Fröhliche Weihnachten,
Mr.Scrooge
11.11.2005, Aula des VGE, Erftstadt,
Veranstalter: Erftkultur.inof

Am 11.11. feiert man im Rheinland den Beginn des Karnevals. Vormittags in Köln sah ich kostümierte Menschen, die vor den Kneipen standen oder auf dem Weg zur Straßenbahn waren, am Abend besuchte ich in ein weihnachtliches Theaterstück. Für beide Jahreszeiten hatte ich an diesem strahlenden Herbsttag überhaupt keinen Sinn. Weder für den Karneval, noch für Weihnachten. Warum ich trotzdem gerne zu “Fröhliche Weihnachten, Mr. Scrooge” ging, lag am Regisseur und am Hauptdarsteller. Ingo Brückner, den Regisseur, hatte ich schon als sehr guten Schauspieler und Regisseur beim Theaterverein “Szene93” kennengelernt. Inzwischen war er dort nicht mehr, hatte aber das Infoportal “Erftkultur” aufgemacht, das über Theater und Bühnenstücke im Erftkreis informierte. Zum Glück ließ ihn das Theaterspielen nicht los und er hatte jetzt den Mr. Scrooge inszeniert. Den spielte in der Hauptrolle Daniel Forschbach, den ich schon mehrfach als Schauspieler gesehen hatte, und der mir jedesmal sehr positiv aufgefallen war. Ingo Brückner und Daniel Forschbach - das konnte eigentlich nicht schief gehen.

Es war der Premierenachmittag, und die ersten Reihen der vollen Aula waren von Kindern besetzt. Die blieben vor Beginn der Vorstellung aber nicht alle auf ihrem Platz sitzen, sondern rannten zum Teil durch den Raum oder hoben kurz einen Vorhangzipfel an, ehe sie aufgeregt lachend auf ihren Sitz zurücksausten, bevor sie auch nur einen Blick dahinter geworfen hatten. Vermutlich waren die Schauspieler und der Regisseur zur gleichen Zeit genauso aufgeregt, unterliessen es aber ihrerseits von innen am Vorhang zu rupfen.

Die Inszenierung fing schlagartig an. Ohne Vorwarnung und mit dem bewußten Verzicht auf jede sanfte Abblendung ging das Saallicht aus. Zack! Ich zuckte zusammen, und die umherlaufenden Kinder schrien erschrocken auf und rasten im Dunkeln zu ihren Plätzen. Großartig! In einem Scheinwerferkegel vor der Bühne erschien der Regisseur und hielt sich einen Finger vor die Lippen, bis das Rascheln und das aufgeregte Gewisper aufgehört hatte. Bei der Begrüßung sprach er so leise, dass kein Kind auf die Idee kam, laut zu atmen, sondern alle mucksmäuschenstill zuhörten. Er erklärte, dass Geister im Stück vorkamen, vor denen man keine Angst haben musste. “Die tun nix, die wollen nur spielen.” Ängstliche Kinder sollten an unheimlichen Stellen die Hand ihres Nachbarn ergreifen. “Und wenn es Erwachsene gibt, die Angst vor Geistern haben...” ein fröhliches, helles Kindergelächter erfüllte die Aula, denn das war ja unvorstellbar! Erwachsene mit Angst vor Geistern!

Das Stück fing akustisch an. Der Wind heulte ums Haus, Musik erklang und eine Erzählerstimme aus dem Off umriss kurz die Situation. Als sich der Vorhang öffnete, begann das Stück im Büro des geizigen Mr. Scrooge. Zunächst leise und ruhig, was den etwas späteren Auftritt von Daniel Forschbach als Mr. Scrooge umso gewaltiger erscheinen ließ. Unter Orchesterdonner vom Band stürmte er durch die Türe und war so polterig und heftig, dass selbst die kleinsten Zuschauer sofort merkten: Das war der Böse. Grau und steif sah er aus und genauso bewegte er sich über die Bühne. Selbst seine Mimik wirkte eingefroren. Ein unbarmherziger, verbitterter, alter Mann.

Die Kulissen und Kostüme waren einfach und ohne viel Aufwand, aber sehr schön für die Zeit um 1840 gemacht. Also sparsam, aber das, was da war, passte genau. (Wobei ich mich jetzt schon bei den Machern für die Bezeichnung “ohne viel Aufwand” entschuldige, weil ich weiß, dass sowas nicht mal nebenbei entworfen, gebaut und bemalt wird.) Der Wind vom Band heulte leise, aber unermüdlich, und ich vergaß den blauen Herbsthimmel draußen, das seit Wochen schöne Sonnenwetter, die strahlend gelben Blätter an den Bäumen, und fühlte mich wie im grauen, kalten Winter. Wie schön, dass ich in der warmen Aula sitzen konnte. Als dann noch sanfte Weihnachtsmusik zu hören war, war ich perfekt eingestimmt und kam in echte Weihnachtsstimmung. Das fand ich dann irgendwie klasse.

Als sich der verstorbene Kompagnion von Scrooge mit laut hallender Stimme meldete und dann auf der Bühne erschien, zuckten auch einige der Erwachsenen zusammen und guckten aufmerksam gespannt wie in der Geisterbahn. Etwas beeinträchtigend zur unheimlichen Erscheinung war allerdings, dass der verstorbene Marley eindeutig aus dem Rheinland stammte und mit düsterer Stimme und in leicht singendem Tonfall Sätze wie: “Isch will disch warnen!” rief. Das klang dann doch weltlicher, als es sollte. Aber vielleicht bin ich einfach durch die Medien fehlgeprägt und kann mir als unheimliche Geister nur akzentfreie Erscheinungen vorstellen. Auf jeden Fall machte mir dieser Geist keine Angst, sondern ich grinste leicht und fühlte mich wie im rheinischen Volkstheater.

Der kurz darauf aus dem Safe kletternde “Geist der vergangenen Weihnacht” (Silvia Andreotti) war äußerlich ziemlich verstaubt, innerlich wechselnden Stimmungen unterworfen und erfreute die Zuschauer durch sein Temperament und die immer wieder auf Scrooges Schulter knallende Hand. Peng! “Aua!”

Er führte Ebenezer Scrooge zu Bildern vergangener Zeiten, und wunderbarerweise behielt man als Zuschauer immer den Überblick wo man war und was gerade in welcher Zeit zu sehen war. Alles logisch und nachvollziehbar. Sogar die vielen Kinder blieben erstaunlich ruhig und folgten aufmerksam der Handlung.

Erst als der Hauptdarsteller unter der Wucht der Eindrücke auf der Bühne zusammenbrach und still liegen blieb, rief eine zarte Kinderstimme energisch: “Aufwachen! Keine Schlafenszeit!”, was natürlich die anwesenden Zuschauer trotz des Ernstes der Situation sehr erheiterte.















Federleicht, glitzernd und quirlig kam der “Geist der gegenwärtigen Weihnacht” (Dorothee Markert) und führte Scrooge zu Bildern des aktuellen Weihnachtsfestes. Der Geist wirkte auf den ersten Blick zart und nett, war aber ziemlich konsequent, nicht nur mit Mr. Scrooge. Als eine große Geschenkkiste nicht sofort auf ein vereinbartes Klatschen hin von der Bühne gezogen wurde, gab es einen empörten Blick zurück und dann einen kräftigen Tritt, der sie in die richtige Richtung beförderte. Die Mitarbeiter hinter der Bühne beeilten sich daraufhin die Kiste schnell an einer Schnur von der Bühne zu ziehen. Klasse!

Durch kleine Requisiten wurde das Büro zum Wohnzimmer und Mr. Scrooge konnte sehen wie die Familie seines ruhigen, bescheidenen Mitarbeiters und sein unbeirrbar fröhlicher Neffe (Volker Boehme) feierten. Bei der Essensszene der Familie gab es echtes Hähnchen, und ein Zuschauerkind aus der letzten Reihe rief sehnsüchtig halblaut aus: “Ich will auch was!”  Das kam aus tiefstem Herzen, beziehungsweise Magen.


Sehr schön war bei den Reisen in die Vergangenheit und Gegenwart die Mimik von Daniel Forschbach als Scrooge zu beobachten. Während seine Gesichtszüge vorher steif und hart gewesen waren, brachen sie nun immer öfter auf, wurden weich und brachten sogar ein Lächeln und freudige Begeisterung zustande. Er lebte mit, und aus dem verbitterten Mann wurde immer öfter ein Mensch, der Gefühle zeigte. Aber auch die mitspielenden Kinder waren sehr gut und spielten manchen Erwachsenen mit ihrer Natürlichkeit und Spielfreude an die Wand.

Der düstere “Geist der zukünftigen Weihnacht” kam gegen Ende der Erzählung, und als er unheimlich, dunkel und mit hallender Stimme erschien, kletterte vor mir ein Kind blitzschnell auf den Schoß der Mutter, barg das Gesicht an ihrer Schulter und klammerte sich ganz fest. Uh, das war dann doch etwas viel für kleine Zuschauer.

Natürlich war am Ende alles Friede, Freude, Eierkuchen, so wie es sein musste. Etwas kitschig, tränenrührend, aber genau richtig für eine Weihnachtsgeschichte, die natürlich gut ausgehen musste, mit einem Mr. Scrooge, der vom bösen alten Mann zu einem liebevollen, warmherzigen Menschen wurde. Das konnte man Daniel Forschbach abnehmen, und ich vermute, dass die Kinder, die ihn vorher für böse gehalten und vielleicht sogar Angst vor ihm gehabt hatten, ihn am Ende alle total nett fanden und gerne als Onkel gehabt hätten. Und ich war komplett in Weihnachtsstimmung.


Fazit: Ein durchgehend interessantes, kurzweiliges Stück, bei dem nie der Überblick verloren ging und bei dem auch die anwesenden Kindern dem Verlauf mit den wechselnden Zeiten einfach folgen konnten. Die Stimme aus dem Off, die zwischendurch Verbindendes erzählte, war zwar eine schöne Profistimme von einer CD, aber das hätte mir live gelesen (vielleicht von einem Erzähler, der dazu auf die Bühne tritt) noch besser gefallen. Dann hätte man auch an einigen kleinen Stellen den Text etwas zutreffender machen können. Die Musik war durchgehend sehr passend und wunderbar stimmungsunterstützend gewählt. Einige der Schauspieler waren noch etwas ruhig und zurückhaltend, was irgendwie zu ihren Rollen passte, was aber auch mit etwas intensiverem Ausdruck nicht unpassend gewesen wäre. Aber alle spielten mit großem Einsatz und Spaß, und besonders die Kinder und die Weihnachtsgeister kamen beim Publikum gut an. Und Daniel Forschbach als Ebenezer Scrooge war wirklich toll.


Ich fand’s gut, meine halbwüchsigen, pubertären Kinder fanden’s gut, die vielen kleinen Kinder in den ersten Reihen auch, und bei der Stelle, an der der Erzähler sagte: “ Im Ofen flackerte ein lustiges Feuer...” wandten alle Erwachsenen vor mir ihren Kopf nach links, um aufmerksam auf den gemalten Kamin zu blicken. Wenn das nicht ein Versinken in der Geschichte war! Also: Ein vergnüglicher, kurzweiliger Theaternachmittag für die ganze Familie, der nebenbei auch bei sommerlichem Wetter Weihnachtsstimmung erzeugen konnte.


Zwei kleine Pannen, die nicht zum Stück gehörten, mir aber trotzdem gut gefielen: Mr. Scrooge griff in die Hosentasche und holte ein weißes Taschentuch heraus. Es war klein zusammen geknüllt und er machte ein etwas komisches Gesicht, als er es mit schlagenden Bewegungen auseinanderschüttelte. Er reichte es seiner Partnerin rüber, die es so entsetzt ansah, als hätte er ihr ein altes Butterbrot angeboten. Scrooge rief: “Oh!”, musste grinsen, griff erneut in die Tasche, holte ein großes Stofftaschentuch heraus, nahm seiner Kollegin das zögerlich ergriffene erste Tuch wieder ab und reichte das andere. Daniel Forschbach erzählte später, dass er in der Pause mit einem Tempotuch über die geschminkten Lippen gewischt hatte und das Tuch in der Szene versehentlich zuerst ergriffen hatte. Seine Partnerin guckte dann leicht entsetzt auf die Flecken im eindeutig gebrauchten Tuch und war nicht sehr begeistert, was ihn zum Grinsen brachte.

Die andere Szene war ein so wunderbarer Schlußpunkt, dass sie besser nicht hätte inszeniert werden können. Schon während des Stückes war bei den schnellen Umbauten im Dunklen immer mal wieder etwas mit einem Knall auf den Boden gefallen oder ungeplant laut herum gekullert. Das war nicht schlimm und wurde von den Zuschauern mit Schmunzeln registriert. Die große Endszene des Stückes war da, nach dem letzten Satz ging das Licht aus, und beim Abgang im Dunkeln hörte man als letztes Geräusch einen lauten Knall. Da war jemand auf der Bühne gegen den Stuhl gelaufen und hatte ihn umgeworfen. Rumpel und Peng! Ein schöner Schlußton. Und das meine ich ernst, denn ich musste sofort gerührt grinsen und fand es einfach schön. Peng! Das war’s.



Ganz am Schluß: Der Erlös der Aufführungen geht übrigens an den Verein “Hilfe für Tschernobyl-geschädigte Kinder e.V”  

Alle Szenenfotos vom Veranstalter
www.Erftkultur.info

 

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