Hallo Ü-Wagen  “Hör’ mal! Liebeslieder”
Aufzeichnung vom 26. Juni 2005, Düsseldorf

Seit 1974 gibt es auf WDR 5 die Sendung “Hallo Ü-Wagen”. Einmal in der Woche wird der Übertragungswagen in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen an den Straßenrand gestellt und eine zweistündige Live-Sendung zu einem vorher ausgesuchten Thema gemacht. Experten und Gäste sitzen im offenen Wagen, und das Publikum darf und soll mitmachen. Das Grundthema kann manchmal ganz schön abdriften, wenn unerwartet neue Aspekte und interessante Meinungen gesagt werden, aber gerade dadurch ist die Sendung informativ und lebendig. Und erstaunlicherweise werden sogar vermeintlich uninteressante Themen oft überraschend spannend. Früher war Carmen Thomas die Moderatorin, seit 1997 leitet Julitta Münch die Gesprächsrunde, was sich aber immer noch nicht bei allen Hörerinnen und Hörern* herumgesprochen hat.

*(Anmerkung von Anette: Aufmerksame Leserinnen und Leser werden merken, dass ich in diesem Bericht darauf achte, dass ich jeweils Frauen und Männer nenne, also ‘Hörerinnen und Hörer’ schreibe, was ich sonst meistens nicht mache. Mir ist schon klar, dass es wichtig wäre das prinzipiell zu machen und nicht immer nur die männliche Form zu verwenden, aber ich finde einfach, dass es die Sätze holperig und umständlich macht und damit den Hör- und Lesefluß stört. Auch die Schreibart “HörerInnen” finde ich seltsam. In diesem Bericht achte ich aber einfach mal auf die korrekte Form, weil ich sonst die Rückfrage der in dieser Sache sehr aufmerksamen Julitta Münch befürchte, ob denn nur Männer zugehört hätten... )

Diesmal stand der Ü-Wagen in der Düsseldorfer Altstadt und ich war endlich mal dabei, was weniger am Thema “Liebeslieder” lag, sondern an den musikalischen Gästen Purple Schulz und Josef Piek. Sie sollten dort live ein paar Lieder spielen und da fand ich es natürlich sehr reizvoll gleichzeitig Purple Schulz-Musik zu hören und den Ü-Wagen mit Julitta Münch zu erleben. Das Wetter war sonnig heiß und in der Düsseldorfer Altstadt fand an diesem Wochenende eine JazzRalley statt. Das bedeutete, dass viele Menschen unterwegs waren und von allen Ecken Live-Musik zu hören war. Der Ü-Wagen stand klein und bescheiden in der Fußgängerzone und fiel im Getrubel kaum auf. Hätte auch ein Beratungsstand des Portas-Türenstudios sein können. Fast gemütlich sah er aus mit dem blauen Vorhang im Hintergrund und mit seinem aufgeklappten Seitenteil, auf dem neben dem Keyboard auch eine Stuhlgruppe stand.

Noch vor dem Beginn der Aufzeichnung begannen Purple und Josef mit ihrer Musik und sofort blieben Menschen stehen, die zuhörten. Währendessen nahmen die Gäste der Sendung Platz und wurden von Julitta Münch begrüßt. Zu Julitta Münch fiel mir immer zuerst ein: “Die wäre kein Stummfilmstar geworden”, was daran lag, dass ihre sehr hellen, blauen Augen für das damalige schwarz-weiss-Filmmaterial nicht geeignet gewesen wären. Bühnenschauspieler, die es damals zum Film zog, hatten mit sehr hellen Augen keine Chance, weil die im harten Kontrast nicht gut abgebildet wurden. Das aber nur nebenbei. Außerdem machte sie ja Radio. Sah aber schon klasse aus, wie ihre strahlenden Augen mit dem intensiv leuchtenden Strassschmuck ihrer Halskette um die Wette leuchteten.

Pünktlich mit dem Jingle und dem Beginn der Sendung startete etwas weiter rechts auf einem großen Platz eine schmetternde Musikgruppe, deren Klang ziemlich laut bis zum Übertragungswagen schallte. Na toll. Julitta Münch erklärte kurz den Inhalt der Sendung, dass es Liebeslieder für jede Generation gäbe und stellte die Gäste vor. Professor Dr. Conrady war Literaturwissenschaftler, Professor Dr. Minkenberg Musikwissenschaftler, Eva Richter Texterin, Gino Trovatello Musikproduzent und Purple Schulz und Josef Piek Musiker. Es gab also aus allen Gebieten Leute, die etwas zur Theorie und Praxis des Themas beisteuern konnten.

Zunächst war die Praxis dran. Purple und Josef spielten ‘Bis ans Ende der Welt’ und die Trompete von der Seite schmetterte immer mal wieder in anderer Tonlage und rhythmisch völlig daneben hinein. Das war schon ein bißchen blöd, denn die Lautsprecher am Ü-Wagen hatten eine angenehme Lautstärke, während die Musik vom Platz sehr laut eingestellt war. Aber Konzentration war alles, und so versuchten die Zuhörer und Zuhörerinnen ihre Hörnerven nur nach vorne zu richten und die Trompete so weit wie möglich zu ignorieren. Zum Glück war das Purple Schulz Lied etwas temperamentvoller und konnte dementsprechend kräftig gesungen werden.


Julitta Münch wollte danach von Purple und Josef einiges über das Schreiben von Liebesliedern wissen und ob man merkt, ob die echt gemeint sind. Na klar, konnte man das merken, bestätigten die beiden, und ich dachte, dass sie da an die richtigen Ansprechpartner gekommen war, denn gerade Purple Schulz ist für mich der Inbegriff für “echte” Musik. Der schrammelt nie seine Lieder runter, sondern ist immer ganz bewußt dabei und fühlt was er singt.

(Noch eine Anmerkung von Anette: ‘Purple Schulz’ besteht als Gruppe aus Purple Schulz und Josef Piek. Auch wenn ich den Namen von Josef manchmal nicht aufführe, ist er musikalisch unverzichtbar und geht dann nur im Gruppennamen ‘Purple Schulz’ unter. Der Hauptsänger ist aber Purple Schulz, das heißt, die Interpretation und Ausdruckskraft des Gesanges hängt sehr von ihm ab.)

“Jetzt hören wir ein richtiges, ernstgemeintes Liebeslied”, kündigte Julitta Münch ‘Wenn du mich küsst’ an, und Purple musste mit ruhigen Klängen und leisen, sanften Stellen gegen die temperamentvolle Dixielandmusik von nebenan ankommen, die immer wieder wabbernd durch die Luft zog. Das war schwer. Es war auch beim Zuhören wieder volle Konzentration gefragt, und ich fühlte mich wie auf einer Kirmes, auf der sich viele Klänge und der Lärm der Fahrgeschäfte in der Luft mischten.













Purple versank hochkonzentriert im Lied und wirkte, als ob er keine Fremdklänge hörte, aber vermutlich war es bei dieser Lautstärke sehr schwer für ihn. Das Publikum war aber trotz des Fremdlärmes überraschend aufmerksam und hörte intensiv und sehr still zu. Vom Ü-Wagen aus hatte Julitta Münch ein liebevoll umschlungenes Pärchen mit Kind entdeckt und stürzte nach dem Lied darauf zu. “Sie haben sich so schön angeschmiegt. Ich habe mehr auf Sie geachtet, als auf die Musik.”  Sie fragte nach der Echtheit der Musik und war genau an die passenden Menschen geraten. Beide machten selber Musik und fühlten sich vom Purple-Lied sehr berührt. Der Mann bestätigte mit sanfter, ruhiger Stimme und Blick auf Purple und Josef: “Man fühlt, wenn es echt ist. So muss das sein!” Seine Stimme hatte einen Hauch von Ruhrpott und er wirkte in seiner Art irgendwie kompetent in Sachen Musik und Gefühle. “Wenn der Purple oder der Herbert singt...”, sprach er weiter und wurde von Julitta Münch unterbrochen: “Grönemeyer?” “Natürlich!” bestätigte er sofort, was leises Gelächter auslöste, weil es eigentlich klar war und weil es so nett war, dass er die beiden so selbstverständlich beim Vornamen nannte.

Eine andere Publikumsdame erzählte sehr nett von einem türkischen Lied, das sie an eine frühere Liebe erinnerte, und mein Gatte nahm eine Tarnkappen-Haltung ein, die ihn vor Fragen schützen sollte. Leicht schläfrige Augen, den Blick in die Ferne gewandt, den Geist merklich hinterhergeschickt und bloß nicht zur Moderatorin geguckt, die sich inmitten der Zuhörerinnen und Zuhörer befand. Ich hatte auch ein wenig Sorge, dass sie sich mit dem Mikrofon zu mir wenden könnte, aber irgendwie fühlte ich, dass das nicht passieren würde. Keine Ahnung warum, aber manchmal verlasse ich mich einfach auf mein Gefühl. Und richtig - sie ging zum Wagen zurück und Paul McCartney sang ‘Silly love songs’. Aber er war nicht persönlich da, sondern kam vom Band. Das merkten auch die Zuschauer und Zuschauerinnen und es war schnell eine deutliche Verringerung der Menschenmasse zu spüren. Musik aus der Konserve an einem Übertragungs-Wagen, auf dem offensichtlich nichts passierte und alle nur abwartend rumsaßen, das fesselte Passanten nicht lange und manche gingen weiter. Vielleicht wollten sie auch nur flüchten, ehe die Moderatorin in der nächsten Runde plötzlich mit dem Mikro vor ihnen stand. Schon während der Fragerunde hatten sich nämlich einige Leute schnell zur Seite verdrückt.

Professor Dr. Conrady war dran und stellte alte Liebes-Texte vor. Er hatte eine Menge von beschrifteten Zetteln in der Hand, konnte aber frei zitieren und hatte zweifellos noch eine riesige Menge von Versen im Kopf abrufbereit gespeichert. Das war beeindruckend und auch interessant, trotzdem fiel das Zuhören etwas schwer. Er hatte ein paar Einspieler als Beispiele mitgebracht, die in der lauten Umgebung aber nicht einfach zu verstehen waren. In den aktuelleren Liebesliedern schien er oft die Tiefe zu vermissen und behauptete: “Wenn sich ‘Herz’ auf ‘Schmerz’ reimt, dann tut das immer weh!” Mir war klar, dass er ohne weitere Vorbereitung in der Lage gewesen wäre, eine komplette Tagessendung alleine zu bestreiten, aber Julitta Münch stoppte ihn behutsam, weil es ja noch weitere Experten zu hören gab.

Nach ‘Love me tender’ von Elvis erklärte der Musikwissenschaftler Professor Dr. Minkenberg, dass Musik auch ohne Text zu verstehen ist. “Liebe ist Musik”, behauptete er, woraufhin sich Purple sofort zu Wort meldete und widersprach, indem er auf die rechte Szene und Nazilieder hinwies. Nicht überall, wo gesungen wird, sind gute Menschen am Werk - darauf konnten sie sich schnell und lächelnd einigen.


Im Kreis von links nach rechts: Purple Schulz, Josef Piek, Prof. Dr. Minkenberg,
Gino Trovatello, Julitta Münch, Eva Richter und Prof. Dr. Conrady.


Zwischendurch spielten Purple und Josef noch etwas, und hinter mir hörte ich eine Männerstimme, die währenddessen sicher behauptete: “Dat is Pörpl Schulz!”. Stimmte! Gleich danach eine Frauenstimme, ebenso sicher: “Un die Carmen Thomas!” Nun ja.
Sofort anschließend spielten Josef und Purple ‘Immer nur leben’. Die Dixie-Musik machte zufällig eine Pausen und das Publikum vor dem Ü-Wagen hörte ganz still und aufmerksam den beiden Musikern zu, die nur mit Keyboard, Gitarre und zwei Stimmen so intensive Musik machten. In die letzten Takte haute zwar wieder schmetternde Nachbarmusik, aber am lauten, kräftigen Applaus merkte man, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer von dem Lied sehr berührt waren. Ich freute mich sehr darüber, aber mich musste man von der Qualität der Gruppe ‘Purple Schulz’ sowieso nicht überzeugen.

Julitta Münch begab sich wieder zielgerichtet ins Publikum und fragte eine Frau sehr freundlich: “Wie heißen Sie?” Die bekam große, entsetzte Augen und antwortete: “Oh, nein!” in einem so erschreckten Tonfall, dass die Moderatorin sich gleich an deren Begleiter wandte und sagte: “Na, dann zu Ihnen!” Sie fragte ihn etwas, er antwortete, und mir fiel auf einmal auf, wie erstaunlich tief manche Gespräche gingen. Das lag vor allem daran, dass viel Zeit da war. Julitta Münch drängte nicht auf eine kurze Antwort, sondern hatte Zeit auch längeren Ausführungen zuzuhören, fragte nach und war sichtlich an den Antworten interessiert. Das brachte manche Zuschauerinnen und Zuschauer dazu ernsthaft und oft auch sehr privat zu antworten, so dass es Geschichten zu hören gab, die nicht nur oberflächlich blieben.

Professor Dr. Minkenberg spielte zur Demonstration drei Liebesliederformeln am Keyboard, um zu zeigen, dass die Art der Musik auch ohne Worte zu erkennen war und sprach dann über die Mischung aus Handwerk und Emotionalität, die man braucht, um ein “echtes” Liebeslied zu schreiben.

Während einem kleinen Mädchen, das am Rand der Szene auf dem Arm seines Vaters saß, von einer Mitarbeiterin ein WDR-Luftballon geschenkt wurde, der ihr Gesicht langsam, aber gewaltig zum Strahlen brachte, wurden die Texterin Eva Richter und der Produzent Gino Trovatello zu ihrer Arbeit befragt. Ein Hit aus ihrer Werkstatt wurde eingespielt. Zu hören war Michelle mit dem Grand-Prix-Beitrag “Wer Liebe lebt”. Ohje, dachte ich, das war ja ein Kontrast zur warmen Purple-Schulz-Stimme. Abgesehen von der etwas quäkigen Michelle-Stimme, die ich nicht so schön fand, hatte mich auch der Text des Liedes nie berührt. Für mich war das gereimter Schlager, der keine Emotionen bei mir auslöste und den ich sofort wieder vergaß. Nur die erste Refrainzeile “Wer Liebe lebt, wird unsterblich sein” hatte ich im Kopf, weil ich nie verstanden hatte, wie das denn nun genau gemeint war. Eva Richter war von ihrer Arbeit aber völlig überzeugt, sehr selbstbewußt und behauptete: “Ich würde mich nicht scheuen Herz auf Schmerz zu reimen, wenn es in den Kontext passt”, woraufhin mein Gatte murmelte: “Das glaube ich.”

Gino Trovatello, zu dem Julitta Münch sagte: “Mit DEM Namen kann man doch eigentlich nur Schlagerproduzent werden”, war aus Köln-Porz, sprach mit leicht rheinischem Einschlag, hieß aber wirklich so. Er erläuterte, wie er Aufträge umsetzte und passende Musik für vorgegebene Anlässe schrieb. Purple warf ein, dass der KÜNSTLER eigentlich die Vision hatte, nicht der Produzent und ging von ganz anderen Voraussetzungen aus. Er schrieb Lieder, die in ihm steckten und raus mussten, während Gino Trovatello eine Vorgabe bekam, die er passend umsetzte. Der Anteil von Handwerk und Emotionen war bei beiden anders gewichtet. Bei Gino Trovatello ging es mehr um das Handwerk, wie auch sein Satz über die Arbeit am Grand-Prix-Lied: “Es hat alles relativ gut funktioniert - und es hat auch viel Geld gekostet”, zeigte. Eva Richter war unbestritten sehr emotional und legte Wert darauf, dass “Wer Liebe lebt” kein Schlager, sondern eine hochwertige Ballade sei.

Es war sehr interessant Musikschaffende aus zwei verschiedenen Richtungen dort sitzen zu haben. Ich tendierte ganz klar zur Purple Schulz Seite, weil ich die Musik als echter und als berührender empfand, aber es gab eine Menge von Leuten, die mit den Michelle-Liedern mehr anfangen konnten und wahrscheinlich auch diese Art von Texten vorzogen.


























Josef Piek meldete sich zu Wort und lobte das Lied ‘Wer Liebe lebt’. “Das ist perfekt, ein unheimlich schönes Lied, das zur Sängerin paßt.” Ich guckte verblüfft, weil ich so gar nichts mit dem Lied anfangen konnte und mich wunderte, dass Josef und ich dann doch so unterschiedliche Meinungen dazu hatte. Ihm gefiel das? Aber da redete er freundlich weiter: “MICH berührt es überhaupt nicht, aber das muss es auch nicht. Aber ich weiß, dass andere gerührte Augen kriegen, wenn sie es hören.”
Puh! Ich atmete auf. Dann hatten wir doch einen ähnlichen Geschmack. Dass diese Art von Liedern vielen anderen Leuten gefiel, da konnte ich zustimmen.

Während der Sendung gab es immer wieder Störungen, die vermutlich vor Ort schlimmer waren, als sie später über das Radio zu hören sein werden. Die herüberschallende Musik beeinträchtigte hin und wieder Gespräche und Musikbeiträge, manchmal drängten sich einzelne, meist etwas angetrunkene Passanten (in diesem Falll nur Männer!) in die Reihen und blökten laut dazwischen, aber die witzigste Störung war eine Gruppe von Hare Krishna Anhängern und Anhängerinnen, die schon von weitem an ihrem Glöckchenklingeln zu erkennen waren und bimmelnd und singend am Ü-Wagen vorbeikamen. Das gab große Erheiterung auf der Bühne und im Publikum.

Als beispielhaftes Liebeslied wurde Whitney Houston mit ‘I will always love you’ abgespielt, das so kitschig sein konnte, wie es wollte, das mich aber sofort hinschmelzen ließ. Professor Minkenberg fand es klasse, weil er auf schwarze Musik stand, Josef Piek warf ein, dass das Original von der weißen Dolly Parton sei, und Eva Richter wies darauf hin, dass es eine Whitney Houston Stimme in Deutschland gäbe, die nur nicht genug beachtet würde. Oh, da war ich echt gespannt! Wer in Deutschland hatte eine Whitney-Stimme? Das wäre ja toll! “Corinna May”, sagte Frau Richter und meine Spannung zerbröselte. Oh je. Corinna May mit Whitney Houston gleichzusetzen, das war schon heftig. Das war hart und kantig gegen weich und soulig. Ich schluckte einmal und akzeptierte dann, dass Eva Richter und ich einfach unterschiedliche Ohren und andere Emotionen hatten. Wobei ich gleich sagen muss, dass mein Geschmack nicht das Maß aller Dinge, sondern eben nur mein persönlicher Geschmack ist und ich nicht mit ‘richtig ‘ oder ‘falsch’ urteilen möchte. Ich weiß eben nur, was mir gefällt und Millionen von Menschen können das ganz anders sehen.

Ein von Purple gewünschtes Lied wurde eingespielt und ich war total fasziniert. Es war Regy Clasen, von der ich ein langes Interview und viel über ihre Musik gelesen hatte, die ich aber noch nie gehört hatte. ‘Träumst du wirklich nicht mehr von mir’, war wunderschön und zeigte, dass man mit ganz wenig Drumherum ganz viel Gefühl ausdrücken konnte. Das packte mich sofort.  (Anmerkung von Anette: Eine CD von Regy Clasen wird  so schnell wie möglich gekauft.)

Purple und Josef spielten noch etwas, dann kam die nächste Publikumsrunde. Julitta Münch kam mit Schwung von der Bühne und genau auf mich zu. Nein, das konnte nicht sein, denn mein Gefühl hatte mir gesagt..., aber da fragte sie schon: “Wie heißen Sie?” Aus dem Augenwinkel sah ich, dass mein Gatte sich wieder geistig abwesend gestellt hatte und trübe in die Ferne blickte. Schien also zu funktionieren, sein blöder Trick. Ich sagte etwas zu Liebesliedern und wurde schließlich gefragt, ob ich schonmal mit einem Partner zu einem Lied getanzt habe und der Text eine Bedeutung für beide hatte. “Äh..” Das war natürlich eine blöde Frage, denn mein Gatte tanzte ungern und wenn, dann nur wenn allgemein auf der Tanzfläche gehampelt wurde. Einen Schmusesong hatte ich mit ihm noch nie getanzt. Und ich war schon sehr, sehr lange mit ihm zusammen. In frühester Jugend hatte ich zwar mit diversen Jungs Blues getanzt, aber da waren es englische Texte, von denen ich höchstens mal Bruchstücke verstanden hatte und die mir völlig unwichtig waren. Hätte Frau Münch nicht mal nach “unserem Lied” fragen können? Da hätte ich sofort eine flüssige und zufriedenstellende Antwort gehabt! Naja, so richtig toll war meine Antwort dann nicht und ich hätte mich mal lieber nicht so fest auf mein Gefühl verlassen sollen, dass ich auf keinen Fall gefragt werde.


Purple und Josef spielten wieder und versanken trotz des Lärmes von rechts irgendwie im Lied. “Das könnten wir jetzt noch stundenlang hören”, sagte Julitta Münch danach und traf genau mein Gefühl.



Die Sendung näherte sich ihrem Ende und war sogar schon etwas überzogen, weil sie nicht live, sondern eine der wenigen Aufzeichnungen für die Sommerpause war. Da konnte dann noch etwas geschnitten und gerückt werden, um sie passend zu der Nachrichtenlänge zu machen. Purple und Josef hatten viel mehr, als ursprünglich geplant gepielt, und ich fand, es hätte mehr im Publikum nach Liebesliedern, die jemandem etwas bedeuten, gefragt werden können. Da wären bestimmt noch interessante Geschichten rausgekommen. Allerdings war es schon toll, wie Julitta Münch die Gäste möglichst gleichberechtigt zu Wort kommen ließ und jeder Änderung im Thema sofort folgen konnte. Das konnte sie nur, weil sie sich nicht starr an ihr Konzept hielt, sondern interessiert zuhörte und bereit war auch ganz neue, plötzlich auftauchende Wege zu gehen. Mit ihrer warmen, herzlichen Art wirkte sie auch schnell vertraut und eher wie die nette Nachbarin, der man auch von den Problemen erzählt, als wie eine Radio-Reporterin, die auf Sensationen aus war.

Nach einem letzten Purple Schulz Lied war dann Schluß, einige Zuschauerinnen und Zuschauer stellten noch Fragen, holten sich Autogramme oder CDs von Purple Schulz und es wurde wieder leer um den Ü-Wagen. Hinter mir hörte ich eine Passantin, die zum Wagen starrte, ihre Begleiterin fragen: “Ist das Carmen Thomas?” Die wusste es aber auch nicht.

Ich fand die Sendung sehr interessant, den Beitrag von Professor Conrady mit den alten Texten vielleicht etwas lang, auch wenn er schön war und im Nachhinein eine Grundlage zum Thema bildete, aber die unterschiedlichen Meinungen zum Thema und die verschiedenen Richtungen, aus denen die Experten kamen, insgesamt sehr spannend. Auch wenn mir die Richtung der Texterin und des Schlagerproduzenten nicht lagen, war es schön ihre Meinung zu hören und ihre Arbeitsweise kennenzulernen. Dass es keine endgültige Formel für ein gelungenes Liebeslied gibt, sondern Handwerk, Emotionalität und Interpretation zusammenspielen müssen und manchmal eben der kleine Funke mit drin ist, der aus einem Lied ein wirklich berührendes Liebeslied macht, war das gemeinsame Fazit der Sendung. Wobei ich auch gelernt habe, dass es Menschen gibt, die von anderen Liedern berührt werden, als ich. Das ist aber auch völlig OK. Und von meinem Gatten lasse ich mir jetzt mal zeigen, wie das mit dem schläfrigen Blick funktioniert...  Ein sehr schöner Nachmittag in Düsseldorf am Ü-Wagen. 

(Letzte Anmerkung: Das mit den weiblichen und männlichen Formen, den “Hörerinnen und Hörern”, fiel mir bis zuletzt schwer. Ich war immer froh, wenn ich “das Publikum”  schreiben konnte und stockte sogar einmal, als ich einen kurzen Moment lang überlegte, ob es dann auch “Gäste und Gästinnen” heißen müsste. War aber wirklich nur ein kurzer Moment und so seltsame Gedankengänge habe ich öfter. Aber es hat mich schon für die Sprache sensibilisiert und in Zukunft werde ich da vielleicht bewußter drauf achten. Aber eher da, wo es nicht so holpert beim Lesen.)

Die Sendung wird am 16.7.2005, um 11:05 Uhr bei WDR 5 ausgestrahlt.

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