ABBA JETZT!

4. Juli 2002,  Pantheon, Bonn

Der Flügelspieler kam zuerst auf die Bühne. Er trug einen Frack, stellte sorgfältig einen Tischflaggenträger auf dem Flügel ab und zog umständlich eine kleine schwedische Flagge hoch. Dann begann er ganz alleine mit der Ouverture, einem sehr schön gespieltem Allerlei am Flügel, bei dem ich immer wieder dachte, ich würde ein Abba-Lied erkennen, es dann aber doch irgendwie keins war. Allerdings bin ich auch nicht unbedingt ein Abba-Kenner. Er spielte immer wilder, aber es war doch ein bißchen lang, bis endlich erst eine, dann zwei Stimmen zu hören waren und es in ein erkennbares “Dancing Queen” überging. Von den Seiten kamen langsam die beiden Sänger auf die Bühne, waren auch in einen Frack gekleidet, und wirkten durch die bedächtigen Bewegungen sehr seriös. Es war schön zuzuhören, aber kurz vor Schluß fiel bei Tilo Nest plötzlich das kabellose Mikro aus und seine Stimme war nur noch sehr leise. Er reagierte schnell und sang den Rest des Liedes gemeinsam mit seinem Kollegen Hanno Friedrichs in dessen Mikrofon, was besonders witzig war, weil der gerade eine kleine Tanzeinlage einlegen mußte und sie diese zu zweit absolvieren mussten.

Während das Mikro vom Techniker angesehen wurde, begrüßte Tilo das Publikum, bemängelte etwas unangenehm berührt, dass sie Wert auf eine Kleiderordnung legen würden, “jetzt sehe ich gerade, dass sich das nicht bis zu Ihnen....”  Gelächter im Publikum auch über seine anschließende Aufforderung, dass Leute, die ein 70er-Jahre-Event erwarten würden, bitte den Saal verlassen sollen. Natürlich stand niemand auf und er schnaubte ein verächtliches: “Auch noch feige?” in den Saal und gab dann ein drohendes: “Na, dann viel Vergnügen!” von sich. Sehr witzig und auflockernd.

Das nächste Lied war S.O.S., begann gut, aber schon nach den ersten Zeilen fiel Tilos Mikro erneut aus. Sie brachen lachend ab. “Was sollen wir tun?” und beschlossen: “Wir singen ohne Mikro weiter.” Das Publikum klatschte erfreut und sie begannen nochmal ohne Mikros und nur mit Flügelbegleitung. Plötzlich bekamen sie einen kurzen Lachanfall, der sich steigerte, weil sie den Text auf das fehlende Mikro bezogen. “So when you’re near me, darling can’t you hear me, S.O.S.” oder auch “When you’re gone, how can I even try to go on?”. Einer sang sogar mal: “Where’s the micro?” und es war superwitzig. War es gespielt oder echt? Es war fast zu perfekt um eine Panne zu sein, aber sie lachten so echt. Egal, es war saugut und das Publikum hatte einen Riesenspaß. Danach gab es für Tilo ein Mikrofon mit Kabel, aber das funktionierte schon beim Probeklopfen nicht. Der Techniker schraubte es auf und wieder zu, kippelte an allen Schalter herum und plötzlich funktionierte es. Tilo versuchte es am Mikrofonständer zu befestigen und lachte: “Jetzt tut’s, aber es paßt noch nicht!”. Hanno eilte hinter den Vorhang und kam sehr schnell mit einem kleinen Karton voller Mikrohalter zurück, die er mit Schwung auf die Bühne schüttete. Also, das war doch irgendwie alles zu perfekt um echt zu sein. Zwei gespielt hektische Sänger, die zielsicher einen passenden Mikrohalter in dem Gewirr fanden, ein Techniker, der in der Mitte der Bühne am kaputten Mikro schraubte und ein Klavierspieler, der im Frack auf dem Boden rumrutschte, um die verstreuten Ersatzteile einzusammeln. Das war geplant. Oder??

Das Programm ging mit zwei funktionierenden Mikros weiter, das Publikum war gut gelaunt und erlebte, was man aus Abba-Liedern machen kann. “Knowing me, knowing you” als Jazz-Standard, den auch Frank Sinatra hätte singen können, einen gerappten Song, bei dem eine über die Augen gezogenen braune Mütze zum Frack zum Schreien komisch aussah und die lässigen Rapper-Bewegungen total cool waren, und den “Bonner Vista Social Club”, dessen Wortspiel bei der Ansage fast weh tat. Alles liebevoll, aber teilweise sehr schräg gebracht und manchmal kaum als Abba-Lied wiederzuerkennen. Schließlich kam von Tilo das Geständnis, dass er seit 5 Jahren Abba sänge und Abba überhaupt nicht gut fände. Er wolle stattdessen endlich mal ein schwedisches Gedicht vortragen und während das Publikum noch lachte, zog schleichend ein Krach auf der Bühne auf. Aber was für einer. Das Lachen blieb mir fast im Hals stecken, weil ich zwar wußte, dass es gespielt war, aber immer das Gefühl hatte, es würde gerade umkippen und zum richtigen Krach werden. Schließlich brüllte Tilo den Flügelspieler Alex an: “JETZT SPIEL!!!!” und röhrte so laut und wütend los, als ob er gleich einen Verstärker zertreten würde. Hanno verzog sich verzweifelt in den Zuschauerraum, trank einem Zuschauer das Bier weg und sank schließlich auf einem freien Platz zusammen. Sein Kollege tobte über die Bühne, röhrte Urschreie ins Mikro und lief schließlich ins Publikum, wo er einer Dame das Mikro vor den Mund hielt und brüllte: “Woll’n Se auch mal??” Sie lehnte mehrmals ab, aber er ließ nicht locker und dann brüllte sie doch einen Schrei ins Mikro und ihre Nachbarin gleich danach ebenfalls. Superwitzig.

Danach verließ Tilo den Raum und Hanno brachte ein ruhiges Lied über seine Liebe zu Abba, und der Flügelspieler, der das alles interessiert, besorgt und mit ernster Miene beobachtet hatte, begleitete ihn. Dann war Pause und wir saßen zu fünft am Tisch und überlegten, was bis dahin echt und was eine Panne gewesen war. Wir kamen zu dem Schluß, dass die Sache mit dem kaputten Mikro wahrscheinlich abgesprochen war, es aber genausogut wahr gewesen sein könnte. Oder auch nicht. Vielleicht aber doch. Sehr verblüffend, dass wir zu keinem Ergebnis kamen. Die Tendenz ging aber doch zu einer gestellten Mikropanne, weil es einfach zu perfekt und glatt abgelaufen war.

Am Ende der Pause hatte P. (Name unauffällig gekürzt) einfach mal beim Techniker nachgefragt und erfahren, dass die Mikropanne echt und kein Bestandteil des Programmes gewesen war. Huch? Obwohl wir alle bis dahin nicht wußten, was wir von der Panne halten sollten, verblüffte uns diese Information dann doch.

Das Programm ging weiter, Hanno meldete den Schluß der Veranstaltung, weil Tilo aufgehört hätte und im Hotel sei, “Sie bekommen gleich einen Gutschein für den zweiten Teil einer anderen Veranstaltung”, und gerade als er die Bühne verlassen wollte, kam der Kollege mit bedrückter Tut-mir-leid-Miene langsam auf die Bühne und die beiden versöhnten sich während eines Liedes liebevoll. Erst mit Grinsen, dann leichten Klappsen auf die Schulter, schließlich stuppste der eine den anderen liebevoll auf die Nase, dann streichelten und umarmten sie sich und ich wartete schon fast auf den Zungenkuss, als das Lied zum Glück fertig war. Sie grinsten sich glücklich an, das Publikum grinste liebevoll auf die Bühne und es war eine schöne Stimmung da. Es gab noch einige Lieder, total klasse war die türkische Version mit Tanz und jaulenden Vierteltonabständen, die Elvis-Nummer und die unglaublich temperamentvolle spanische Version. Besonders gut war immer der Kontrast zwischen seriösem, zurückhaltenden Auftreten im Frack und plötzlichen, wilden Tanzbewegungen. Am Schluß gab es den schönen Klassiker “Thank you for the music” und zu meinem Entsetzten klatschten fast alle Zuschauer auf die 1 und die 3 mit. Mitklatschen bei so einem schönen Lied!!! Nicht zu fassen!

Mein etwas ausführlicheres Fazit: Ich fand den Abend sehr witzig und schön schräg. (Nicht so viel Spaß werden richtige ABBA-Fans und ABBA-Hasser haben.) Die Darsteller waren total sympathisch und sind mir richtig ans Herz gewachsen, weil sie so nett waren, sich beim Singen oft anlachten und aussahen, als ob sie auf der Bühne viel Spaß hatten. Sie konnten gut singen und haben die Abba-Sachen mal etwas verhunzt, aber oft liebevoll verändert und zum Teil interessanter und schöner als das Original gemacht. Allerdings gab es noch einige Längen im Programm und ich würde bei vielen Liedern die letzte Strophe streichen, oder anders gestalten und damit interessanter machen. Dreimal einen Refrain mit den gleichen Bewegungen zu sehen, ist nicht mehr witzig genug. Abba-Lieder sind musikalisch leider meistens recht einfach und nicht sehr abwechslungsreich. Auch die ‘Pop meets Classic’- Nummer war von der Idee her klasse, aber zu lang, und das immer wieder erneute Umarmen hätte dezenter mit Blicken und Angrinsen ersetzt werden können. Vielleicht ein bißchen mehr Zwischenprogramm, die Lieder etwas gekürzt und noch die ein oder andere fetzige Variante dazu (auf unserer Heimfahrt kam die Idee eines Europa-Medleys auf; wär doch was, oder?), dann wäre alles noch straffer und im Endeffekt knalliger. Trotzdem hat es mir gut gefallen, ich habe oft laut gelacht und ich werde nicht sofort, aber irgendwann bestimmt nochmal zu Abba jetzt! gehen. Abba später!,  um dieses unoriginelle Wortspiel dann doch noch zu verbraten.

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