DIE PINKELSTADT - DAS MUSICAL
26.2.2005, Berlin, Schlosspark-Theater

Es war einer dieser Tipps, bei denen man nicht weiß, was einen erwartet. “Hast du Lust am Samstag in Berlin mit in ein Musical zu gehen?”, fragte Eddi. “Da macht irgendwie der Regisseur von Bodo Wartke mit und das soll gut sein.” Mehr konnte er nicht dazu sagen. Was antworte ich auf so eine Frage im Regelfall? “Ja, klar!” Auch der Titel ‘Die Pinkelstadt’ schreckte mich nicht ab, obwohl mir sofort klar war, dass die Veranstaltung in einem kleinen Szenetheater stattfinden würde, mit fünf engagierten, leicht durchgedrehten Schauspielschülern vor sieben eventuell verwirrt guckenden Zuschauern. Aber vielleicht würde es sogar richtig gut werden. Ich freute mich jedenfalls auf den Abend und war gespannt, was wir sehen würden.

Mit meiner Einschätzung des kleinen Szenetheaters lag ich schonmal total falsch. Das Schlossparktheater sah etwa so exklusiv aus, wie es hieß und war recht groß. Auch die durchgedrehten Schauspielschüler gab es nicht. Das wirkte alles sehr professionell. Und dann entdeckte ich auf einem Plakat den Namen ‘Ilja Richter’. Ilja Richter!! Seit Jahren wollte ich den mal live sehen und hatte meinem Gatten drei Wochen vorher noch vorgejammert, dass ich unbedingt mal zu Ilja Richter möchte und ich nie weiß, ob der irgendwo in meiner Nähe spielt. Was war das für eine schöner Zufall! Der Abend wurde für mich auf jeden Fall gut, das war klar.

(Zu Ilja Richter nur eine kurze Nebenbemerkung: Ja, der hat vor langer, langer Zeit mal die Kult-Musiksendung ‘Disco’ gemacht und dabei immer “Licht aus - Spot an!” gerufen, aber abgesehen davon ist er ein ganz seriöser Schauspieler, hat ein Buch geschrieben und synchronisiert wunderbar. Ich liebe seine Timon-Stimme im König der Löwen!)

Zum Musical Pinkelstadt: Nach einer ökologischen Katastrophe muss das Wasser rationiert werden. Private Toiletten werden von der Regierung verboten, nur öffentliche Toiletten dürfen gegen Gebühr benutzt werden. Staatspolizei und Toilettenfrauen überwachen die Menschen und bei Verstößen wird hart durchgegriffen. Aus der Gruppe der Armen erhebt sich Protest und eine Revolution beginnt.

Zugegeben: Ich finde, das hörte sich nicht nach besonders spannender Unterhaltung an.
Aber: Das Musical war von der ersten Szene an lebendig, witzig und schnell inszeniert, und es gab Livemusik, Tanz, Gesang und viel Humor.


Vor allem wurde das Genre ‘Musical’ ironisch behandelt, und groß aufgezogene Szenen, die richtig schön süßlich und kitschig sein konnten, wurden immer wieder von Zwischenbemerkungen oder Szenen aufgebrochen, die eine gewisse Distanz zeigten. Aber es war auch die Liebe zum Musical zu spüren, so dass sich die Schauspieler zwar augenzwinkernd und überspitzt über Musicals lustig machten, sie aber trotzdem hingebungsvoll und mit Begeisterung spielten.

Kurz vor Beginn der Vorstellung war uns gesagt worden (von Felix Powroslo, der der Bodo-Wartke-Regisseur und einer der Schauspieler war), dass für die Kenner Schlüsselszenen aus anderen Musicals zu erkennen wären, und natürlich versuchten wir so viele wie möglich zu entdecken. Titanic, Evita, König der Löwen, West Side Story, Les Misérables waren von uns zu identifizieren, aber es gab noch mehr, die wir wahrscheinlich darum nicht erkannten, weil wir keine Musicalkenner waren.

Die relativ unaufwändigen Dekorationen wurden kreativ eingesetzt und gaben der Bühne immer wieder neue, interessante Anblicke. Das Publikum wurde zwischendurch direkt angesprochen und erhielt Randbemerkungen oder zusätzliche Erklärungen. Das war eine witzige zweite Ebene, die immer wieder daran erinnerte, dass die Schauspieler auf der Bühne “spielten” und dabei wußten, dass ihnen gegenüber Zuschauer im Saal saßen. Während auf der Bühne eine Massenkampfszene sehr dramatisch und filmgerecht in Zeitlupe gespielt wurde, erklärte ein Schauspieler zur Freude des amüsierten Publikums: “Die Verfolger können sie nicht erreichen, weil sie sich so langsam bewegen!” 

Auch dass der Held zwangsläufig das junge, hübsche Mädchen bekommen musste, weil es eben ein Musical war, wo das so sein musste, wurde leicht genervt gesungen, und der Hauptdarsteller konnte sich laut über kitschige Sätze wundern, die er als Held singen musste. Weil die Heldin “Freya” hieß, wurde im Revolutions-Freiheits-Chor gesungen: “Lasst uns alle Freya werden!”, was bestimmt auch als “Freya” aufgeschrieben war, und nicht als “freier”. Ein bißchen abgedreht war es also schon, aber genau in dem Maße, dass es klasse war. Wir hatten beim Zusehen und Zuhören eine Menge Spaß und lachten oft los. Es war durchgehend kurzweilig und blieb bis zum etwas überraschenden Ende frisch und lebendig. Wahrscheinlich haben wir sogar noch einige Gags verpasst, die wir erst bei einem erneuten Besuch des Musicals entdecken würden.

Ilja Richter gefiel mir übrigens genauso gut, wie ich das erwartet hatte. Er spielte den Bösen überzeugend seriös, aber trotzdem mit leichtem Augenzwinkern, konnte singen und tanzen, und ich fand ihn klasse. Die anderen aber auch. Mit voller Power spielten, sangen und tanzten die Schauspieler in wechselnden Rollen und waren mit Energie und Temperament dabei.

Nur dass die Zuschauer sofort nach der letzten Verbeugung der Schauspieler aufstanden und das Theater verliessen, obwohl die Band noch die Schlussnummer spielte, fand ich sehr daneben. Das war eine grobe Missachtung der Musiker, die live spielten und keinen Kinoabspann vom Band machten! Naja. Hauptsache die Zuschauer des Schlosspark-Theaters, die ansonsten eher die weichgespülteren Operetten sahen, hatten Spaß gehabt, was man ihren Gesichtern unschwer ansehen konnte.

Fazit: Ein toller Abend mit einem Musical, das frisch, schnell und witzig inszeniert war, von tollen Darstellern mit viel Engagement vorgetragen wurde und großen Spaß machte.
Ich soll übrigens aus Werbegründen extra betonen:
“Der Eddi fand es klasse!”
Und die Anette auch.

Die Bilder sind dem Programmheft entnommen!

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