PURPLE SCHULZ & JOSEF PIEK
”Zweistimmig”   
1.3.2005 Wühlmäuse, Berlin

Ich hatte Entzugserscheinungen. Im letzten Sommer hatte es für mich eine plötzliche Häufung von Purple Schulz Konzerten gegeben, die ich kurz nacheinander besuchte und alle superschön fand, und dann, als ich gerade voll drauf war, kam der abrupte Abbruch und monatelang nichts mehr. Kein Abend mit der Kombination von Purple Schulz, Josef Piek, Gitarre, Keyboard und Mundharmonika, weil die beiden für einige Monate bei der Kölner Stunksitzung beschäftigt waren. Na gut, ich hatte einige CDs zu Hause und ich konnte die beiden als Musiker auf der Stunksitzung sehen, aber das war etwas anderes. Auch schön, aber anders. Mir fehlte was. Mir fehlte ‘Nur mit dir’, mir fehlte ‘Kinderleicht’, mir fehlte ’Immer nur leben’ ... und ich vermisste die ruhigen, harmonischen Konzertabende von Purple Schulz, der eigentlich zwei Personen war. Manchmal auch fünf.

Weil das jetzt etwas verwirrend war, eine kurze Erklärung: Purple Schulz ist ein Musiker, der seine Musik eigentlich fast schon immer zusammen mit seinem Partner Josef Piek macht. Weil es einfach und einprägsam ist, nennen sie sich dabei ‘Purple Schulz’. Obwohl nur einer so heißt und der andere Josef Piek ist. Zwei Leute - ein Name. Bis dahin eigentlich noch einfach. Etwas komplizierter wird es, wenn die beiden drei andere Leute dazu nehmen, eine richtige fünfköpfige Band auf der Bühne sind, und dann auch ‘Purple Schulz’ heißen. Manchmal mit dem Zusatz ‘Band’, also ‘Purple Schulz Band’. Aber nicht immer. ‘Purple Schulz’ heißt also, dass es die gleiche Musik ist, mal in kleiner, mal in größerer Besetzung. Aber es kann natürlich auch Purple Schulz sein, der gerade privat beim Einkaufen ist. Dann macht er meistens keine Musik, heißt aber trotzdem so. Am allerkompliziertesten ist es, wenn der echte Purple Schulz beim Einkaufen im Kaufhaus im CD-Regal die Purple-Schulz-Duo-CD sieht, während aus dem Lautsprecher Purple-Schulz-Band-Musik kommt. Dann sind das irgendwie drei verschiedene Purple Schulzes, die alle die Gleichen sind, aber mal mehr, mal weniger. Nach dieser Vorbereitung müsste jetzt alles klar für den Bericht sein.

Wir erinnern uns: Ich hatte gezwungenermaßen mehrere Monate lang enthaltsam gelebt und wünschte mir ein Purple-Schulz-Duo-Konzert. Warum ich plötzlich das Gefühl hatte, dass das Leben ohne Purple-Schulz-Konzerte weniger schön war, während ich vorher jahrelang ohne ausgekommen war, konnte ich nicht erklären. Es hatte mich einfach gepackt. Vielleicht hing es damit zusammen, dass die Musik und vor allem die Stimme von Purple Schulz nicht neu für mich waren, sondern seit den 80er Jahren einen vertrauten Klang hatten, den ich immer gerne gehört hatte. Irgendwie war Purple in meinem Leben immer dabei gewesen. Mein Mann und ich hatten sehr interessiert seine ersten Erfolge beobachtet, intensiv und ständig neu geschockt ‘Sehnsucht’ angehört und uns jedesmal gefreut, wenn er im Radio zu hören oder im Fernsehen zu sehen war. Dabei waren wir gar keine harten Fans, die alle Platten kauften und zu Konzerten gingen. Sehr seltsam, aber manchmal hat man trotzdem so ein vertrautes Gefühl und mag jemanden, auch wenn man ihn gar nicht wirklich kennt.

In den 90er Jahren lief Purple seltener im Radio und ging uns darum ein wenig verloren. Bis wir zufällig nachts im Autoradio ein langes Interview mit ihm und seinem Partner Josef Piek anhörten und uns total freuten. Purple Schulz gab es noch und er machte immer noch Musik! Als ich dann in meinem ersten Konzert von ihm saß, wusste ich, warum ich ihn immer so gemocht hatte und warum ich seine Lieder so gerne hörte.

Nach dieser langen Einleitung geht’s jetzt endlich zum Konzertbericht:

In Berlin schneite es. Sogar auf den Strassen blieb der Schnee liegen und gab der Großstadt ein ungewohntes, fast romantisches Aussehen. Fühlt sich da eigentlich jeder ein wenig wie früher als Kind, wenn er über verschneite Bürgersteige stapft? Ich schon, und ich fand die Atmosphäre etwas abgedreht unwirklich. Ich war in Berlin, es schneite und ich ging zum Purple Schulz Konzert. Irgendwie unglaublich, aber wahr. Ich freute mich. Über Berlin, über den Schnee und auf das Konzert.

Die ‘Wühlmäuse’ waren schnell gefunden und mein Platz im gemütlichen Saal auch. Für Wühlmäuse war das alles ganz schön groß und geräumig. Irgendwie hatte ich mir das enger und kellerähnlicher vorgestellt. Da ich mich erst wenige Minuten vor Beginn des Konzertes auf meinen Platz setzte, ging es fast sofort los. Während der vertrauten Programm-Anfangsmusik vom Band quatschten die Zuschauer noch, aber als Purple und Josef auf die Bühne kamen, gab es Applaus und dann gespannte Stille. Mit ‘Noch ein Tag, noch ein Jahr’ fing es an. Akustikgitarre, schmales Keyboard und zwei Stimmen, die sehr natürlich und kaum verstärkt klangen. Es klang leise, sanft und melancholisch durch den Raum und war außerdem eines meiner Lieblingslieder. Wenn das mal kein guter Anfang war! Im Text ging es auf den ersten Blick um eine lange Autofahrt im Schnee, auf den zweiten aber um eine zwischenmenschliche Beziehung, und Purple Schulz begrüßte das Publikum danach mit einem “Herzlich willkommen!” und erklärte sofort: “Es ist komisch. Zum ersten Mal seit fünf oder sechs Jahren liegt draußen Schnee. Es ist total doof das Lied zu singen, wenn draußen Sommer ist. Schön, dass uns Berlin so gut empfängt!”

Er versprach ein paar neue Stücke für den Abend, wollte aber zunächst für die Neuhörer eine “Grundlage” mit vertrauten Sachen schaffen. “Die Nummer heißt: Über 30”, woraufhin vergnügtes Gelächter einsetzte und Purple grinste: “Das stimmt ja eigentlich immer noch.” Sie begannen zu spielen und ich fühlte mich wie in einem Wohnzimmer. Der Sound war klar und natürlich und klang überhaupt nicht künstlich. Da saßen zwei Musiker, die mit Keyboard und Gitarre Musik machten und dazu sangen, und ich vermisste nichts, was das irgendwie hätte ergänzen können. Wunderbar!

‘Ein Schritt vor und zwei zurück’ von Ulla Meinecke war noch nicht ganz rund in der musikalischen Ausführung, aber schon sehr ruhig und entspannend. Es war zu merken, dass es zwischen der Stunksitzung und dem ersten Konzert nicht viel Zeit gegeben hatte, so dass die Sicherheit, die Purple und Josef sonst bei gemeinsamen Auftritten hatten, noch nicht ganz wieder da war. Vermutlich wird das aber kaum einer gemerkt haben und auch ich spürte nur hin und wieder eine ungewohnte Anspannung, die ich in ihren Konzerten nicht gewohnt war. Im Gegensatz dazu merkte ich bei ‘Keine Zeit zu weinen’ und ‘Kinderleicht’, dass ICH ganz entspannt in meinem Sessel saß und total ruhig wurde. Ich hatte einige schöne, aber volle Tage hinter mir, war durch die Gegend gereist, hatte viel erlebt, und kam nun ganz runter und war völlig wunschlos glücklich und zufrieden. Das war Entspannung pur und eine so schöne Atmosphäre, dass ich ganz in dieser tiefen Ruhe und Zufriedenheit versank. Zuerst dachte ich, dass es vielleicht nur mir persönlich so ging, aber in der Pause unterhielt ich mich mit dem Paar, das neben mir saß, und die hatten es genauso empfunden. Es war ihr erstes Purple Schulz Konzert und sie fanden es wunderschön und genau richtig nach einem hektischen Tag. “Ich habe die beiden vorher nie gehört, meine Frau kannte die Musik von früher, aber es ist genau das, was ich jetzt brauche”, sagte der Mann und sah dabei richtig zufrieden aus.

Obwohl ich die ruhige Atmosphäre so sehr genoß, hätte ich gegen Ende des ersten Teiles gerne noch ein oder zwei schnellere Stücke gehört. Mir war aber klar, dass das Programm noch nicht feststand und sich bei den nächsten Konzerten sowieso noch ändern würde. Außerdem sah das Paar neben mir das ganz anders. “Nein, das ist sehr schön und genau richtig so”, sagte der Mann, “ich will gar keine schnelleren Stücke hören.” Ein achtjähriger Fan, der zwei Reihen vor mir saß, erklärte mir in der Pause, dass er mich nur mit Brille erkennen könne und ich ohne Brille, er zog sie aus und blinzelte mich mit halb zugekniffenen Augen an, aussähe wie ein großer, heller Fleck. “Ich warte auf mein Lieblingslied. Das haben sie bisher noch nicht gesungen”, seufzte er. “Was ist denn dein Lieblingslied?”, fragte ich nach. “’Du hast mir gerade noch gefehlt’. Glaubst du, das singen sie noch?” ”Ich glaube schon”, sagte ich und hoffte, dass es wirklich dabei war. Aber musste ja eigentlich. Zur Sicherheit schickte ich telepathische Grüße an Purple und Josef hinter der Bühne und dachte, dass sie spätestens jetzt auf die spontane Idee kommen würden, mal wieder ‘Du hast mir gerade noch gefehlt’ zu singen.

Die zweite Hälfte war von Seiten der Musiker deutlich entspannter und lockerer und auch das Publikum wurde lebhafter. Das Publikum war auch schon in der ersten Hälfte recht gut drauf gewesen, und auch Purple und Josef hatten wunderschöne Musik gemacht, aber im zweiten Teil waren alle aufgetauter, fühlten sich vertrauter und wohliger und waren darum lässiger. Während draußen Berlin von unermüdlich fallenden, kleinen Schneeflocken leise zugedeckt wurde, genoßen die Besucher in den kuschelig gemütlichen Wühlmäusen den zweiten Konzertteil.

‘Unter einer kleinen Decke in der Nacht’ von Stephan Remmler war total süß und ich kannte es bis dahin gar nicht. Darum hatte ich Purple auch geglaubt, als er in der Anmoderation von einsamen Nächten in Hotelzimmern sprach, und dass er das Stück dort ganz frisch geschrieben hätte. Allerdings sang dann jemand hinter mir halblaut den Text mit, so dass entweder das Lied nicht neu sein konnte, oder er die letzte Nacht im Hotelzimmer von Purple verbracht haben musste. Zum Glück wurde die Erklärung noch gegeben, so dass ich nicht tagelang darüber grübeln musste.

Während es in der ersten Hälfte vorwiegend ruhige Stücke gegeben hatte, wurde die zweite abwechslungsreicher. Es gab das erschreckende ‘Sehnsucht’ zu hören, eine schaurige Moritat über einen grausigen Mord, das wunderschön lässige ‘Solche Tage’ und sogar ‘Aufschnitt nehmen’ aus der Kölner Stunksitzung. Als jammernder Xavier Naidoo klagte Purple dem Wurstgeschäft hinterher, und die Zuschauer lachten genau an den richtigen Stellen und hatten Spaß. Das funktionierte nicht nur bei der Stunksitzung - wie schön! Josef übernahm dabei übrigens erstaunlich gut das Keyboard, was ich verwundert registrierte, weil ich ihn bis dahin immer nur mit Gitarre gesehen hatte.





Und dann kam zum Glück ‘Du hast mir gerade noch gefehlt’, was den Jungen vor mir bei den ersten Tönen vom Sitz katapultierte. Ich grinste froh zu ihm rüber und hoffte, dass er seine Brille noch anhatte, damit Purple und Josef nicht zu großen, hellen Flecken wurden, aber so lange sie sangen, wäre ihm das vielleicht egal. Das Publikum sang am Ende mit und klatschte und johlte laut und begeistert, als Purple und Josef abgingen. Aber natürlich nicht, weil sie abgingen, sondern weil sie wiederkommen sollten. Das taten sie auch und brachten ‘Schöne Leute’ und als Schlußlied ‘Immer nur leben’. Da saß ich in meinem Sessel, hörte auf die helle, sanfte Stimme von Purple, mit dem ganz leichten, wunderschönen Vibrato am Ende mancher Töne, und ich wußte wieder ganz genau, warum mir die Konzerte so gut gefielen. Es waren Texte, die mir oft sehr nahe gingen, eine sehr schöne Musik und eine musikalische Ausführung, die in der Duo-Version manchmal ganz schmal und auf das Wesentliche reduziert war und darum umso intensiver wirkte.

Unerwartet ging es im Purple Schulz Konzert noch weiter, denn das Publikum verlangte nach weiteren Zugaben und Purple und Josef waren jetzt so drin, dass es ihnen scheinbar völlig egal war, dass sie noch keinen Feierabend hatten. ‘Kleine Seen’ wurde im Refrain halblaut vom Publikum mitgesungen und Purple machte eine Kurve und ging in ‘Tränen lügen nicht’ über, das dann ziemlich lautstark mitgesungen wurde. Am Ende sang er nochmal ganz sanft von den kleinen Seen und die aufgedrehte Stimmung wurde sofort wieder zart und wunderschön, bis der letzte Akkord im mäuschenstillen Raum verklang.

“Noch eins?” fragte Purple in den Applaus, und die Antwort war ein begeistertes: “Ja!!” Er  begann mit ‘Ich bin müde’ und ich freute mich, denn das hatte ich noch nie live gehört. Mit leicht brüchiger Stimme sang er den Refrain: “Hat das nicht Zeit bis morgen...” Oh, ich mochte diese Stelle! Aber in diesem Moment wurde es still. Der Keyboard-Akkord verklang, die Gitarre wurde stumm - Purple hatte den Text vergessen. Er guckte hilflos und grinste schulterzuckend, während die Zuschauer vergnügt lachten. Josef sprach den Text vor: “Ich weiß, ich bin spät dran und hab was getrunken”, und wandte sich ans Publikum: “Deswegen sind wir zu zweit auf der Bühne.” Purple atmete tief aus und sagte: “Von vorne!” Es ging wieder los, und bei der brüchig gesungenen Zeile: “Hat das nicht Zeit bis morgen?” lachten die Zuschauer schon ganz alleine vergnügt. Purple kam genau eine halbe Zeile weiter, dann war der Text wieder weg und er sang: “Ich wär so gerne ... es haut nicht hin... lalalala”, und lachte los. Aber er gab nicht auf. Josef sagte den Text erneut vor, Purple begann, das Publikum lachte schon VOR der entsprechenden Stelle laut los und applaudierte laut, als diesmal alles gut ging und die Klippe geschafft war. Ich dachte noch, schade, dass das ruhige Lied jetzt so zum Lacher geworden ist, denn die Ruhe ist damit raus, aber da wurde es ganz still im Zuschauerraum, weil Purple so ernsthaft sang, dass die Atmosphäre sofort zu den Zuschauern überging.Toll!

Dann war endgültig Schluß. Mehr Zugaben, deren Texte seit Monaten bequem und ungenutzt im Hirn ruhten, wollte Purple vielleicht nicht riskieren. Außerdem war es spät geworden und die Zuschauer mehr als zufrieden mit dem langen Konzert. Es gab langen Applaus und überall freudig lachende Gesichter. Auch ich war völlig entspannt und sehr gut gelaunt, weil ich mal wieder Purple und Josef getroffen hatte, weil ich ihrem Konzert zuhören konnte und weil ich ein paar schöne neue und viele schöne ältere Lieder hören konnte. Vermutlich fanden Purple und Josef den Abend noch verbesserungsfähig, weil es das erste Konzert seit mehreren Monaten war. Im ersten Teil hatte ich hin und wieder eine leichte Angespanntheit erkennen können und manchmal das blinde Vertrauen und selbstverständliche, gemeinsame musikalische Fühlen der beiden vermisst. Nicht, dass das musikalisch sehr auffällig gewesen wäre, aber wo sonst eine Ahnung ausreicht, weil der eine weiß, was der andere macht, mussten es an diesem Abend manchmal Blicke sein. Ich glaube aber, dass die meisten Zuschauer gar nichts davon gemerkt haben und, wie meine Sitznachbarn, sehr begeistert von dem ganzen Abend waren.

Ob das mit der Telepathie geklappt hatte, oder ob das gewünschte Lied schon vorher auf dem Ablaufplan stand, weiß ich nicht. Ich will da auch gar nicht nachfragen und mich lieber weiterhin auf meine Gedankenübertragungfähigkeiten verlassen. Die verschneiten Autos konnten nach dem Konzert ausgebuddelt werden, ich hatte noch einen schönen Tag in Berlin, und jetzt fehlt mir zu meinem Glück nur noch, dass es mehr Konzerte von Purple Schulz im Kölner Raum gibt.

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