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Anette Dewitz

                4.12.2004    STUNKSITZUNG    PREMIERE    E-Werk, Köln

BASISWISSEN: Für alle, die nicht wissen, was die Kölner Stunksitzung ist, erkläre ich das hier mal schnell: In Köln gibt es den offiziellen Karneval, der fest in der Hand verschiedener, großer Karnevalsvereine liegt und wenig mit lockerem Straßenkarneval zu tun hat. Es ist alles geregelt, nur wer sich ans interne Protokoll hält, darf mitmachen und wer sich nicht anpasst, kriegt Ärger. Für Geschäftsleute ist es günstig Mitglied in einem der Karnevalsvereine zu sein, weil man dort gut Geschäfte absprechen kann und Beziehungen bekommt. Allerdings: Der offizielle Karneval ist nicht immer lustig. Da helfen auch keine Narrenkappen auf dem Kopf.

1984 machte eine Gruppe von Sozialpädagogik-Studenten Stunk (Stunk = Ärger, Streit; “ich mach Stunk” = Absicht, sich zur Wehr zu setzen, Widerstand leisten zu wollen) und veranstaltete an der Uni Köln die Parodie einer Karnevalssitzung. Keine Prunk-, sondern eine Stunksitzung. Ursprünglich war der Karneval mit seinen Uniformen und Sitzungen ja gedacht, um die Obrigkeit zu verarschen, inzwischen war er aber so ernst und festgefahren, dass er wiederum selber verarscht werden konnte. Die Studentengruppe erstellte ein Stunksitzungs-Programm, erster Stunksitzungs-Präsident war Jürgen Becker, es gab drei ausverkaufte Vorstellungen (Eintrittspreis 7,- DM) in der Uni-Mensa, und der Erfolg war so groß, dass die Veranstaltzung im folgenden Jahr wieder gemacht wurde.

Inzwischen ist sie Kult geworden und wird jährlich im WDR-Fernsehen gezeigt. Einige der Ursprungsmitglieder sind noch dabei, manche von ihnen sind hauptberuflich auf die Bühne gegangen und die Vorstellung ist kein Laienprogramm mehr, sondern von vorne bis hinten eine Profi-Veranstaltung. Fester Bestandteil des Programmes sind neben den einzelnen, thematisch voneinander getrennten Nummern, auch die Musiker von ‘Köbes Underground’, die sehr temperamentvoll und fetzig Coverversionen spielen und inzwischen schon ihre eigenen Fans haben. In der Session 2005 nahmen drei Musiker eine Auszeit, darunter auch Ecki Pieper, der Frontman, dessen Posten Purple Schulz übernahm. An der Gitarre stand während der Session sein Partner Josef Piek, und ich hatte endlich mal einen Grund live bei einer Stunksitzung dabei zu sein.


BERICHT:
Im Kölner E-Werk waren lange Reihen von Tischen und Bierbänken aufgebaut, die an ein gigantisches Oktoberfest erinnerten. Ein paar einsame Luftschlangen ringelten sich dekorativ auf den langen Papiertischdecken und waren die einzige Verbindung zum Karneval. Keine Luftballons, keine Pastik-Clowns-Masken an den Wänden, keine glitzernd rot-weißen Puscheldekorationen an der Decke - nur der große Bühnenaufbau fiel auf, aber der sah nach Maschine und Fabrik aus und hätte auch zu einem Theaterstück gehören können. Als sich eine Stunde vor Beginn der Vorstellung die Saaltür öffnete, strömten sofort viele Menschen hinein. Mit gehetztem Schlußverkaufsblick eilten sie im Laufschritt durch den Raum, peilten blitzschnell die Lage, rannten auf freie Sitzreihen zu, die sie mit Jacken und Taschen belegten, um einige zusammenhängende Plätze zu reservieren. Erwachsene Menschen stellten sich danach auf die Bierbänke, winkten und riefen hektisch ihre Freunde heran oder dirigierten sie moderner per gegenseitiger Mobilverbindung an den gefundenen Platz. Der Aufwand war dringend nötig, wenn man mit einer etwas größeren Personengruppe zusammen an einem Tisch sitzen und dazu möglichst noch einen guten Blick auf die Bühne haben wollte. Nach nicht mal 15 Minuten waren fast alle Plätze verteilt und es wurde ruhiger. Nur die Gesprächsfetzen schwirrten laut durch den Raum.

Die Stimmung im Saal war prickelnd und voll spürbarer Vorfreude. Die Zuschauer wussten, dass sie heißbegehrte Premierenkarten hatten, waren gespannt auf das neue Programm der Stunker und wollten sich amüsieren. Nur sehr wenige Leute waren in Kostüm gekommen, einige zogen erst jetzt aus den Taschen wenigstens einen Hut oder einen Kopfschmuck, der in den meisten Fällen eine rote Nikolausmütze war, und nur auf der Empore sammelte sich eine ganze Gruppe von rot-weißen Nikoläusen. (Nur zur Fernsehaufzeichnung und an Karneval kommen die Besucher kostümiert an und verwandeln den Zuschauersaal in eine echt Karnevalssitzung.)

Freudig wurde der Beginn der Vorstellung begrüßt, der dann aber nicht mit Krach und Dschingderassabum loslegte, sondern bei abgemildertem Bühnenlicht sehr ruhig und fast gemäldeartig eine Krippenszene darstellte. Ein Engel kam durch den Saal, entzündete über der Bühne einen Stunksitzungstern mit Schweif und das Jesukind begann mit sanfter Stimme bei zarter Musikbegleitung zu singen: “Ich bin ‘ne kölsche Jung...” Josef sang seine Maria an: “Oh, oh, Marie, isch han misch verlore...” und die Heiligen Drei Könige boten ihre Gaben an: “Bloodwosch, Kölsch un e lecker Mädsche...”  Sanfte, weihnachtliche Klänge kombiniert mit kölschem Karnevalsgut. Wunderbar! Und dazu wunderschön. Die Stimmung war so ruhig und sanft, dass die Texte gar nicht als unpassend zum Bild empfunden wurden.


Im Endapplaus setzte sofort laut und knallig ‘Köbes Underground’ mit dem Opener ein, das Licht leuchtete hell auf, die Gruppe von Nikoläusen lief zusammen mit der Präsidentin Biggi Wanninger winkend durch den Saal und waren der täglich wechselnde Elferrat, der zu seinem Platz über der Bühne eilte. Das Publikum klatschte aufgedreht den Rhythmus der lauten Musik mit und es war sofort eine tolle Stimmung im Saal.


Oben angekommen ergriff die Stunksitzungspräsidentin das Wort, und während auf der Bühne im Halbdunkel schnell eine neue Dekoration aufgebaut wurde, machte sie eine ihrer Zwischenmoderationen, die eigentlich auch kleine, über den Abend verteilte  Nummern waren, die mal witzig, mal ironisch hart ausfielen und immer am Ende auf den nächsten Programmpunkt überleiteten.

Das Zentralkomitee des Arbeitgeber- und Bonzenstaates kam im Klatschmarsch quer durch den Saal auf die Bühne marschiert, und die beiden Vorsitzenden (Anne Rixmann, Purple Schulz) ließen vor den angetretenen ‘Spargelstecherinnen aus dem Vorgebirge’ und den ‘Helden der Arbeitslosigkeit’ aufmunternde Sprüche ab. Der eine Vorsitzende war der wiedererweckte Erich Honecker, der so gequetscht, dünn und sächselnd wie zu seinen Lebzeiten sprach und nur sehr entfernt an Purple Schulz erinnerte. Die gebeugten Weiblein in Arbeitskitteln, Gummistiefeln und Kopftüchern und die Herren in engen Trainingsanzügen sahen wirklich zum Weglachen aus. Am Schluß zogen sie musikalisch “Ab in die Rüben!”.




Ein frustrierter Wahlkämpfer der SPD (Bruno Schmitz) stand danach an seinem Stand, haderte lautstark mit den Wählern, tobte über die Bühne, beleidigte die Zuschauer, die er “doofer als 100 Hektar Mischwald” nannte, woraufhin diese laut lachend applaudierten und Spaß an den Ausbrüchen des SPD-Mannes hatten. Sehr klasse gespielt!


Zwischen den Programmpunkten gab es immer wieder die Köbesse, die mit fetziger, mitreißender Musik Stimmung machten. Ich sah Ecki Pieper, den sonstigen Frontman an einem der Tische im Saal sitzen und fröhlich mitklatschen, und ich freute mich, dass Purple so gut ankam. War ja ein kleines Risiko, wenn plötzlich ein anderer Sänger das Mikro bei einer kultigen Band übernahm, aber die Zuschauer schienen sofort überzeugt zu sein. Das lag nicht zuletzt an der vollen Energie und dem sichtbaren Spaß, mit dem Purple an die Sache ging. Außerdem versuchte er nicht Ecki zu kopieren, sondern war ganz einfach Purple, der Vollblutmusiker.


Zwei Wackeldackel (Tom Simon, Beate Bohr) in der Hutablage eines Autos bekamen fast durchgehendes, leises Gelächter, weil sie so süß aussahen. Die Idee und das Kostüm waren total klasse, die Nummer witzig, aber etwas zu lang. Gegen Ende wiederholten sich die eingeschränkten Bewegungen der Köpfe, ohne dass es textlich einen grandiosen Abschluss gab, aber die schöne Optik holte einiges raus.


Ein Blick in den neuen Disneyfilm ‘Entengang’ fiel zuerst unerwartet ernst aus. Die Szene spielte im Führerhauptquartier, die Kostüme sahen echt aus, Bombeneinschläge waren zu hören, und ich fand es zu realistisch, um witzig zu sein. Fast schon bedrückend - bis der Führer (Ozan Akhan) kam. Der hatte einen Entenbürzel und schnatterte seine Befehle so heiser wie Donald Duck. Er hatte Bewegungen von Charlie Chaplin drauf, die Hektik von Donald, und dazu ein herrisches Wesen, was die Szene sofort witzig und überhaupt nicht mehr ernst machte, auch wenn die Schauspieler weiterhin sehr ernsthaft spielten.

Großes Kino, wie der Kenner an dieser Stelle sagen würde. Am Ende gab es dramatisch und eigentlich überflüssig viele Tote, und das i-Tüpfelchen der Nummer war ein an die Filmszene anschließendes Fernsehgespräch mit dem Hauptdarsteller der Hitlerfigur, der dabei völlig unerwartet weiter mit Donald Duck Stimme quakte.


Anstelle der “Randfichten”, die mit ihrem “Holzmichel”-Lied die Hitparaden stürmten, kamen die “Landnichten” auf die Bühne. Sie jodelten vor, das Publikum jodelte nach, und dann ging es zur Holzmichel-Melodie mit neuem Text über den Papst, den Krieg im Irak und Mettbrötchen los. Sehr schön dargestellt und wie echt volksdümmlich. Unter dem Geklatsche und Gejubel der Zuschauer kam anschließend Trude Herr (Biggi Wanninger) vom Himmel herunter, meckerte über die viele Löcherbuddelei in Köln und sang unter der tänzerischen Begleitung des Harfenheini (Christian Rzepka) ein Lied. Was für eine Stimme! Laut, rauh, kölsch und rockig.




Zwei Hasen brachten Gelächter in den Saal. Ihr Beitrag war nicht gerade logisch, begann mit einem fehlenden dritten Mann und endete musikalisch mit dem Motiv vom “Dritten Mann”, (was nach ein paar Wochen Aufführung aber in die Melodie von “Drei Chinesen mit dem Kontrabass” geändert wurde, weil die Anspielung nur wenige Leute verstanden hatten, obwohl der Film ja eigentlich ein Klassiker war). Die beiden Hasen waren so etwas wie das legendäre Colonia-Duett in der Nagerversion, und der hektische Hase (Martina Klinke) ließ mir vor ansteckender Aufregung den Atem stocken. Nee, was war der nervös! Wunderbar gespielt, wenn auch als Nummer etwas gaga.



Sofort danach wurde es geheimnisvoll düster auf der Bühne und Purple Schulz erschien im Scheinwerferlicht. Mit hellem Pulli und Wollmütze bekleidet, in der Hand eine Plastiktasche, sang er mit fremd wirkender Stimme und ließ mich zunächst erschreckt gucken. Wieso sang der denn so komisch? Das hörte sich ja an wie ein seichter Schlager! Bei der Stunksitzung!? War es ein Protest-Schlager, oder was?? Es ging irgendwie um Hunger und um ein Geschäft, das weg war. Beim Refrain wurde es klar: Es war Xavier Naidoo, der da über die Bühne jammerte und ein Wurstproblem hatte, weil seine Metzgerei zugemacht und stattdessen ein Ökoladen aufgemacht hatte. Aus dem Original: “Und ich wollte noch Abschied nehmen...” war: “Und ich wollte noch Aufschnitt nehm’n und nicht diese Tofucreme....” geworden. Superwitzig. Das Publikum reagierte mit vergnügtem Gelächter und freute sich über den Klagegesang. Ein kleiner Chor aus Fleischereifachverkäuferinnen und -verkäufern begleitete im Background, und am Ende gab es dicken Applaus vom Publikum.



Sehr spannend wurde es bei einem Einbruch ins Museum Ludwig, bei dem sich die beiden Hauptdarsteller (Ozan Akhan, Günter Ottemeier) von oben in die Ausstellungsräume abseilten und sich nicht immer geschickt anstellten. “Uhrenvergleich!” “Ich habe eine Swatch.” “Ich auch.” Durch Musik, Lichteffekte und witzige Gags war besonders der Anfang sehr gelungen und es gab viel Gelächter. Am Ende wurde es etwas zu lang, aber auch das wurde im Verlaufe der nächsten Abende gestrafft und temporeicher.


Die Köbesse brachten eine wunderbar abgedrehte Version der ‘Bohemian Rhapsodie’ als kölsches Krätzcher. Es war eine Zirkusnummer mit lautem Gesang, hämmernder Basstrommel und drei kostümierten Sängern (Josef Piek, Purple Schulz, Winni Rau). Ein bißchen wie Freddie Mercury aus dem Vorgebirge. Unglaublich! Aber auch unglaublich gut! Was die aus dem Stück gemacht hatten! Es war witzig, kölsch und musikalisch verblüffend gut. Freddie Mercury hätte wirklich seine Freude dran gehabt!


Als Schlußnummer vor der Pause gab es ganz großes, indisches Bollywood-Kino. Ein Erzähler (Günter Ottemeier) führte durch die Geschichte, in der die schöne, aber etwas blöde Heidira Klum (Anne Rixmann) auf der Suche nach dem Mann für’s Leben war. Ein dickes Extralob für die fazinierenden Anblicke der Kulissen und Kostüme. Selbst die Musiker hatten Turbane auf, saßen zum Teil auf dem Boden und hielten die Gitarren beim Spielen mit den Hälsen nach oben, so dass sie wie Sitars aussahen. (Ich nehme nicht an, dass die Mehrzahl von ‘Sitar’ ‘Sitarren’ heißt.) Auch die Musik hörte sich fremdartig an und klimpernde Halbtöne klangen durch den Saal.

Sehr witzig waren die überall in den Text eingestreuten indischen Wörter: “Ich krishna Krise”, “Ghandi das?” oder “Mahatma Glück, Mahatma kein Glück.” Die Kulissen ließen sich klappen und damit blitzschnell der nächsten Szene anpassen, und sogar einige Nikoläuse des Elferrates beugten sich oben neugierig über die Brüstung, um genau zu sehen, was sich unten in der Dekoration abspielte. Am Schluß hatte Heidira, die “bei den Pfandflaschen das Kastensystem nicht verstand” endlich ihren Seal gefunden und die indische Gesellschaft zog tanzend durch Saal ab in die Pause, während das Publikum laut zur Musik klatschte.


PAUSE: Im Saal gab es Bewegung, verspannte Rücken wurden vom Eineinhalb-Stunden- quer-auf- der-Bierbank-Sitzen stöhnend wieder zurechtgebogen und sowohl die Klos im Keller, als auch das Raucherfoyer wurden eifrig aufgesucht. Die Stimmung im Saal blieb aufgedreht und gut gelaunt. Als ein Klingeln das Ende der Pause bekannt gab, kamen alle Besucher zu ihren Plätzen zurück und beeilten sich, als das dritte Klingen schon fast ungeduldig schrill klang. Köbes Underground heizte die Stimmung mit dem Opener wieder hoch, aber da die gar nicht sehr runtergegangen war, war das nicht viel Arbeit.

ZWEITE HÄLFTE: Es ging weiter im Programm mit der Live-Reportage über eine große Flutwelle, die sich auf Köln zubewegte. Noch 4 Minuten, dann würde sie die Stadt erreicht haben, und per Liveschaltung wurde aus mehreren Ortsteilen berichtet. Bürgermeister Schramma sprach optimistische Worte, die Kölner Verkehrsbetriebe hatten Verspätungen “es ist also wie immer”, und der Stadionsprecher freute sich, dass der FC im Wasser schon um einige Meter aufgestiegen war. Als die Flutwelle Köln fast erreicht hatte, sang Henning Krautmacher mit den Höhnern los und die geschockte Welle zog sich sofort zurück. Die Höhner hatten Köln gerettet! Ein Teil des Publikums stimmte sofort fröhlich in die Melodie von “Da simma dabei...” ein und wäre als Flutwelle nicht zu stoppen gewesen.


(Als es an Weihnachten die katastrophale Flutwelle in Asien gab, wurde die Nummer sofort komplett aus dem Programm genommen, somit also auch nicht vom WDR aufgezeichnet, sondern nur von den Dezember-Besuchern der Stunksitzung gesehen.)

Gewöhnungsbedürftige Reime gab es beim Köbes-Lied über das “Brauchtum” zu hören. “With or without you” von U2 war textlich verändert worden und ich fand es wunderbar, wie sich “wegen dem Brauchtum” auf “um den Bauch rum” reimte. Außerdem war das Lied sehr ruhig und sanft, was auch mal schön war. Erst gegen Ende wurde es rockiger und die Zuschauer stimmten laut singend und klatschend in den Refrain ein. 

Eine verzweifelte Mutter (Beate Bohr) lief danach auf der Bühne vor der geschlossenen Kinderzimmertüre hin und her, hinter der ihr Dennis lag, der nach der Versammlung der “Poller Negerköpp” im Kostüm zur Versammlung der rechten “Pro-Köln” gegangen war und natürlich von seinen Genossen zusammengeschlagen worden war. Sie jammerte weniger über seine gebrochenen Knochen, als vielmehr über seine Blödheit. Ich fand die Nummer von der Idee her gut, aber weder richtig witzig, noch hart und spitz genug. Sie hatte von allem etwas, war aber nicht so ausgeprägt, um ganz rund zu wirken. Entweder nur blöde Vorurteile, oder richtig hart, aber nicht in dieser Mischung, fand ich. Das Publikum war bei der Premiere übrigens durchgehend aufmerksam und lachbereit und verfolgte das Programm konzentriert. Sehr schön! 

Die Musiker von Köbes Underground veranstalteten als Blueman in “Blaumännern” einen der musikalischen Höhepunkte. Sie hatten unterschiedlich lange Plastikrohre dabei, mit denen sie auf den Rücken von gebeugten, schmerzverzehrten Funken trommelten und dabei erstaunlicherweise ein richtiges Lied spielten. Es gab einen mehrstimmigen, dumpfen, klopfenden, aber trotzdem melodiösen Klang, aus dem ich sofort “Funky Town” erkennen konnte. Na gut, nicht ganz sofort, die ersten Takte lang dachte ich: “Das Lied kenne ich - wie heißt das noch?”, aber dann hatte ich es. Superklasse! Es hörte sich sehr ungewöhnlich an, war wunderbar rhythmisch und wirklich toll. Der Text war: “Komm mit, wir gehen --- Funken hau’n!” und die Zuschauer ließen sich mitziehen und setzten mit ein. Ich habe übrigens keine Ahnung wie man solche Klänge erzeugt. Vermutlich mit irgendwelchen Resonanzkörpern unter den Jacken der Funken. Dass es nicht die Funken selber sind, die beim Verkloppen diese hohlen Töne erzeugen, ist mir aber schon klar.


Am Ende gab es ganz großen Applaus, ein begeistertes Pfeifkonzert und laute Zugabe-Rufe, die aber von Biggi Wanninger geschickt ausgebremst wurden. Wer hören wollte, was sie in den Lärm sagte, musste aufhören zu schreien, und in diese Lücke hinein begann sie mit der nächsten Anmoderation.

Begüterte 68er und Grüne (Bruno Schmitz, Doris Dietzold, Doro Egelhaaf, Christian Rzepka) trafen sich bei der nächsten Szene auf dem Balkon eines prächtigen Altbaus, wo in elitärem Rahmen eine Demo stattfand. Beziehungsweise, man ließ demonstrieren, während man feierte und die bezahlten Ersatzdemonstranten unten auf der Strasse per Handy dirigierte, die die aus der Toscana mitgebrachten Steine warfen. Ein Alleinunterhalter in glitzerndem Jackett (Purple Schulz) spielte an der Orgel “We shall overcome” als softe Unterhaltungsversion und sang mit seiner Partnerin (Anne Rixmann) schmierig weich dazu.


Rüpeliger wurde es, als der Karnevals-Bauer (Winni Rau) auf Solotour vorbeikam. Zuerst rappte er in bewußt einfacher Textform: “Ich bin der Bauer!”, während sein Hofstaat sich dazu rhythmisch bewegte, dann brüllte er es ramsteinmäßig raus, und im Hintergrund gab es wildes Headbanging. Am Ende ließ er sich von der Bühne auf die Arme seiner Helfer fallen und durch die Zuschauermenge nach draußen tragen. Sehr witzig und der Saal tobte.



Im Kombibad Höhenhaus kümmerte sich der türkische Bademeister (Ozan Akhan) um die Schwimmer, pfiff gellend und rief Sätze wie: “Fatima, dein Kopftuch schwimmt weg!” Eine türkische Welt in einem Kölner Schwimmbad. Er demonstrierte gelungenes Miteinander, als er mit Bandbegleitung der Köbesse deutsche Schlager mit umgeänderten Texten sang: “Immer wieder Sonntags, da singt der Muezzin...” oder “Es giiiiiibt Milli-o-nen von Türken....” Das Publikum schunkelte mit und saß dabei breitbeinig hintereinander auf den Bierbänken, so dass die Bewegungen im Saal wie große Wellen aussahen. Großes Finale der Nummer war “Tür an Tür mit Ali” bei dem das Publikum unaufgefordert: “Ali? Who the fuck is Ali???” brüllte.



Um die einfachste, billigste und entbehrungsreichste Form Urlaub zu machen ging es danach, dann stürmten Biggi Wanninger und Purple Schulz als blaue Funken über die Bühne und in den Zuschauerbereich hinein, wobei Purple versuchte mindestens eine Zuschauerreihe zwischen sich und seiner Partnerin zu haben, denn sie war sehr sauer auf ihn. Sie kletterten auf Tische und Bänke und röhrten schließlich gemeinsam: “Zu dick für Alaaf?” Aber natürlich waren sie sich am Schluß einig, stellten freudig fest, dass niemand zu dick oder zu dünn für Alaaf sei, und als Purple dann auch noch ein Solo auf der Harp spielte, jubelten die Zuschauer los. Eine witzige, mitreißende Nummer!


Ebenfalls toll war ein Schwarzlichttheater, bei dem zwei Putzfrauen einen verbissenen Kampf um Besen und Eimer führten. Es war sehr verblüffend, und auch wenn hin und wieder mal schwarzgekleidete Helfer-Gestalten beim Bewegen der Beine und des Zubehörs zu sehen waren, fand ich das überhaupt nicht schlimm. Es war schließlich keine ausschließlich für so einen Zweck aufgebaute Bühne, und das Ergebnis war superklasse. Ganz spitzenmäßig fand ich, als eine Szene nicht nur in Zeitlupe gezeigt wurde, sondern gleichzeitig auch die Kamerasicht von oben gemacht wurde, indem sich die Szene um 90 Grad auf die Zuschauer zudrehte. Wie in einem richtigen Action-Kinofilm. Vermutlich haben die Stelle nicht alle begriffen, aber wenn ICH das sofort tue, ohne dass mir das einer erklärt hat, ist sie deutlich genug. Kompliment für diesen Programmpunkt!

Den Abschluß des Abends bildete ein kleines, wunderschönes Musical. Es ging um den Glöckner von Notre Dame (Günter Ottemeier), der bei der Stunksitzungs-Vorstellung natürlich auf dem Kölner Dom lebte und sich in ein Tanzmariechen (Doro Egelhaaf) verliebte. Abgesehen von den aufwändigen Dekorationen, gab es wunderschöne Livemusik und ganz ernsthafte Schauspielerei. Wenn Quasimodo die Hand vor sein Gesicht hielt und mit rauher Stimme sagte: “Ich bin so häßlich!”, waren die Lacher der Zuschauer mitleidig gedämpft, weil das einfach ans Herz ging. Trotzdem gab es auch viele sehr humorvolle Stellen und die ganze Nummer war rund und gut gestaltet. Kamelle, Strüßjer und Granitblöcke flogen durch die Gegend, Kardinal Meißner tauchte auf und es gab dramatische Szenen.



Am Schluß kam natürlich das Happy End und Quasimodo und sein Mariechen schwebten langsam in den Sternenhimmel empor, während Purple mit seiner hohen, kräftigen Stimme zu der Melodie von John Miles’ “Music” sang. Hach, da lächelte ich nur noch sentimental und gerührt. Wunderschön! So muss ein Showschluss sein! Ich bin aber sowieso ein Softei, das auf solche Szenen stets vorbildlich mit Dahinschmelzen reagiert. Eine finale Zirkusnummer am Ende eines gelungenen Abends, glitzernde Sternenbeleuchtung und ein singender Purple - da kann ich nicht anders.

Mit den letzten Tönen verlosch das Licht und der Jubel der sehr begeisterten Zuschauer ging los. In der Dunkelheit hörte man plötzlich die vier Anzählschläge des Drummers, und mit Schwung und bei aufleuchtenden Scheinwerfern starteten die Köbesse die musikalische Schlußnummer und wischten die Rührung mit Temperament und Lautstärke beiseite. Biggi Wanninger las die vielen Namen der an der Produktion beteiligten Menschen vor, und alle kamen auf die Bühne und machten sie richtig voll. Es ist immer wieder überraschend, wie viele Leute unsichtbar im Hintergrund mitarbeiten, damit die Leute auf der Bühne gut agieren können.



Die Gesichter vor und auf der Bühne strahlten, der Beifall klang laut durch den Saal, und die Premiere war gelungen. Langes Geklatsche, die Zuschauer gaben Standing Ovations und es dauerte eine ganze Zeit bis die Darsteller die Bühne verlassen hatten und der Applaus im Saal etwas schwächer wurde. In diese Stimmung hinein startete Köbes Underground mit Ozan, dem türkischen Bademeister, als Frontsänger. Er rief: “Seid ihr gut drauf? Können wir weitermachen?” und das Publikum jubelte auf. Wieder verschmolz er kölsche mit türkischer Kultur und sang in kollernden Vierteltönen: “Links eröm - Köhölle Alahahaaaf, Rechs eröm - Köhölle Alahahaaaf...” Es passte zusammen, und der Elferrat stürmte die Bühne und tanzte wild zu der Musik herum. Große Party im Kölner E-Werk mit völlig selbstverständlichen türkischen Einlagen. Klasse. So ganz nebenbei erwähnt, hatte der Sänger einen sehr geschmeidigen Hüftschwung, den er unter dem Jubel der weiblichen Zuschauer immer mal einsetzte.


Fazit: Ich fand die Stunksitzung 2005 sehr gut. An einigen Stellen hätte ich ein paar Sätze gerafft, um genau dann aufzuhören, wenn es am besten lief, aber es war nicht langatmig oder gar langweilig. Die meisten Sachen waren sehr gut, witzig und wirklich klasse gebracht. Ein dreieinhalbstündiges Programm mit viel Abwechslung in den verschiedenen Szenen und mit wirklich tollen Darstellern. Großes Lob für die wunderbaren Ideen, die tolle Deko, für die oft sehr aufwändigen Kostüme und nicht zuletzt für das Tempo der Darsteller und Musiker beim Umziehen. Als Funke raus, als Inder rein. Sehr gut auch Köbes Underground, die fetzige Musik machten und die in dieser Session die Frontstimme von Purple Schulz hatten, was vom Publikum offen und freudig angenommen wurde. Von mir ja sowieso.

In den Tagen nach der Premiere habe ich einige Kritiken gelesen, die sich oft krass voneinander unterschieden. Ein Programmpunkt, den der eine Kritiker als schwach empfand, kam bei dem anderen gut weg. Der eine fand den Abend sehr gut, der andere mäkelte, dass im Vergleich zum Vorjahr der Biss fehlen würde. Ich stellte fest, dass die Stunker es nicht leicht haben. Kultig zu sein weckt hohe Erwartungen. Sie sollen zickig sein und angreifen, dabei bloß nicht platt  werden, Humor zeigen, immer neu und originell sein, eine Spitzennummer nach der anderen bringen und auf eine lustige, bissige, alternative, politische, lockere, intellektuelle Art jeden verbal gegen das Schienbein treten, der irgendwie was zu sagen hat. Und wenn im Saal geschunkelt wird, sind sie sofort angepasster Karneval.

Zugegeben - ich habe keinen Vergleich mit anderen Live-Stunksitzungen, weil es auch meine Premiere war, aber ich war schon in vielen anderen Comedy-Programmen, die zum Teil Längen hatten und mich verstohlen auf die Uhr blicken ließen. Bei der Stunksitzung 2005 habe ich das kein einziges Mal gemacht, sondern fühlte mich dreieinhalb Stunden lang sehr gut und abwechslungsreich unterhalten. Natürlich gibt es in allen Programmen stärkere und schwächere Nummern, aber so gut gelaunt wie ich nach der Vorstellung nach Hause ging, grinsend, Liedzeilen summend und mit vielen bunten Szenen im Kopf, muss der Abend schon sehr gut gewesen sein. Es tut mir fast leid es sagen zu müssen, denn es ist schon jetzt schwierig genug an Karten zu kommen, aber....

        .... versucht es! Es lohnt sich!!
 
(Aber erst wieder für die nächste Session, denn die Stunksitzung 2004/05 ist vorbei!)

www.stunksitzung.de

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