigen.)

Die Handlung ist schnell erzählt. Nach beruflicher und privater Pleite kommt Alex in seine Heimatstadt zurück, wo ihm nur eine alte Garage geblieben ist. Vor 15 Jahre hatte er dort seine Band “Love Cats”, die wegen Problemen zwischen ihm und seiner großen Liebe Aylin auseinanderbrach. Sein früherer Bandkollege Chris möchte die Garage kaufen, um auf dem Grundstück ein Kino zu bauen. Durch eine spontane Wette versucht Alex die “Love Cats” wieder zusammenkommen zu lassen, was sich als nicht einfach erweist, denn die ehemaligen Freunde sind familiär oder beruflich stark eingespannt und zum Teil zerstritten.

Aus dieser etwas einfachen Story hätte man eine nette Geschichte mit schöner Musik machen können. Ein guter Held, ein böser Gegenspieler, viele Freunde, und am Ende wird alles gut. Die sieben Schauspieler machten daraus aber eine mitreißende, witzige, von Live-Musik geprägte Show, die am Ende die begeisterten, laut singenden Zuschauer von den Stühlen riss.

Sie sangen und spielten bei sparsamen, aber punktgenauen Dekorationen und brachten dabei eine große Spielfreude rüber. Der Spaß ging sofort auf das Publikum über, das aufmerksam und freudig mitging, gelungene Szenen mit Applaus belohnte und locker lachte, wenn es witzig zuging. Das Stück war logisch und mit Schwung inszeniert und keinen Augenblick langweilig. Was für eine geniale Idee so viele vertraute und wunderschöne Lieder in eine Handlung einzubinden und damit die Ohrwürmer sofort im Stück zu haben!

Es gab wunderbare kleine Szenen, als der ebenso charismatische, wie hinterhältige Chris (Heiko Stang) als Karrieretyp im Anzug beim netten, aufrichtigen Looser Alex (Leon van Leeuwenberg) erschien und für einen kurzen Moment von der Musik gepackt wurde, eine Mundharmonika zückte und mit seinem früheren Freund zusammen “Piano Man” von Billy Joel spielte. Danach wurde er allerdings wieder gemein und tanzte später alleine und gierig mit einem riesigen Scheck herum.

Oder Familienvater Olli (Dirk Harper), der seinen alten Bass rauskramte, die Brille absetzte und Takt für Takt vom biederen VHS-Kurs-Besucher in Gesundheitsschuhen, zum harten Rocker einer Band mutierte und in seinem Überschwung sogar gegen einen Stuhl trat, der quer durch die Gegend flog.

Die Musik war ebenfalls sehr gut gewählt. Es waren Songs aus den 70er und 80er Jahren, die das damalige Repertoire der Band darstellen sollten. Immer wurde das passende Lied zur Szene gebracht, mal leise zum Piano gesungen, mal laut von den fast unsichtbar hinter der Dekoration stehenden Bandkollegen begleitet. Die Schauspieler waren alle auch Musiker, die zum Teil mehrere Instrumente spielen konnten und absolut hochwertige Live-Musik machten. Oder wie mein Gatte anerkennend und sehr begeistert sagte: “Mit minimalem Aufwand ein optimales Ergebnis.” Es machte einfach Spaß! Dabei wurden nicht nur die gängigen Nr-1-Hits gebracht, aber trotzdem ging bei jedem Lied ein freudiges Erkennen durch das Publikum und ich überlegte jedes Mal: “Ach, ja, wie schön! Von wem war das nochmal??” 

Ganz toll auch die zierliche Barbara Köhler, die als Aylin mit ihrem umwerfenden Gesang überzeugte und sehr süß und niedlich wirkte. Caroline Kiesewetter war die extrem sexy wirkende Gegenspielerin Marion, und Stephan Ohm und Stephan Scholl brachten in ihren Nebenrollen kleine running gags. Nebenrollen waren das aber nur, weil die beiden schauspielerisch nicht so oft auftreten konnten, da sie als Schlagzeuger und Keyboarder die vielen musikalischen Einlagen im Background unterstützen mussten.

Sehr berührend war “Don’t give up”, das als Duett von Barbara Köhler und Leon van Leeuwenberg gesungen wurde, als Alex drauf und dran war, alles hinzuschmeißen, und als dann noch alle Freunde zusammen ein aufmunterndes “That’s what friends are for” sangen, um Nelson in der Stadt zu halten, näherte sich die Geschichte ihrem guten Ende.

Natürlich standen sie am Schluß alle gemeinsam auf der Bühne, die Wette war gewonnen, der böse Chris geläutert, die finanziellen Sorgen verschwunden und Aylin und Alex wieder ein glückliches Paar. Kitschig und zu schön, um wahr zu sein, aber irgendwie genau das, was ich haben wollte. Ich stand wie alle anderen Zuschauer vor meinem Sitz, bewegte mich rhythmisch, klatschte mit (im Gegensatz zu den meisten anderen Besuchern übrigens auf 2 und 4) sang laut und jubelte den Darstellern zu, als wären es wirklich die endlich wiedervereinigten “Love Cats”. Mehrere Zugaben schallten durch den Raum, mal sang das Publikum alleine, mal mit den “Love Cats” zusammen, und ich dachte überhaupt nicht daran mit verschränkten Armen zu sitzen und verklemmt und abweisend zu wirken.

Ganz dickes Lob! An die Schauspieler und ihr musikalisches Können, an ihre Spielfreude, die passende Deko, die gute Story, die treffende Regie, die richtigen Lieder, die tolle Stimmung, die dicke Portion Nostalgie und das begeisterte Publikum.

Ganz nebenbei: Am nächsten Morgen habe ich sofort für einen der letzten Termine im Bonner Contra-Kreis-Theater noch Restkarten reserviert, damit ich meinen Kindern so ein Erlebnis mit auf ihren Weg geben kann. Ich habe die Vermutung, dass es sie schwer beeindrucken wird.

Die beiden Bilder stammen übrigens von  www.contra-kreis-theater.de , um mal direkt den Link dorthin zu liefern.


Kleiner Nachtrag: Am 31.1.2004 waren wir zusammen mit den Kindern nochmal in “What a feeling”. Das Publikum war im Schnitt etwas älter und ein typisches Samstag-Abend-Publikum (Motto: Lass uns doch mal ins Theater gehen, das Stück im Contra-Kreis soll gut sein.) Die Zuschauer hatten viel Spaß, die Stimmung war sehr gut, aber da die meisten von ihnen die Lieder nicht gut kannten, sangen weniger Leute mit und alles wirkte etwas zurückhaltender. Trotzdem war es ein toller Abend, bei dem sich die Schauspieler voll einsetzten und der mir von Anfang bis Ende sehr großen Spaß machte. Ich kannte das Stück und alle Gags und war trotzdem die ganze Zeit über mit Spannung dabei.
Unsere Kinder, die für ihr Alter schon relativ viel Theater und Konzerte erlebt haben, waren absolut begeistert. “Können wir für morgen nochmal Karten holen?” war die erste, dringende  Frage nach dem Schlußapplaus. Ich gehe davon aus, dass es eine Vorstellung war, an die sie sich ihr Leben lang erinnern werden, weil es so intensiv und schön auf sie gewirkt hat. Toll, wenn man solche Erinnerungen in sein Erwachsenenleben mitnehmen kann! Auf der Rückfahrt sangen sie immer wieder Melodiestücke, die ihnen im Kopf geblieben waren.
Leider sind die letzten Vorstellungen im Contra-Kreis ausverkauft, so dass wir jetzt auf eine Neuaufnahme hoffen, oder auf ein anderes Theater, in dem “What a feeling” gespielt wird. Wir sind sofort wieder dabei!
Prädikat: Absolut zu empfehlen!

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