Leinenführigkeitsseminar
28.10.2006, DOGS, Erftstadt

Leinenführigkeitsseminar - was für ein Wort! Aber die verständlichere Übersetzung: “Was mache ich, damit mein Hund nicht immer so an der Leine zieht und dann auch noch ständig in eine andere Richtung als ich will”, war nicht kürzer. Verblüfftes Stocken löste aber nicht nur das lange Wort in meinem Bekanntenkreis aus, sondern auch die Tatsache, dass ich mir das ansehen wollte und gar keinen Hund hatte. Aber man muss ja nicht immer alles logisch erklären.

Vor Ort, auf dem grasbewachsenen Übungsplatz von DOGS in Erftstadt, gab es acht Hunde, die von ihren Besitzern angemeldet worden waren, um den Kurs zu absolvieren und gutes Benehmen auf der Straße und im Wald zu lernen. Weitere Hunde waren als Zuschauer dabei, und auch mehrere Hundebesitzer hatten sich ohne ihren Hund als passive Teilnehmer angemeldet, weil der Kurs mit acht aktiven Teilnehmern schon voll belegt war und sie davon ausgingen, dass sie die neuen Erkenntnisse ihrem Hund später auch zu Hause vermitteln konnten.

Würde es zu schaffen sein, innerhalb von vier Stunden aus acht keuchend an den Leinen ziehenden Kraftpaketen brav neben dem linken Bein tänzelnde Musterhunde zu machen? Nein. Das lag aber schon daran, dass die meisten der acht Hunde überhaupt nicht keuchend an der Leine zogen, sondern nur etwas uninteressiert an den eingeschlagenen Pfaden ihrer Besitzer waren und lieber hier schnüffeln, dort gucken und vor allem gerne die Laufrichtung bestimmen wollten. Aber warum waren die Hunde so uninteressiert an den Plänen des Besitzers, und warum wollten sie meistens vorne laufen? Was konnte man als Besitzer machen, um einen Hund zu haben, der an einer lockeren Leine einfach immer mitlief?

Alexandra Angrick, eine der Mitarbeiterinnen von Martin Rütter, war die Leiterin des Seminares zur Leinenführigkeit. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde aller Anwesenden, bei der die Besitzer ihre Hunde vorstellten und auch die hundelosen Menschen kurz erklärten, ob sie einen Hund hatten und warum sie an diesem Tag dabei waren, gab es die erste Beobachtungsrunde für die acht Aktiv-Teilnehmer. Jeweils ein Hundebesitzer ging mit seinem angeleinten Hund möglichst “wie immer” ein großes, abgestecktes Viereck auf dem Rasen entlang, und die Anwesenden guckten genau zu und teilten ihre Beobachtungen mit. Hatte der Hund die Nase nur schnüffelnd auf dem Boden, interessierte er sich überhaupt für seinen Besitzer? Versuchte er vorne zu sein und vielleicht sogar den Weg abzuschneiden? Hielt er die Rute hoch oder runter? Wie benahm er sich, wenn der Besitzer stehen blieb?





























































Das “Erstmal machen lassen und beobachten” war die typische DOGS-Philosophie. Was sehe ich? Es galt ein Gespür für die Körpersprache und das Verhalten jedes einzelnen Hundes zu bekommen und zu überlegen, was er mit seiner Mimik, dem Verhalten und der Körperhaltung ausdrücken wollte. Für die Zuschauer gab es, von ganz aufmerksamen Hundeaugen bis zu völligem Desinteresse und von schlappen Leinen bis zu straff gezogenen, viel zu sehen. Dabei bremste Alexandra Angrick sofort aus, wenn es schnelle Pauschalurteile gab. “Rute hoch” hieß nicht zwangsläufig ‘Imponiergehabe’, das war erstmal nur Erregung und Anspannung, auch bei ängstlichen Hunden. Und der Hund, der sich beim Halt ruhig vor sein Frauchen stellte, war nicht unbedingt besonders brav, sondern wollte vielleicht mit gerader Haltung und durchgedrückten Vorderbeinen zeigen, dass er Herr der Lage war. Wichtig war die individuelle Beurteilung, denn jeder Hund hatte einen eigenen Charakter. Was bei dem einen vielleicht absichtlich ignorantes Verhalten war, konnte beim anderen Konzentrationsschwäche oder völlige Ahnungslosigkeit sein.

Man merkte Alexandra Angrick an, dass das Thema Leinenführigkeit und die Arbeit mit den Hunden ihr großen Spaß machten. Aufmerksam und mit nicht nachlassender Energie beobachtete sie die Hunde ebenso wie das Verhalten ihrer Besitzer, gabTipps und bohrte bei schwierigeren Fragen zur Körpersprache nach, bis die Zuschauer in die Nähe der richtigen Antwort kamen. Dabei erklärte sie immer wieder das Verhalten des jeweiligen Hundes: “Er hat gerade im Imponiergalopp überholt. Das hieß: ‘Hallo? Ich will was anderes. Was machst DU denn??’” Ihre Begeisterung wirkte ansteckend, und es erschien in dieser Atmosphäre völlig normal, dass man gebannt auf einen Hund blickte, der schnüffelnd über eine Wiese lief und sich seinerseits überhaupt nicht für die vielen Zuschauer interessierte.

Außerdem fiel ihr schnell auf, dass die Hunde oft im falschen Moment Aufmerksamkeit bekamen und zu selten gelobt wurden. Wenn sie unaufmerksam in die falsche Richtung zogen, riefen die Besitzer: “Nein! Hier! Komm!” oder “Fuß, Fuß, Fuß!!” Viel Aufmerksamkeit und Ansprache für nerviges Verhalten. Saßen sie drei Minuten mal ganz brav und geduldig neben dem stehenden Besitzer, oder liefen sie vorbildlich an lockerer Leine neben ihm, wurden sie meistens wortlos übersehen. Alexandra Anrick rief dann schon mal: “Er ist jetzt ganz brav. Loben!” und wollte das erwünschte Verhalten auch durchaus mit einem Leckerli belohnt sehen. Die von den Besitzern vorsichtshalber reichlich mitgebrachten Hundekekse wechselten schnell aus den Jackentaschen in die Hunde.
















“Für Hunde muss ein Verhalten Sinn machen”, erklärte die Seminarleiterin, und ‘Sinn’ mache es für sie meistens schon, wenn ein Leckerli dabei raussprang. Ein Einkaufstrip durch die Stadt wurde für Hunde interessant, wenn sie davon ausgehen konnten “Beute” zu machen. Wie toll, wenn sie immer, wenn sie mit Herrchen oder Frauchen unterwegs waren, irgendwo ein paar Hundekekse oder sogar einen Futterbeutel fanden!

Eine der menschlichen Teilnehmerinnen sollte das mit ihrem Hund probieren. Immer wieder bückte sie sich beim Gang über die Wiese und hatte einen Keks “gefunden”, den sie natürlich genau in diesem Moment heimlich aus der Manteltasche genommen und im Gras abgelegt hatte. So intelligent Hunde auch sein mögen, am “plötzlichen Keksefinden” zweifelte ihr Exemplar überhaupt nicht und wurde immer aufmerksamer. Dabei fiel auf, dass er zunächst versuchte selber Kekse im Gras zu finden, dann aber schnell kapierte, dass es sinnvoller war, aufmerksam in der Nähe der Besitzerin zu bleiben, da die das anscheinend viel besser konnte. Vielleicht verschätzte ich mich auch in der Intelligenzleistung des Hundes und der sah genau, dass sein Frauchen alles inszenierte, aber egal, es funktionierte: Der Hund merkte, dass es prima war, aufmerksam und in der Nähe des Besitzers zu bleiben, weil das gute Beute versprach. Damit war eine weitere DOGS-Philosophie erreicht: Der Hund soll merken, dass der Besitzer alles im Griff hat, er sich einfach seiner Leitung anvertrauen kann und dann tolle Sachen erlebt.
















Für die beim Leinenlauf auftretenden individuellen Probleme hatte Alexandra Angrick immer sofort eine Erklärung und einen Lösungsansatz. Einer der Hunde war noch jung und zog schon sehr kräftig an der Leine nach vorne. Sie erklärte, dass der Hund, entgegen der Meinung der meisten Zuschauer, nicht besonders dominant, sondern sogar eher etwas unsicher sei und die Leine immer auf Spannung hielt, damit er seine Besitzer spüren konnte. So lange die sich am Ende der gestrafften Leine befanden, konnte er was anderes machen, fühlte trotzdem immer, wo sie waren und konnte sie damit auch kontrollieren. Das hätte ich nie so gedeutet und war wieder mal erstaunt, wie anders ein auf den ersten Blick anscheinend logisches Verhalten erklärt werden konnte. Die Leiterin übernahm die Leine und wurde “frech”, indem sie die Richtung wechselte, sobald der Hund sie gerade überholt hatte, so dass er nie vorne war und die Leine nicht mehr gestrafft war. Genau wie sie es vorher angekündigt hatte, versuchte er korrigierend einzugreifen, biß in die Leine, um sie straff zu halten und kam dabei der Hand immer näher. Allerdings war er noch so jung, dass er nicht aggressiv wurde, sondern es übermütig wie ein lustiges Raufspiel ansah. Es war aber ganz klar, dass ihm das Verhalten der Leinenführerin nicht passte und er seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte. Höchste Zeit, ihm klarzumachen, dass nicht ER die Leitung beim Spaziergang hatte. 
















Zum Abtrainieren dieses Verhaltens schlug Alexandra Angrick vor, Richtungswechsel zu üben und dem Hund, wenn er für kurze Zeit ohne Leinenbeißen und Ziehen mitmachte, alle paar Schritte ein Leckerli zu geben, das erwünschte Verhalten also sofort zu belohnen und zu fördern. Dass die Besitzer nun nicht für die nächsten 10 Jahre mit ständigen Richtungswechseln durch die Gegend laufen mussten und dabei alle fünf Schritte einen Keks in die Hundeschnauze werfen mussten, war klar. Das Trainingsprogramm sollte in kleinen Schritten durchgeführt werden, die länger wurden, je mehr der Hund begriff, worauf es ankam.

Auffällig war, wie liebevoll Alexandra Angrick mit den Hunden umging und dass sie eine Übung sofort abbrach, wenn einem Hund nach mehreren Wendungen plötzlich die Leine zwischen den Beinen hing. Da war es ihr immer wichtiger, dass dem Hund nichts passierte, als dass die Übung zu Ende gebracht wurde. Sehr sympathisch. Sie betonte auch, dass es bei ‘Leinenführigkeit’ nicht um den perfekt dressierten Hund geht, der beim Kommando “Fuß” neben dem Bein bleibt. Wichtig ist, eine gute Beziehung aufzubauen, dem Hund durch Spiele, Leckerlis und interessante Beschäftigung zu vermitteln, dass es richtig spannend wird, sobald die Leine ins Spiel kommt, und dass es für ihn da, wo der Besitzer ist, am interessantesten ist. Die Leine als Symbol für eine spannende Zeit, nicht als Zeichen für gähnende Langeweile. Daraus folgend dann ein Hund, der gerne in der Nähe bleibt, schnüffelnd die Umgebung erkundet, aber aus dem Augenwinkel heraus aufmerksam darauf achtet, was sein Besitzer macht, damit er nichts vom Spaß verpasst.

“Viele Hunde haben als ’Hobby’ das Jagen”, erklärte Alexandra Angrick unter dem fröhlichen Gelächter der Zuschauer, die das meistens bestätigen konnten. Ihnen das zu verbieten und sie einfach nur an der Leine durch den Wald zu führen, war - wie sie anschaulich erklärte - als würde man ein Kind auf einen Kinderspielplatz bringen und ihm dort sagen, es müsse auf der Bank sitzen bleiben oder ständig an der Seite der Mutter stehen. Natürliches Jagdverhalten konnte man aber umlenken, wenn man den Hund Futterbeutel apportieren ließ, was auch an einer langen Leine ausgeführt werden konnte. Das gab “Beute” und “Sinn”, war für den Hund also ein lohnendes und außerdem spaßmachendes Handeln. Wenn das Hundeleben schön und interessant war, wenn die Leine ins Spiel kam, musste ein Hund nicht mehr sein “eigenes Ding durchziehen”, sondern konnte sich freudig seinem Besitzer zuwenden, um mit ihm zusammen Spaß zu haben.

Gegen Ende des vierstündigen Kurses zeigten einige Hunde deutliche Konzentrationsschwächen. “Das ist anstrengend für sie”, erklärte Alexandra Angrick verständnisvoll und betonte, dass im “normalen Alltag” die Übungen in kleinen Portionen gemacht werden sollten, ohne den Hund zu überfordern. Immer nur so lange, wie der Hund konzentriert dabei war, und dabei immer wieder mit Spaß für ihn, damit er motiviert war. Der Mensch musste bestimmen und die Situation führen, und er musste mit dem Training aufhören, ehe der Hund nicht mehr mitmachen wollte und sich verweigerte. Ich erinnerte mich sofort an Grundschulzeiten, in denen ich meine Kinder für sieben Zeilen “großes B” oder eine Rechenheftseite voller “blöder Dreien” motivieren musste. Auch da musste ich mit Ruhe, Tricks und manchem Leckerli den ‘Sinn’ zeigen und lieber mal abbrechen und pausieren, ehe es zu viel wurde. War ja gar nicht so unähnlich.

Im Übrigen war zur Verwunderung vieler Teilnehmer eine lange Leine zum Üben besser geeignet, weil der Mensch damit besser vordenken und schneller reagieren konnte, ehe der Hund zum Beispiel schon überholt hatte und hart von der kurzen Leine gestoppt wurde. Das hieß für die Hundebesitzer, dass sie selber auch nicht gedankenlos durch die Gegend laufen durften, sondern intelligent vordenken und Aufmerksamkeit für ihren Hund haben mussten. Wie sagte Martin Rütter doch immer: “Hundeerziehung ist Arbeit!”






Der Kurs war sehr kurzweilig und machte Spaß. Die menschlichen Aktiv- und Passivteilnehmer erfuhren viel über die Leinenführigkeit allgemein, aber auch über die Möglichkeiten in ihrem speziellen Fall. Den ganzen Kurs über, auch in der Pause und danach, hatte Alexandra Angrick ein offenes Ohr für alle Fragen und antwortete freundlich, ausführlich und sorgfältig. Dass sie ihren Traumberuf gefunden hatte und es ihr zum Wohle der Hunde wichtig war, den Besitzern ein Verständnis für das Verhalten des Hundes zu vermitteln, war deutlich zu merken. Außerdem vermittelte sie mit ihrer Energie und dem inneren Strahlen, dass es bei allen Problemen Lösungsmöglichkeiten gab und eine Verbesserung der Situation immer machbar war. Je nach Hund und Hundebesitzer eben recht schnell oder in vielen kleinen Schritten langsam.

Die Hundebesitzer gingen am Ende sehr motiviert, vollgestopft mit Tipps und vor allem mit konkreten Plänen zur besseren Leinenführigkeit nach Hause, die Hunde waren ähnlich vollgestopft, aber mit Leckerlis, die sie in diesem Einführungskurs ja noch alle paar Schritte bekommen hatten. Nach vier Stunden aufregendem Zusammensein mit anderen Hunden, unerwarteten Richtungswechseln und plötzlich auf der Wiese gefundenen Keksen waren sie inzwischen ziemlich müde. Darum liefen sie auch alle recht vorbildlich ruhig an ihren Leinen, als es zurück zum Parkplatz ging. Vielleicht hatten sie aber auch, während sie schnüffelnd über die Wiese liefen, gut zugehört und mehr gelernt, als ich ahnte.

Und wer jetzt noch wissen will, warum das Thema ‘Leinenführigkeit’ auch mit dem Thema: ‘Wo hat der Hund zu Hause seinen Platz und darf er sich den selber aussuchen?’ zusammenhängt, warum “bei Fuß!” nicht hautnah am Besitzerbein liegen sollte und wie man Welpen beibringt, dass die Leine ganz, ganz toll ist, sollte vielleicht auch mal in ein Seminar bei DOGS gehen.


Hundebesitzer und Leute, die planen sich demnächst mal einen Hund anzuschaffen, können mit Spaß und an anschaulichen Beispielen viel in den Seminaren und Vorträgen bei DOGS lernen. Vor allem erfahren sie viele grundlegende Sachen, werden für die deutlichen Aussagen in der Körperhaltung des Hundes sensibilisiert, können dadurch viele Fehler vermeiden und insgesamt besser auf die Bedürfnisse des Hundes eingehen. Das Ziel, ob bei der Leinenführigkeit oder dem täglichen Zusammenleben, ist ein funktionierendes Rudel, in dem sich alle entspannt wohl fühlen und der Hund davon überzeugt ist, dass sein Besitzer toll ist, alles im Griff hat und er mit ihm eine Menge aufregender Sachen erleben kann. Und wenn der sogar Kekse auf der Wiese finden kann.... wow! Oder besser: wau!


Für Leute mit Hund und für alle, die vielleicht mal einen haben wollen:
www.d-o-g-s.de
 

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