GUILDO HORN    23.7.2004, Bierbörse Bonn

Schlager kann ich nicht leiden. Seichtes, deutsches Liedgut mit sülziger Musikuntermalung verursacht mir sofortiges Unwohlsein und ich verweigere ganz einfach den Kontakt mit dieser Art von Unterhaltung. Aber ich mag Guildo Horn, habe drei CDs von ihm, ein Fan-T-Shirt und einen Aufkleber, bei dem ich immer noch nicht weiß, wo ich ihn hinkleben soll. Außerdem verteidige ich ihn vehement, wenn jemand behauptet, er könne nicht singen, oder hätte fettige Haare. Im Prinzip war ich eigentlich schon seit Jahren ein Fan und ging nicht völlig neutral zu meinem ersten Konzert von ihm. Dass es das erste Konzert für mich war, denn bis dahin hatte ich ihn nur einmal als Vorgruppe von BAP und eine Stunde lang auf einem Fanclubtreffen erlebt, war eher ein Zufall und dazu längst überfällig.

Biersorten sind mir völlig egal, aber zur Bierbörse nach Bonn fuhr ich, weil Guildo dort auftrat. Dass es kostenlos war, war er ein netter Nebeneffekt. Der verregnete Sommer hatte am Nachmittag ganz Bonn und damit auch der großen Wiese in der Rheinaue einen Wolkenbruch mit 40 Litern Wasser pro Quadratmeter beschert und kleine Seen zurückgelassen, in denen einsame Bierbänke und Getränkebuden standen. Isolierte Verkäufer riefen aus ihren überdachten Inseln: “Wer traut sich und schwimmt hier rüber?”, und viele Besucher hatten ihre Schuhe in der Hand und liefen barfuß durch das angenehm temperierte Wasser. Den meisten Spaß hatte eine Gruppe von Hunden, die durch einen der ungeplanten Seen tobte.

Als wir ankamen, war auf der Bierbörse wenig los und vor der Bühne gar nichts. Die Vorgruppe hatte schon abgesagt, aber Guildo wollte auftreten, was ich sehr sympathisch fand. Wir wanderten mehrfach um die idyllischen Wasserflächen herum und stellten uns dann eine halbe Stunde vor Auftrittsbeginn in die zweite Reihe vor die Bühne. Da war die erste Reihe nicht mal voll und hinter uns lag eine große, leere, nasse Wiese. Aber so nach und nach kamen immer mehr konzertinteressierte Leute an und es wurde voller.

Einer der Ordner zog immer wieder meine Blicke auf sich. Er lehnte breit, groß und glatzköpfig hinter dem Absperrgitter, guckte sehr wichtig und vorsichtshalber auch grimmig, und die grellgelben Ohrstöpsel, die aus beiden Ohren ragten, standen in extremem Kontrast zu seiner restlichen Erscheinung. Er sah aus wie Shrek mit Ohrenschmalzpfropfen, aber natürlich nicht in grün.

Um 20 Uhr 30 sollte es losgehen, aber trotz der ersten “Meister”-Rufe einiger Fans kam Guildo nicht. Das fand ich doof. Wenn es da keine gravierenden Gründe gibt, finde ich verspätete Auftritte dem Publikum gegenüber unhöflich. Von irgendwoher schnappte ich eine Unterhaltung auf, in der der Satz: “In Trier hat er erst eine Stunde später angefangen”, mich erschreckt aufhorchen ließ, aber zum Glück ging es mit nur 15 Minuten Verspätung los. Na, vielleicht war er auf dem Weg zur Bühne bis zum Knie im Matsch stecken geblieben oder hatte längere Strecken schwimmend zurücklegen müssen. Auf diesem Gelände war alles möglich.

Nachdem zuerst die Nebelmaschine angegangen war, deren dichte Rauchschwaden vermuten ließen, dass gerade das daneben stehende Mischpult abbrannte, ertönte aus den Lautsprechern die Winnetou-Musik von Martin Böttcher. Mein Herz schmolz und mir war klar, dass Guildo Horn gleich ruhig und majestätisch auf einem Pferd sitzend auf die Bühne reiten würde. Wie schön! Irgendwie würde er das edle Tier schon über die Treppe bis zur Bühne kriegen, da war ich mir sicher, doch stattdessen kamen die Bandmitglieder ohne Pferd, griffen zu den Instrumenten und begannen mit dem Vorspiel zu ‘Ti amo’. Unter dem lauten Jubel des Publikums betrat Guildo, eingehüllt in einen großgepunkteten Pelzmantel, die Bühne und setzte stimmgewaltig ein. Mit voller, gleichzeitig aber sanfter Stimme brachte er die Howard Carpendale Version, war aber viel besser. Nicht so schmalzig, dafür kräftiger und geradliniger. Um mich herum wurde der Refrain textsicher mitgesungen, die Band begleitete fetzig, und ich sang immer mal “Ti amo!” mit, oder einige der Wörter, die sich aus den Tiefen des Gehirnes, wo ich sie nach dem Aufschnappen mal eingelagert hatte, nach oben schraubten. In der restlichen Zeit grinste ich begeistert.

“Kinder”, begrüßte Guildo danach das inzwischen recht zahlreiche Publikum, “ihr seid vielleicht eine Rasselbande!” Die Zuschauer johlten begeistert und einige riefen “Meister!”, was ich als unangenehm empfand, weil mich das an eine Sekte und an willenlose Hörigkeit erinnerte. Egal, ob mein Geschmack gut oder schlecht ist, aber ich will ihn selber haben und mich bewußt für das entscheiden, was ich höre. Dabei erkenne ich durchaus den Humor im Begriff “Meister”, aber ich finde es eben nicht witzig, sondern brülle lieber “Giiildooo!”. Guildo Horn zeigte auf die fast finnisch anmutende Seenfläche und schlug vor: “Da hinten stehen noch ein paar Biermobile mitten in einem See. Geht auch dort hin! Wälzt euch im Schlamm!”











 





Tat aber keiner, denn er startete mit ‘Azurro’ und sang es mit rollendem R wie damals Adriano Celentano. Die Zuschauermasse hopste begeistert im Takt und sang mit. Ich auch. Und sogar mein Gatte, der prinzipiell gegen deutsche Schlager und gegen blödsinniges Verhalten seitens der Zuschauer eingestellt war, sang so laut er konnte. Bei Guildo machte er eben eine Ausnahme und strahlte dabei.

Das Lied ‘Aber bitte mit Sahne’ hatten auch Schlager-Nichthörer noch im Ohr und konnten mitmachen, und ‘Café Oriental’ war so eingängig, dass der Refrain schnell zu schaffen war. Es war fast verwunderlich wie schnell Guildo Horn es schaffte eine große Menschenmasse zum Mitmachen zu motivieren.
















Innerhalb weniger Minuten hatte er das lachende Publikum im Griff und sie folgten willig seinen Wünschen. Normalerweise zeigte ich mich widerspenstig, wenn ich einfach so aufgefordert wurde die Hände nach oben zu strecken, aber Guildo’s Charme konnte ich nicht widerstehen. Er wirkte so mitreißend und dabei augenzwinkernd nett, dass es einfach Spaß machte. Guildo Horn tobte über die Bühne, blieb kaum mal auf einem Platz stehen, die Musik fetzte richtig gut, und die Zuschauer machten aktiv mit. “Auch in euch steckt der Keim so auszusehen wie ich. Ihr müsst euch nur Mühe geben!”, spornte Guildo an, und obwohl meinem Gatten ein leicht ablehnendes “Oh, je!” entschlüpfte, übten wir zusammen mit allen Zuschauern die ‘Mühle’ und die ‘Zipfelmütze’, das ‘Schweineschwänzchen’ und endeten im gemeinsamen ‘Headbanging’.

Schon nach dem ersten Lied hatte Guildo sich aus dem dicken Mantel geschält. Die Anzugjacke folgte schnell und trotzdem stöhnte er: “Ich schwitze schon wie Espenlaub!”, trocknete sich das Gesicht mit einem Handtuch ab und warf es schwungvoll in die Zuschauer, die begeistert danach griffen. Auch das Hemd flog kurz danach zur Seite, und nur mit der kurzen, roten Anzughose und halbhohen lila Stiefeln bekleidet, fetzte er über die Bühne.


















Aber nicht lange, denn er verschwand kurz und kehrte in gelbem Anzug wieder, den er aber auch wieder Stück für Stück ablegte, bis er nur in Hose und Schuhen, dafür aber mit schwitzendem Oberkörper weitermachte. Das war aber noch nicht alles an Überraschungen aus seinem Kleiderschrank und es blieb weiterhin auch optisch spannend.

Es gab die volle Leistung. Die Band spielte sehr gut, der Sound war klasse (zumindestens in den vorderen Reihen, über die hinteren kann ich nichts sagen), und Guildo Horn sang wirklich ausgesprochen gut. Die Töne waren genau getroffen, er hatte eine warme, kräftige Stimme, die sowohl sehr hoch, als auch weit runter kommen konnte und er konnte toll mit ihr umgehen. Von wegen “der kann gar nicht singen”. Im Gegenteil! Ich mochte seine Stimme sehr und fand ihn nicht grundlos seit Jahren gut. Er war eben kein witziger Schlagerfuzzi, der irgendwelche Hits trällerte, sondern da steckte Können hinter. Außerdem hatte er ganz geschickt nicht die seichten Schlager der unteren Simpel-Schublade ausgesucht, sondern brachte Top-Stücke, die zum Teil amerikanische Original-Versionen hatten und lange in den Charts gewesen waren und so auf ihre Art schon eine gewisse Qualität hatten. Diese Songs hatte jeder schon gehört und Reste davon im Kopf. Und Guildo Horn brachte sie meistens rockig, fetzig und weit weg vom billigen Gesülze. 

Eigentlich liebte er Rockmusik, das war sofort zu spüren, aber er fand auch die reizvollen Sachen und Stärken in den Mitsingschlagern und zeigte sie liebevoll. Ich fühlte mich wie auf einer leicht durchgedrehten Fete, auf der aus vollen Lungen und überaus gut gelaunt alte Lieder gemeinsam gegrölt wurden. Dabei wurden die Sachen nicht einfach belacht und veralbert, sondern sie waren in der Horn-Version fetzige, mitreißende Bekannte aus vergangenen Zeiten. Dass mein Gatte und ich auf die Frage: “Findet ihr Schlager toll??” ein hemmungsloses: “Jaaaa!” brüllen würden, hätten wir uns nie träumen lassen. Aber so lange Guildo sie sang, konnte ich das vertreten und musste nicht mit “Ja, aber nur wenn....” ausholen und Einschränkungen anführen. Wir hatten eine Menge Spaß, sangen ständig mit, schwenkten die Arme im Rhythmus und hopsten im Matsch. Außerdem hatten wir, ebenso wie die Zuschauer um uns herum, ein breites Dauergrinsen im Gesicht.


Die Show war gut inszeniert, und auch wenn Guildo Horn immer mal wieder einen verwunderten Blick aufsetzte und so tat, als wüsste er überhaupt nicht, warum das Publikum so jubelte, hatte er den Abend doch voll unter Kontrolle. Er gab auf der Bühne mit Kopfnicken, kurzen Bemerkungen oder Gesten die Anweisungen, entschied, ob ein Refrain nochmal gespielt wurde und wusste beim Wegschleudern der Jacke, dass sie sofort hinter ihm weggeräumt würde.

Auf der einen Seite spielte er überspitzt mit jeder Geste den großen, erfolgreichen und umjubelten Schlagerstar, zeigte auf der anderen Seite aber immer wieder die Brüche im Erscheinungsbild. Das fing bei der grellen Kleidung und den langen, zipfeligen Haaren an, zeigte sich bei den bewußt unperfekt gehaltenen Tanzeinlagen und endete am freien Oberkörper, der behaart, verschwitzt und optisch weit entfernt von einem trainierten Bodybuilder-Körper war. Trotzdem tat Guildo auf der Bühne so, als wäre alles perfekt und wirkte gerade in dieser Unvollkommenheit total nett und sehr überzeugend. Außerdem erschienen mir die Übergänge vom Bühnen- zum Privatmenschen fließend und ich war mir sicher, dass es da keine klare Trennungslinie geben würde.

Die Art der Show kam an, das war Guildo Horn bewußt, und mit diesem Selbstbewußtsein und dem festen Grundkonzept konnte er auch kleine Improvisationen einfügen und locker mit dem Publikum spielen. Er war die Hauptperson der Show und alle seine Musiker, so gut sie auch waren, standen in der zweiten Reihe. Mir gefiel das Engagement, mit dem Guildo Horn seine Show abzog, wie gut er seine Rolle spielte und vor allem, dass immer wieder ein grundsätzlich netter Mensch zu erkennen war, der zwar die Musik ernst nahm, aber das ganze Drumherum mit Augenzwinkern sah. Darum konnte er sich auch “Meister” nennen lassen und dazu gönnerhaft sagen: “Ihr könnt mir ruhig huldigen. Ich hab’ nichts dagegen.”

Als er seine Musiker gegen Ende der Show einzeln vorstellte, stimmte der Keyboarder das Kirchenlied ‘Lobet den Herren’ an und natürlich animierte Guildo zum Mitsingen. Das fand ich zunächst kritisch, aber er sang es mit so schöner, ernsthafter Stimme vor und die Zuschauer sangen es ebenso ruhig und erstaunlich textsicher mit, dass es richtig feierlich klang und überhaupt nicht lächerlich gemacht wurde. Vielmehr gab es ein großes Gemeinschaftsgefühl, als es von so vielen Stimmen gesungen über den Platz klang, und fast jeder hatte wahrscheinlich seine Erinnerungen an frühere Kirchgänge. Ich grinste vor mich hin: Hunderte von Menschen sangen auf der Bierbörse gemeinsam ein Kirchenlied, und einige der Besucher an den Ständen, die in den vergangenen Stunden schon einiges durchprobiert hatten, bekamen vielleicht in diesem Moment das Gefühl, das Trinken besser zu beenden und sich auf den Heimweg zu machen.

Als ich schon dachte, es wäre Schluß, ging es nochmal richtig los und Guildo betätigte sich zusätzlich an der Gitarre, den Kuhglocken und am Schlagzeug. Das Ende des Abends verbrachte er in grellbuntem Kunstfaser-Outfit, bei dem ich keine Ahnung hatte, wo der Schweiß blieb, denn es drang nichts nach außen durch. Wahrscheinlich floß es an den Innenseiten ab und sammelte sich in den halbhohen Stiefeln.


















Nach mehr als zwei Stunden durchgehendem Programm war Schluß und ich fühlte mich sehr zufrieden, glücklich, aber auch ziemlich geschafft. Außerdem war ich fast genauso heiser wie mein Gatte, der genau wie ich keine Schlager mochte und genau wie ich das ganze Konzert über lautstark mitgesungen hatte.

Der Abend mit Guildo war extrem kurzweilig gewesen, hatte sehr gute, meist rockige Musik geboten, viel zum Gucken, viel zum Mitmachen, und wir hatten vom ersten Lied bis zum Schluß viel Spaß. Es ist übrigens völlig klar, dass das nicht mein letztes Guildo-Konzert war, sondern dass ich mit Freude wiederkommen werde. Eigentlich habe ich aber vorher schon gewußt, dass mir das gefallen würde.


Ich war also sehr begeistert, muss meine Empfehlung für einen Konzertbesuch jedoch etwas einschränken. Wer den Anblick eines halbnackten, schwitzenden Männerkörpers allerhöchstens mit knackigem Muskel-Sixpack ertragen kann und dazu die Auftritte von Guildo Horn im Fernsehen nicht witzig findet, sollte sich das Live-Erlebnis doch vielleicht sparen und den Platz in den vorderen Reihen mir überlassen. Wer ein bißchen offener rangeht, gute Musik liebt, und ich schreibe ausdrücklich von GUTER Musik, weil Guildo Horn die wirklich macht, wird eine Menge Spaß haben und wahrscheinlich heiser, aber äußerst gut gelaunt nach Hause gehen.

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