Hagen Rether  LIEBE  5. September 2007, Pantheon, Bonn

Stellen wir uns folgende Situation vor:
An einem Kneipentisch sitzt täglich ein älterer, ein wenig nachlässig angezogener Mann, dessen rötliche Gesichtsfarbe und die etwas verknubbelte Nase verraten, dass er den Rotwein, der vor ihm auf dem Tisch steht, regelmäßig und in Mengen konsumiert. Er sitzt ganz harmlos und freundlich in seiner Ecke und redet mit sanfter Stimme über das Weltgeschehen. Die anderen Leute hören gar nicht richtig zu, lächeln ein wenig über ihn und geben ihm hin und wieder eine neue Flasche Rotwein aus. Er aber hat einen Blick auf die Wahrheit werfen können und weiß, dass er weise und richtig spricht, aber auch, dass ihn niemand ernst nimmt.

Eine Szene, die sich einfach vorstellen lässt, oder?

Sie ging mir durch den Kopf, als ich Hagen Rether im Pantheon zuhörte. Nur dass Hagen Rether sehr groß, schlank und erst Mitte 30 war, gebildet und wohlerzogen wirkte und in korrektem Anzug am glänzend polierten Flügel saß. Außerdem hatte er weder eine rote Knubbelnase im Gesicht, noch ein alkoholisches Getränk vor sich stehen. Das Bild, das ich aktuell sah, passte also nicht zu dem alkoholisierten Welterklärer aus der Kneipe, aber trotzdem waren sich die beiden in ihrer Art ähnlich.

Auch Hagen Rether sinnierte mit ruhiger Stimme vor sich hin, erzählte, erklärte und gab Kommentare. Über den Papst, den Islam, Bush, Grönemeyer und die Weltpolitik. Dabei suchte er nicht nach Antworten und versuchte auch nicht mit Druck und innerem Feuer die Zuhörer von seinen Ansichten zu überzeugen. Er wirkte ebenso wie der Mann in der Kneipe, der einen Blick auf die Wahrheit geworfen hatte und nun ernüchtert und resigniert wusste, dass es, bei allen Möglichkeiten zur Veränderung, doch keine Hoffnung auf eine Verbesserung gab. Er war weder pessimistisch, noch depressiv, er war einfach ein Realist. Allerdings ein sehr zynischer und sarkastischer.

Witzig, überspitzt, gnaden- und respektlos ging er an die Themen heran, und mehrfach zog ich die Luft erschreckt ein und dachte: “Boah, dass er sich traut, das so zu sagen!” Aber er traf genau den Punkt und wirkte dabei oft harmloser, als er war. “Baseballschläger-Schnitzerei im Erzgebirge” und “Wo andere mit dem Schlauchboot fliehen, da fliegen wir mit TUI hin”, waren typische Bemerkungen, die mir manchmal das Lachen noch beim Losplatzen im Hals stecken bleiben ließen. “Erinnern Sie sich an Zeiten, in denen amerikanische Präsidenten einfach erschossen wurden? Der Bush fährt, glaub ich, gar kein Cabrio.”

Den Flügel setzte Hagen Rether nur hin und wieder ein, wenn er sehr lässig und gekonnt während seiner Erzählungen leise untermalend auf den Tasten klimperte, was aber auch in richtig guten Jazz übergehen konnte. Er war ein hervorragender Pianist, aber das Reden blieb im Vordergrund, was auch sehr gut war, denn die Musik war gar nicht wichtig. Ein leichter Ruhrpott-Akzent und manche kernige Sprüche standen fast im Kontrast zur äußeren Erscheinung, aber immer blieb er ruhig und sanft. Manchmal erschien er etwas verwundert über die viele Blödheit auf der Welt. “Kindergeburtstag”, kommentierte er dann oft abschließend und seufzte: “Was reg ich mich auf...”

Und er hatte Zeit. Unendlich viel Zeit. Das war kein Programm, bei dem die Pointen mit Tempo um die Ohren geknallt wurden, sondern ein Sinnieren und Vor-sich-hin-Erzählen. Trotzdem war es kein ausuferndes Gerede, sondern alles Überflüssige war weg und es blieben die Sätze mit dem Wesentlichen übrig. Ich fand es sehr faszinierend und blieb hellwach, was mich fast wunderte, denn nach einem langen Tag ein dreistündiges, eher ruhiges Erzählprogramm serviert zu bekommen, war nicht unbedingt ideal. Aber bei Hagen Rether kamen immer wieder mit sanfter Stimme so treffende Bemerkungen, dass ich gespannt auf die nächste blieb.

Natürlich konnte ich mich herrlich über die Arroganz, die Unverschämtheit und die Blödheit von Politikern, Kirchenmännern und prominenten Persönlichkeiten amüsieren, aber hin und wieder musste ich mit Schrecken erkennen, dass auch bei mir zutraf, was Hagen Rether behauptete: “Wir wollen nichts wissen.” Kriege, Flüchtlinge, unsinninge politische Entscheidungen - so lange die nicht bei mir im Vorgarten stattfanden, guckte ich mal kurz hin und kümmerte mich dann wieder um andere Sachen. Und wieso hatte ich mir eigentlich noch nie einen Gedanken über Bio-Bananen gemacht? Hagen Rether behauptete lächelnd, dass die ja sicher in Deutschland wachsen würden, erweiterte danach auf die Möglichkeit, dass sie umweltverträglich mit einem Rapsöl-Flugzeug eingeflogen würden. Egal, wie sie nach Deutschland kamen, ich hatte mir diese Frage einfach nie gestellt.

Bei allem Lachen, war meine Erkenntnis des Abends: Ich denk zu wenig nach.

Genau das sagte ich Hagen Rether nach der Vorstellung, als er CDs signierte, und er blickte auf und fragte: “Echt?” Dabei blitzten seine Augen und er sagte lächelnd: “Das ist doch schon was”. Und ich hatte für einen Augenblick das Gefühl, dass der weintrinkende Kneipenerzähler mit Freude registriert hatte, dass er mit seinen belächelten Erklärungen nicht die Welt ändern würde, dass aber doch hin und wieder jemand aufhorchte und wenigstens mal ans Nachdenken kam.


Große Klasse! Scharf, treffend, hintersinnig, humorvoll und respektlos. Wer intelligentes, politisches Kabarett mag, ist bei Hagen Rether genau richtig.
 

www.hagenrether.de

zurück zu So war’s