Beim A-Cappella-Kurs für Ensembles
bei/von/mit Erik Sohn
19./20. November 2005, Haus Menden, St. Augustin bei Bonn


Nein, ich habe nicht mitgesungen beim A-cappella-Kurs, auch wenn die Überschrift das vermuten lässt. Ich bin aber auch kein Ensemble. Es gibt jedoch die Möglichkeit den Kurs als Zuhörer zu besuchen, was ich unbedingt mal tun wollte. Schließlich kenne ich Erik Sohn als Gesangscoach der Wise Guys und finde seine Arbeit total klasse. Er lässt sich ein neues Lied, das die Wise Guys schon ziemlich gut eingeübt haben, vorsingen und findet sofort an allen Ecken Stellen, die sich noch besser machen lassen. Vor allem im Ausdruck, der Betonung und der Präsentation. Es ist faszinierend, was ihm alles auffällt und wie stark das Zurücknehmen eines Tones oder eine kleine Pause das Ergebnis beeinflussen können. “Ihr schreibt die Lieder und Erik erklärt euch, was ihr damit gemeint habt”, muss ich mich hier mal mit einer eigenen Bemerkung nach einer dieser Proben selbst zitieren.

Nachdem der erste A-Cappella-Kurs so erfolgreich war, gab es ziemlich viele Anmeldungen für den zweiten. Sechs Gruppen durften dabei sein, und sie alle wirkten etwas nervös, als sie sich zu Beginn des Kurses im Saal einfanden, der freundlich und hell wie der Aufenthaltsraum in einer Jugendherberge wirkte. Die fünf anderen Ensembles und die Zuhörer verteilten sich in den Stuhlreihen, und die Gruppe ‘SixPänz’ stellte sich auf die Bühne. “So”, sagte Erik Sohn, der in der Mitte des Raumes an einem Tisch saß, eine Partitur vor sich hatte und freudig grinste, “dann legt mal los!” Das war seine Arbeitsweise - erstmal anhören, dabei beobachten und erkennen, was aus der Gruppe rauszuholen war und wo die Grenzen lagen. Prinzipiell war jede Gruppe zu verbessern, aber mit einer sehr guten Gruppe konnte man ganz andere Sachen erarbeiten, als mit einem Ensemble, das gerade mal mehrstimmig durch ein Lied kam.

Die ‘SixPänz’ waren schon ziemlich gut und merkbar auftrittsgewohnt. Sie boten sogar eine Choreographie, die recht locker und lässig saß. Neben mir hörte ich es raunen: “Die sind ja schon perfekt”, und vermutlich überlegten einige der zuhörenden Sänger, ob der Kurs wirklich richtig für sie war oder ob sie ihn nicht doch noch schnell verlassen sollten. Erik Sohn blickte abwechselnd auf die Partitur und auf die ‘SixPänz’ und beobachtete konzentriert, was geschah. Manchmal formten seine Lippen den Text mit, manchmal lächelte er leicht und oft nahm er mit nachdenklichem Blick eine Hand vor den Mund und schien zu überlegen.















Als die Schlusspose und der Schlussakkord erreicht waren, gab es freudigen Applaus vom Publikum und auch Erik Sohn klatschte anerkennend. Freundlich lächelnd sagte er: “Okay. Direkt noch mal von vorne.” “Mit tanzen?” kam eine etwas zögerlich fragende Stimme von der Bühne. “Mit tanzen”, bestätigte der Kursleiter. Die Arbeit begann.

Die ‘SixPänz’ stellten sich wieder auf, starteten das Intro, und nach wenigen Takten winkte Erik Sohn ab: “Gut. Aber sprecht das Publikum mal direkter an!” Er erklärte wie man die Aufmerksamkeit des Publikums erreichen konnte und ab wann welcher Blickkontakt wichtig war. Dabei ging er auf ihre eingeübte Choreographie ein und gab genaue Angaben, wie sie intensiver und bühnenwirksamer werden konnte, ohne dass er sie grundlegend veränderte. “Noch mal von vorne!” Nicht nur der Chor, sondern auch die Zuschauer waren sehr aufmerksam und gespannt. Und tatsächlich: Der Unterschied gleich beim Intro war sofort zu sehen. Keine 5 Minuten im Kurs und schon gab es merkliche Verbesserungen. Es war verblüffend.

Der A-cappella-Kurs war bewusst kein Gesangskurs oder Stimmbildungswochenende, sondern es ging um den Gesamteindruck. Richtig zu singen war nicht ausreichend, um ein Lied gut vortragen zu können. Es musste Dynamik hinein und die Spannungsbögen mussten ebenso wie die Aufmerksamkeit der Zuschauer gehalten werden. Darum ging es neben lautem und leisem Einatmen auch um die Körpersprache, das synchrone Bewegen der Arme und um offene und geschlossene Münder. Die Gruppe auf der Bühne hatte nach dem siebten Neubeginn des Intros die Nervosität verloren und zeigte sichtlich Spaß an der Arbeit. Es war eine hochkonzentrierte Atmosphäre im Raum, die trotzdem locker und persönlich war und immer wieder von Lachen unterbrochen wurde. Das lag an Erik Sohn, der viel positive Energie ausstrahlte, sehr motivierend war und immer wieder einen trockenen Kommentar los ließ, der die Situation traf und eine Prüfungsatmosphäre gar nicht erst aufkommen ließ. Er tadelte nie und meckerte auch nicht herum, sondern hob alle positiven Sachen hervor und war merklich interessiert, so viel wie möglich aus der Gruppe herauszuholen, ohne sie zu überfordern.

Auch für die Zuschauer war es total spannend. Vor allem, da sie das Ergebnis immer sofort erkennen konnten. Erik Sohn gab einfache, sofort umsetzbare Tipps, die den vorher schon guten Auftritt noch deutlich verbesserten. Er wies zum Beispiel auf eine gerade, große Körperhaltung hin, die Selbstbewusstsein ausstrahlte: “IHR wollt was sagen - IHR seid die Hauptpersonen. Geht bei euren Solostellen nicht singend nach vorne, sondern geht erst nach vorne und singt dann. Hier bin ich - jetzt singe ich.” Er leitete sicher, gab klare Anweisungen und nahm die Angst vor dem Ungewohnten. Beim Blick auf ihn wussten die singenden Schüler, was verlangt war, denn er machte mit ausgeprägter Mimik mit und unterstütze alles mit deutlichen Armbewegungen oder belohnte sogar mit einem zufriedenen Lächeln. Er war kein Gegner, der kritisierte und Fehler suchte, sondern ein Verbündeter, der überall machbare Verbesserungsmöglichkeiten fand und sie zeigte.


Nach 40 Minuten Arbeit an diesem einen Lied sangen die ‘SixPänz’ ihren Opener zum Abschluss noch einmal komplett durch. Es war im musikalischen Ausdruck und der Bühnenpräsenz ganz deutlich verbessert, und es war faszinierend zu beobachten, wie viel selbstbewusster und professioneller die Sänger ihn präsentierten. Außerdem war es erstaunlich, dass sie fast alles behalten hatten und sehr gut umsetzen konnten. “Super!” rief Erik danach und klatschte los, und die anderen Zuschauer waren schwer beeindruckt und klatschten ebenfalls. Ziemlich glücklich kletterten die ‘Sixpänz’ von der Bühne und hatten bei aller Arbeit eine Menge Spaß gehabt und vor allem sehr viel gelernt.

Die nächste Gruppe bestand aus fünf Männern, hieß ‘A(h!)-capella’ und sang “Männer”. Sie hatten Notenpulte dabei und ihre Choreographie bezeichneten sie als “keine. Wenn, dann eher spontan.” Wieder beobachtete Erik ihren Vortrag sehr genau und ging dann auf das vorhandene Potential der Gruppe ein. Er hatte kein vorgefertigtes Konzept, in das er die Gruppen pressen wollte, sondern versuchte auf jede Gruppe einzugehen und ihre Individualität zu betonen. Was waren die Stärken, wo konnte man aufbauen?

Die ‘A(h!)-capellas’ hatten während ihres Vortrages hin und wieder etwas Bewegung gezeigt. Ich rechnete damit, dass Erik Sohn das auflockern und verstärken würde, aber nein. “Traut euch mal nix zu machen”, schlug er vor. “Es noch weiter zu reduzieren, um es spannender zu machen.” Betont ruhig, mit hängenden Armen sangen sie die ersten Zeilen noch mal, und die Zuschauer guckten gebannt. Da war ohne jegliche Bewegung noch viel mehr Spannung drin.

Dann ging er auf den Text und die Gefühle dazu ein. “Zählt das total machohaft auf, was ein Mann alles kann,” und er stellte sich mit rausgestreckter Brust in den Raum, verzog angeberisch das Gesicht und zählte auf: “Mein Haus, mein Auto, meine Pferdepflegerin.” Großes Gelächter, aber er hatte genau die unterschwellige Stimmung getroffen, mit der dieser Liedteil gesungen werden musste. Ab und zu sang er eine Zeile vor, um zu verdeutlichen, was er meinte, und anerkennende Blicke aus dem Zuschauerraum trafen ihn. Ja, der konnte was. Der hatte den richtigen Ausdruck in der Stimme und konnte toll singen. Außerdem konnte er klar vermitteln, was er meinte. Ein bisschen Arbeit noch an der Betonung, aus “verletzLICH” wurde “verletzlich”, und plötzlich hatte die Gruppe, die vorher als starker Männerchor durch das Stück marschiert war, viel Gefühl und klang viel spannender und lebendiger. Toll!

Während sich bei mir schon die Anstrengung des Zuhörens, Beobachtens und Vergleichens bemerkbar machte, wirkte Erik Sohn ungebrochen aufmerksam, gut gelaunt und energiegeladen. Die dritte Gruppe war dran. Es waren die ‘Picobellos’, eine Männergruppe, die mit rollendem R und hörbar bayerischem Spracheinschlag die “Chocolate Chip Cookies” der Wise Guys sangen. Sie hatten eine temperamentvolle, aber etwas unbeholfene Choreographie, standen breitbeinig auf der Bühne und schnippten sehr weit ausholend von rechts nach links. Zu dieser Optik kam der Dialekt beim Text, bei dem aus “..und seh ein paar Verbrannte..” “..und seeeeeh oin pooorr Veerrrbrrroonnnteeee..” wurde - das war schon witzig. Also für mich als Wise Guys Fan. Aber es hatte was. Bei der Gruppe kam so viel Spaß und Freude am Auftritt rüber, dass das perfekte Singen in den Hintergrund rutschen konnte. Erik lachte bei der Vorführung freudig, aber ohne die Gruppe auszulachen, und kommentierte danach als erstes grinsend: “Ihr habt sehr viel Spielfreude und sehr viel Publikumskontakt. Sehr gut! Aber versucht mal nicht zu breitbeinig zu stehen.”















Jede der sechs Gruppen hatte am Samstag zwei dieser Arbeitsphasen mit Erik Sohn und am Sonntag noch eine weitere. Während der ganzen Zeit konnten die anderen Ensembles und die Besucher bei der Arbeit dabei sein und ganz viele wertvolle Tipps für ihren eigenen Gesang mitbekommen. Denn was Erik an den einzelnen Gruppen verbesserte, konnte zum großen Teil auch bei anderen Stücken und anderen Gruppen umgesetzt werden. Ich wunderte mich etwas, dass die Gelegenheit als inaktiver Besucher zu kommen nicht von mehr Ensembles ergriffen wurde, denen der Kurs vielleicht zu teuer war, oder die an diesem Datum nicht komplett anwesend sein konnten, die aber trotzdem schon vom Zusehen und Zuhören ein ganzes Wochenende lang viel hätten lernen können.


Also mein dicker Tipp: Wenn schon nicht als Teilnehmer, dann zumindest als Zuhörer zum Kurs gehen. Neben dem Spaß und dem ganztägigen spannenden Unterhaltungsprogramm nimmt man eine Menge von Tipps mit, die Auswirkungen auf das eigene Singen haben. Es ist echt lohnenswert!


Leider musste ich am Samstag nach der dritten Gruppe gehen und konnte erst am Sonntag zur letzen Gruppenprobe und dem anschließenden Abschlusskonzert wieder kommen. Die Arbeit der Gruppen ‘Multiple Voice’, ‘A capella vocalis’ und ‘Voice Boys’ konnte ich darum nicht erleben, was ich sehr schade fand. Als ich sonntags wiederkam, waren die “SixPänz” erneut dran. “A Nightingale sang in Berkeley Square” hieß das Lied, und sie sangen es super schön. Ganz sanft und zart klangen die Stimmen durch den Raum und alle Zuschauer hörten gebannt zu. Wow! Nach dem Schlusston blieb es eine kurze Zeit still, dann ging der Applaus los. Boah! Wie toll! Gespannt guckten anschließend alle zu Erik Sohn. Der lächelte glücklich: “Ich fand’s sehr schön. Wirklich! Aber....” Er wollte es noch zarter, wollte gezogene Bögen und einen Klang, der sich nach “fahlem Mondlicht” anhörte und nicht so konkret war.















Das war jetzt schon nicht mehr die Grundarbeit, sondern die Perfektionierung. Aber es zeigte wieder einmal, dass Erik immer auf der vorhandenen Stufe aufbaute, egal wie hoch oder niedrig die lag. Selbst der gute Klang und der zarte Ausdruck waren noch zu verbessern, wie alle Zuschauer schnell merkten. Am Ende der Arbeit sangen die ‘SixPänz’ es in der überarbeiteten Version vor, es war noch zarter und noch schöner geworden, und nach dem Schlussakkord strahlten Eriks Augen und er sagte nur noch: “Toll!” Dabei sah er ganz ehrlich zufrieden aus.

“Jetzt keinen Stress mehr machen,” ordnete Erik Sohn nach einer kurzen Pause und vor dem Abschlusskonzert an, auch wenn es keine reine Spaßveranstaltung werden sollte. Auf- und Abtritt waren geübt, das Ergebnis sollte möglichst professionell werden, aber es sollte ein entspanntes Ende des arbeitsreichen Kurses sein. Jede Gruppe durfte zwei Lieder vorführen, und es zeigte sich noch einmal, wie unterschiedlich die sechs teilnehmenden Gruppen in Stil und Niveau  waren. Trotzdem fühlten sich inzwischen alle wie in einer großen Gemeinschaft, in der es kein Konkurrenzdenken gab, keinen Wettbewerb, sondern eine große Akzeptanz und Aufgeschlossenheit. Die noch nicht so guten Gruppen arbeiteten, um besser zu werden, die guten Gruppen wussten, dass sie vor einiger Zeit noch auf einem niedrigeren Niveau gewesen waren. Alle wollten besser werden, mussten in diesem Kurs aber nichts beweisen. Es war eine sehr nette, freudige und unterstützende Atmosphäre, in der man sich sofort wohl fühlte. Erik Sohn war auch am Sonntagabend noch ungebrochen konzentriert und mitreißend lebendig. Ich hatte keine Ahnung, wie er das schaffte. Wahrscheinlich lag es daran, weil ihm die Arbeit so viel Spaß machte und er ganz darin aufgehen konnte. Kein Wunder, wenn es sofort merkbare Verbesserungen zu sehen und hören gab, und die Teilnehmer sehr freudig und manchmal fast erstaunt über ihre eigene Leistung reagierten.

Das Abschlusskonzert war sehr schön. Es gab von leichtem Mädchenchor bis zu bayerischem Männertemperament alles zu hören - es gab ein paar sehr gute Solosänger, mal keine, mal ausgeprägte Choreographien und lustige und ernsthafte Lieder. Jedes Ensemble hatte seinen eigenen, individuellen Charakter behalten und war manchmal sogar noch betonter im eigenen Stil. Es war sehr vielfältig und darum sehr interessant.


                                                        Multiple Voice, Stade




                                                    Voice Boys, Bergneustadt




                                             A capella vocalis, Mönchengladbach




                                  A(h!)-capella, Münsterland




                                      Picobellos, Unterallgäu




                                                         SixPänz, St. Augustin


Zum Abschluss gab es von den ‘SixPänz’ die Nachtigall vom Berkeley Square, und das war wirklich der schönste Abschluss, den man sich für das Wochenende vorstellen konnte. Einfach, klar, zart und wirklich wunderschön klangen die Töne durch den Raum. Und diesmal war sogar das fahle Mondlicht zu hören.





Wer Interesse an so einem A-Cappella-Kurs hat, egal ob als Zuschauer oder als Ensemblemitglied:


www.eriksohn.de




 

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