SCHERENSCHNITT
oder Der Mörder sind Sie Kriminalkomödie zum Mitmachen mit Elisabeth Volkmann und Max SchautzerSonntag, 25.1.2004, Theater Euskirchen
Das Publikum sollte in das Stück eingreifen können und Regieanweisungen geben, um den Täter zu finden. Wie das zu machen war, konnte ich mir nicht ganz erklären, aber es hörte sich sehr interessant an.
Außerdem waren Elisabeth Volkmann und Max Schautzer dabei, zwei Schauspieler, die mir schon lange ein Begriff waren. Frau Volkmann war früher singend und zum Teil busenfrei als
Klimbim-Mutter über den Bildschirm gejodelt und hatte dabei die verklemmte Fernseh-Nation kultig überrumpelt. Wobei mir damals ihr Busen und die zotigen Witze manchmal peinlich waren,
weil mein Vater mit im Zimmer saß und auch zuguckte. Ich tat immer so, als würde ich das nicht richtig mitbekommen und lachte lieber nicht, damit es so aussah, als hätte ich den Witz nicht
verstanden. Wahrscheinlich lachte mein Vater damals aus dem gleichen Grund auch nicht laut los.
Mit Max Schautzer war ich dagegen schon Fahrstuhl gefahren! In diesem Fall hatte ich aber
nicht so getan, als würde ich das nicht bemerken, sondern ich hatte es wirklich nicht bemerkt. Es ist viele Jahre her und ich fuhr im legendären WDR-Paternoster, weil ich bei einer Aufnahme
im Tonstudio zusehen durfte. Als ein mir völlig unbekannter Herr freundlich nickend in einem Stockwerk ausstieg, hörte ich von meinem Begleiter ein leises, aber beeindrucktes: “Das war
Max Schautzer!” Leider sagte mir das damals gar nichts, aber sobald ich in den Folgejahren den Namen hörte, fiel mir immer unsere gemeinsame, aufregende Fahrstuhlfahrt ein. Ich vermute
allerdings, dass auch Herr Schautzer keine bleibenden Erinnerungen an mich hat. Hatte ihm sicher keiner zugeflüstert, wer ich war.
Das Euskirchener Theater hatte schräg nach oben angeordnete Stuhlreihen und war plüschig blau. Es hatte eine nette Athmosphäre aus modern und altmodisch, und ich fand es seitlich ein
bißchen breit, aber sympathisch. Als der Vorhang aufging, war ein großer Friseursalon zu sehen und die Zuschauer wurden nach und nach mit den Darstellern bekannt gemacht. Es gab einen
leicht flippigen Friseur, seine junge Angestellte und mehrere Kunden. Aus dem Stockwerk darüber war Klimpermusik zu hören, und der Friseur jammerte über die Pianiastin und die
ständige Belästigung durch Klaviermusik. Die Gespräche plätscherten vor sich hin, und ich wurde erst hellwach, als ein Kunde unerwartet einem anderen Kunden etwas zusteckte, bevor er den
Laden verliess. Stimmte ja, es war ein Krimi und ich musste aufpassen und jede Kleinigkeit registrieren, die den Fall auflösen konnte! In mir wurde sofort Inspector Columbo wach. Oder Miss Marple, je nachdem.
Aufmerksam hörte ich zu und wurde mit Informationen zugeschüttet. Äääh, was davon war jetzt wichtig? Ich konnte mir doch nicht alles merken! War es ein bedeutungsvoller Hinweis, dass die
Friseurin nach Feierabend der Pianistin die Haare frisierte? Warum guckte der seltsame Kunde immer so böse? Und was sollte es bedeuten, dass der Friseur: “Ich könnte sie umbringen!”
stöhnte? Musste ich etwa auch auf die Anzahl der Lockenwickler im Haar der Kundin achten? Ich fühlte mich ziemlich überfordert. Immerhin hörte ich genau, dass die junge Friseurin
auffällig auf die Zeit “11 Uhr 20” hinwies, als ein Kunde fragte, und dass die aufgedrehte Kundin Elisabeth Volkmann später heimlich die Telefonnummer “333-666” wählte. Mehrere Leute
verliessen für kurze Zeit den Laden, der Eine kam mit blutenden Fingern zurück, der Andere mit einer rotbefleckten Schürze, auf der angeblich Tomatenflecken waren, und plötzlich kam die
Friseuse hereingewankt und schrie: “Mörder!”. Die Pianistin aus dem Stockwerk darüber war tot, ermordet mit einer Haarschere, und ich hatte nicht mal gemerkt, dass die dudelige Musik irgendwann aufgehört hatte!
Ab da ging es erst richtig los, denn die beiden ersten Kunden kamen zurück und waren in Wahrheit ein Kommissar und sein Assistent, die vorher von der ängstlichen Pianistin um
Bewachung gebeten worden waren. Max Schautzer übernahm als Kommissar den Fall, das Saallicht ging an, und er wandte sich an das Publikum: “Sie sind alle Zeugen der letzten halben
Stunde gewesen und können bei der Rekonstruktion helfen!” Oh je. In meinem Kopf wirbelte alles durcheinander und ich wusste nur noch, dass die Friseurin “11 Uhr 20” gesagt hatte, aber
nicht mehr warum. Der Kommissar betonte, dass er für jeden Hinweis dankbar sei, dass die Personalien aller Zeugen später aufgenommen würden, sprang von der Bühne herunter und
begab sich ins Publikum. Unter seiner Anleitung wurde die letzte halbe Stunde rekonstruiert, und das Publikum musste eingreifen, wenn auf der Bühne etwas falsch dargestellt, oder sogar verschwiegen wurde.
Es wurde wirklich spannend und dazu lustig. Die Schauspieler versuchten ihre Gespräche in Kurzform nachzuerzählen, und aus dem Zuschauerraum kamen lautstarke Proteste, wenn etwas
nicht stimmte. Besonders einige Frauen im Publikum waren sehr energisch und engagiert an der Aufklärung beteiligt und korrigierten die Aussagen der Schauspieler mit Nachdruck. Das war
für viele Zuschauer dann auch wieder witzig, weil es so ernsthaft wirkte und gar kein richtiges Spiel mehr war. Wenn dann die Schauspieler auch noch gut darauf reagierten, lachten alle los.
Eine Frau aus dem Publikum: “Er hat zu der Friseurin gesagt, sie solle nach oben gehen!” Der Schauspieler, entrüstet: “Sie da hinten konnten doch gar nichts verstehen!!” Etwas später wurde
eine Aussage der Friseurin als unwahr entdeckt. Aus dem Publikum schallte: “Das hat sie gar nicht gesagt!!” und die Friseurin rief empört in die Richtung: “Doch!! Dann haben Sie nicht zugehört!”
Als es um das heimliche Telefongespräch der Kundin ging, kam meine große Stunde. Immerhin hatte ich mir die Nummer gemerkt! Der Komissar fragte: “Mit wem hat sie telefoniert?”, und ehe
ich den Mund aufhatte, schallte es von allen Seiten: “Es war die Nummer 333-666!” Mehrere Zuschauer konnten sogar noch ergänzen, dass der Angerufene “Mauseschwänzchen” genannt
wurde. Auch die “11 Uhr 20” waren überhaupt kein Problem, und mir wurde klar, dass es gut gewesen war, dass ich niemals eine Kommissar-Laufbahn in Erwägung gezogen hatte.
Einer Zuschauerin fiel ein: “Die Kundin hat Hautcreme geklaut, als sie alleine im Laden war!”, und der Kommissar freute sich: “Kommen Sie doch mal raus!” Die Zuschauerin musste auf die
Bühne kommen und alles vor Ort erklären. Elisabeth Volkmann fragte pikiert: “Warum sollte ich Hormocenta nehmen??” und die Zuschauerin antwortete im gleichen Tonfall: “Ich bin ja auch
nicht mehr die Jüngste!”, was Jubel und Extrabeifall im Saal auslöste. Eine andere Zuschauerin, die sofort wusste, wo der rotbefleckte Kittel geblieben war, durfte ihn aus dem Mülleimer des
Salons holen und stellte sachkundig fest: “Es sieht nicht nach Tomate aus.” Als die Rekonstruktion abgeschlossen war, gab es eine Pause, in der die Zuschauer überlegen
sollten, wer der Mörder war. Der Kommissar kündigte an, dass er mit seinem Assistenten ins Foyer kommen und weitere Hinweise entgegen nehmen würde. Der Vorhang ging zu und leicht
aufgedreht und hellwach begab sich das Publikum in die Pause.
Eine gute Gelegenheit, um mal schnell die Schauspieler vorzustellen:
Von links nach recht: Max Schautzer (Kommissar), Elisabeth Volkmann (Kundin Wundhammer),
Alexander Pelz (Friseur Wuttig), Franziska Ball (Friseurin Elisa), Josef Baum (Händler Laurin), Andreas Geiss (Assistent)
Tatsächlich gingen während der Pause der Kommissar und der Assistent mit Notizblöcken herum und befragten die Zuschauer. Sie stellten sich einfach zu Gruppen dazu, fragten nach
Hinweisen, nach Motiven und bekamen wilde Spekulationen erzählt. Ich wies den Kommissar darauf hin, dass er seinem Assistenten am Anfang des Stückes etwas gegeben hatte und fragte,
ob das zum Stück gehörte. Er korrigierte: “Ich habe etwas von ihm bekommen - darauf werden wir noch eingehen”, und lobte grinsend: “Sehr gut!” Naja, ich hatte es nicht ganz korrekt
beobachtet, aber ich hatte immerhin gesehen, dass da etwas war. Vielleicht war es ein entscheidender Hinweis zur Lösung? Rüdiger tippte übrigens auf den Friseur, denn der hatte ein Tonbandgerät sehr sicher bedienen
können, das er eigentlich nicht hätte kennen dürfen. Ich war mehr auf die Friseurin fixiert, denn sie war erbberechtigt und wirkte so unschuldig. Außerdem hatte sich der Friseur so
pingelig mit seinen Scheren gezeigt, dass er die niemals einem Opfer in den Bauch gerammt hätte! Nach der Pause sprach der Kommissar über die neuen Aspekte und einige Ungereimtheiten, die
ihm von den Zuschauern erzählt worden waren. Außerdem löste er die Geschichte mit der geheimnissvollen Zusteckerei auf, die ihm scheinbar mehrfach genannt worden war. Mist, sein
Assistent hatte ihm nur einen Zettel gegeben, auf dem stand, dass er gegenüber im Café sei. Der Kommissar holte das Beweisstück aus der Jackentasche und zeigte ihn dem Publikum. Wieder
keine heiße Spur. Ich war echt sowas von einem Superdetektiv! Dann wurde es ernst. Die Zuschauer mussten per Hand abstimmen, wer der Mörder war. Es war
knapp, aber es gab eine Mehrheit. Damit hatte das Publikum die Entscheidung getroffen und einen Schuldigen gefunden ohne Beweise, rein nach Gefühl. Das war dann schon ein bißchen
komisch. Was, wenn er/sie unschuldig war? Vielleicht hatte er/sie sich nur nicht so gut verkaufen können und der Schuldige war doch ein anderer? Jeder hätte doch ein Motiv haben können.
Der Kommissar und sein Assistent verliessen für eine Weile den Friseursalon und das Publikum konnte erleben, wie die vier Verdächtigen sich gegenseitig beschuldigten und ihrerseits
Theorien aufstellten. Es war superspannend, denn es zeigten sich plötzlich ganz neue Aspekte. Auf einmal kam mir der/die Schuldige völlig unschuldig vor, drei Minuten später wieder höchst
verdächtig. Meine Güte, wie hatte ich so schnell urteilen können, ohne weitere Hintergründe zu kennen? Schließlich endeten die gegenseitigen Beschuldigungen mit dem Geständnis “...und habe
zugestochen”, dem aus der ersten Zuschauerreihe ein lautes, zufriedenes: “Siehste!” folgte. Max Schautzer kam auf die Bühne zurück und verhaftete den Täter - oder die Täterin? (Ich
werde das Ende nicht verraten.) Dann wandte er sich an das Publikum und ermahnte eindringlich, dass man bei Verdächtigungen sehr vorsichtig sein solle, denn manches sähe auf
den ersten Blick anders aus, als es sei. “Denken Sie daran: Sie können auch mal betroffen sein und in einen solchen Fall verwickelt werden!” Es war auf jeden Fall klar, dass die Entscheidung
des Publikums ausschlaggebend für die Verhaftung gewesen war. Ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob meine Entscheidung die richtige gewesen war.
Sehr wach und aufgeputscht verliessen wir das Theater und diskutierten noch auf dem Heimweg über das Stück. Es hatte viel Spaß gemacht, war spannend gewesen und gab einem noch einige
etwas beklemmende Gedanken mit. Habe ich zu vorschnell geurteilt und war der Mörder doch ein anderer? Wieso hätte ich diese schlappe halbe Stunde niemals richtig rekonstruieren
können? Was ist, wenn ich tatsächlich mal nach meinen Erinnerungen aussagen muss, oder selber die Frage gestellt bekomme: “Was haben Sie gestern zwischen 17 und 17 Uhr 30 gemacht?” Klasse! |