ANNEMIE  HÜLCHRATH  DER TALK
 22.6.2002, WDR, Köln

Das Sendeformat war neu, wir waren bei der ersten Aufzeichnung dabei und hatten keine Ahnung was uns erwartete. Etwa 80 Zuschauer saßen auf Klappstühlen vor einer im Halbkreis  aufgebauten Studio-Dekoration, die nur aus Weiß- und Beigetönen bestand und ziemlich schmucklos war. In der Mitte zwei weiße Plastikstühle neben einem weißen Tisch und im Hintergrund mit grauer Schrift auf Plexiglas: Annemie Hülchrath, der Talk. Alles erschreckend farblos und nüchtern, aber das würde hoffentlich durch eine bunte Annemie und einen noch bunteren Talkgast ausgeglichen werden. Hoffentlich.

Wir lästerten ein bißchen herum und überlegten, wen wir auf keinen Fall als Talkgast haben wollten. In diesem Moment ruckelte ein Teil der Deko nach hinten und heraus kam Hera Lind, die schnell eine Sitzprobe im Plastiksessel machte und sofort wieder verschwand. Och neee. Wenige Stunden vorher hatte ich begeistert in Klatschzeitungen geblättert und mich noch darüber aufgeregt, dass die Dame sich ständig vor die Presse stellt, alles mit extra produzierten Fotos unterlegt, dann aber meckert, wenn die Presse sie nicht in Ruhe lässt. Rüdiger seufzte: “Da hätte ich aber HUNDERT andere gehabt, die ich lieber gesehen hätte!” Inzwischen hatten wir erfahren, dass es zwei Aufzeichnungen hintereinander geben würde und bei der nächsten könnte es ja noch schlimmer kommen.

Kurz vor Beginn der Aufzeichnung kam Cordula Stratmann in Jeans und Bluse, hatte die blonden Haare zurückgesteckt und begrüßte das Publikum: “Mein Name ist im Moment noch Cordula Stratmann.” Sie erklärte, dass gleich Annemie käme, das Fernsehen neu erfunden würde und alles eine Premiere sei. “Meine Damen und Herren, das ist kein Spaß! Es ist eine unterhaltsame, informative, erweiternde........... Viel Spaß!” Grinsend verschwand sie von Applaus begleitet hinter der Deko und die Licht-, Ton- und Kameraprobe war vorbei.

19 Uhr, die Sendung begann. Über Monitore konnten wir einen biederen WDR-Trailer mit der Anfangsmusik ablaufen sehen, dann stand plötzlich Annemie Hülchrath in der Deko, feingemacht, in beige-weißem Hosenanzug. Sie bekam langen Begrüßungsapplaus, blinzelte geschockt in die vielen Lichter und bewegte sich zögernd und unsicher in die Mitte der Bühne. Dort sprach sie los, war typisch Annemie, die gar nicht wußte, wie sie das jetzt machen sollte und von der Verantwortung ziemlich erschlagen war. Plötzlich sagte sie in die Kamera: “Samma, können wir das bitte nochmal machen? Ich mein das ernst.” Gehörte das jetzt zur Rolle? War sie noch Annemie oder schon wieder Cordula? Nach kurzem Zögern schaltete sich der Redakteur über Lautsprecher ein und Cordula erklärte ihm: “Ich sah geblendet aus und war es gar nicht.” Regie: “Wir machen auf jeden Fall nochmal neu.” Annemie, grinsend: Ja, jetzt müssen wir ja.”

Annemie also wieder raus, der Trailer lief über die Monitore ab, Annemie kam wieder rein, erhielt lauten Beifall und lehnte zunächst völlig erschlagen von ihrer großen Aufgabe in der Tür. Diesmal blinzelte sie dabei nicht ins Licht, kam dann zögernd und unsicher nach vorne, stellte sich vor die Kamera... und über Lautsprecher kam die Regiestimme: “Sorry, Cordula, jetzt müssen wir es von uns aus nochmal machen!”

Zum drittenmal lief der Trailer los, das Publikum war sehr vergnügt, donnerte den Applaus los, als Annemie in der Tür stand und die hatte eine ganz neue Anfangsvariante und staunte über das viele Weiß im Studio. Am Ende der Anmoderation starrte sie angestrengt auf die hochgehaltenen Pappen mit den Stichwörtern, grübelte laut: “Hab ich alles?”, und ich wußte nicht, ob das nun echt oder eine Panne war. Nein, diesmal gehörte es zu Annemie und es ging sofort weiter mit dem Gast. Hera Lind, braungebrannt und in weißem Kleid wurde begrüßt und durfte sich eine Minute lang selbst vorstellen. Annemie zählte währenddessen die Zeit rückwärts und fiel ihrem Gast mit lautem “Drei, zwei, eins - STOPP!!” mitten in den Satz.

In der nächsten halben Stunde holte sich Annemie Moderationstipps von Hera Lind, fragte, wie man, wenn man im Fernsehen ist, auf dem Teppich bleibt und wann man abhebt. “Jetzt schon oder nächste Woche?” Annemie übte ihre neue Rolle als Talkmasterin, versuchte wie Sabine Christiansen zu sein, fiel aber immer wieder in ihr eigentliches Wesen zurück. “Sachma, was ich Sie fragen wollte...” Hera Lind versuchte auf die Hausfrauen-Talkmasterin einzugehen und sprach sehr einfach und möglichst originell und witzig. Sie betonte, dass sie Erfahrung als Talkmasterin hat, dass sie singt, dass sie die Rolle im Film “Superweib” gerne selber gespielt hätte und ich wußte wieder, warum ich ihre Art nicht mochte. Diese penetrante Art zu vermitteln “Ich kann fast alles, ich bin total super und finde mich toll” geht mir einfach tierisch auf die Nerven. Kein Wunder, dass die Presse auf ihr herumhaute, als es Probleme im Privatleben gab, denn schließlich hatte sie bis dahin immer geprahlt wie supertoll alles in ihrem Leben klappen würde. Nach meiner Lektüre der Zeitungen am Nachmittag wußte ich, dass ihr inzwischen schon wieder alles gelang, es keine Probleme gab, sie alles perfekt im Griff hatte und superglücklich war. Na, schön für sie, aber ich persönlich mag Leute lieber, denen wie mir auch mal Pannen passieren und die von peinlichen Situationen berichten, über die man dann gemeinsam lachen kann.

Zum Glück gab es die nicht perfekte Annemie, die mit ihren trockenen Bemerkungen passende Akzente setzte und die Zuschauer immer wieder zum Lachen brachte. Es war eine kurzweilige Sendung und am Schluß fragte Annemie: “Frau Lind, haben Sie denn in der letzten halben Stunde etwas über sich erfahren, das Sie noch nicht wußten?” und das Publikum lachte los, denn eigentlich hatte Annemie die ganze Zeit nach Tipps zum Moderieren gefragt. Plötzlich wurde die letzte Minute angezeigt, es brach Hektik aus, Annemie brachte eine überstürzte Abmoderation und unter viel Beifall zeigten die Kameras zwei winkende Damen auf der Bühne. Erste Aufzeichnung beendet, aus der Regie kam: “Danke! Wir haben drei gute Anfänge und eine gute Sendung!” und Annemie Hülchrath und Hera Lind mussten noch kurz für Fotos sitzenbleiben. Dann war Pause.

Bis zur zweiten Aufzeichnung hatten wir eine ganze Stunde Zeit, in der es Getränke gab und es ansonsten ziemlich langweilig war. Da hätte ich Besseres mit meiner knappen Zeit anfangen können. Ich trank ein Kölsch, dachte an die wirklich süße Figur von Hera Lind und beschloss ab jetzt nichts mehr zu essen, bis ich auch so aussah. Zum Glück gab es kein Buffet mit belegten Brötchenhälften in der Nähe, und ich konnte meinen Vorsatz eisern durchhalten.

Die Bühne wurde in der Zwischenzeit etwas plüschiger gestaltet, eine geblümte Stehlampe und eine Vase mit Pfauenfedern kamen neben den Tisch, auf das Regal wurden kitschige Wohnzimmer-Dekorationen gestellt und das viele seriöse Weiß damit sehr entschärft. Plötzlich kam der zweite Gast des Abends zu einer kurzen Sitzprobe auf die Bühne, und es war die Schauspielerin Manon Straché. Oh, vor Freude in die Luft springen musste ich nicht gerade.

Das Publikum kam nach und nach auf die Plätze zurück, die Zuschauer in den ersten Reihen tauschten mit einigen aus den hinteren, damit später im Fernsehen nicht gemerkt wurde, dass es am gleichen Tag gedreht war, und der Requisiteur, der die Gläser auf dem Tisch mit Wasser füllte, wurde dankbar beklatscht, weil endlich wieder was los war. Es war heiß im Studio und irgendwie hatte ich nach der langen Wartezeit keine Lust mehr. Naja, jetzt musste ich da durch.

Endlich begann der Trailer und diesmal kam Annemie schon etwas farbiger, in Lachs und Grau auf die Bühne. Die Sendung sollte fünf Wochen nach der ersten Aufzeichnung laufen und bis dahin hatte sie schon einiges aus dem heimischen Wohnzimmer angeschleppt, um die Atmosphäre wohnlicher zu gestalten. Sie versuchte die vielen Gemeinsamkeiten zwischen ihr und dem Gast aufzuzählen, bekam aber nicht viel zusammen und rettete sich mit dem ‘Temperament’. “Das ist ‘ne Sache - die hab’ ich auch!”

Manon Straché kam, durfte sich eine Minute lang selbst vorstellen und rasselte etwa zwei Minuten lang rasant schnell ihren Lebenslauf hinunter, in dem es von Städtenamen nur so wimmelte. Dann rührte sie Annemie zu Tränen, weil sie für Hund Helmut Leckerlis mitgebracht hatte, erläuterte die Theaterstimme, verglich das Fernsehen mit Luft einatmen, das Theater mit Luft ausatmen, und Annemie hörte interessiert und leicht verwirrt zu. Ab und zu warf sie mal eine Frage oder Bemerkung ein, und jedesmal gab es großes Gelächter, weil es immer kurz und knapp saß. Allerdings hatte sie gegen das Temperament und die ausufernde Erzählweise von Manon Straché keine richtige Chance. Die quatschte an einem Stück und Annemie konnte nur einwerfen oder ergänzen. War aber trotzdem klasse. Allerdings fand ich die laute Manon Straché etwas anstrengend und hätte lieber auch etwas mehr von der Talkmasterin gehört.

Als Frau Straché plötzlich die geblümte Lampe mit kritischem Blick betrachtete, fühlte sich Frau Hülchrath persönlich beleidigt, reagierte ziemlich säuerlich und es war zu spüren, wie sich Manon Straché anstrengte, aus dieser Situation wieder rauszukommen. Annemie ließ sie zappeln und wartete auf Erklärungen, und als Frau Straché endlich die Kurve hatte und betonte, dass sie so eine Lampe schon für 600,-Euro im Antiquitätengeschäft gesehen habe, setzte Annemie ein gnädiges “Kannste mal sehen!” hinterher. Das Publikum lachte sich fast schief und die Stimmung war klasse. Auf einmal waren die letzten 10 Sekunden angebrochen, es gab eine völlig überstürzt Abmoderation und nachdem die Kamera noch einmal die Bühne abgefahren war, war es geschafft.

Manon Straché war total aufgedreht und sprudelte zu Cordula Stratmann: “Ich dachte nur, wie komme ich da raus?! Ich dachte, die geht mir wegen der Lampe gleich an den Hals!!” und bekam die ernst, drohende Antwort: “Ich habe zu Hause noch einen Messerblock.” Manon Straché grinste und Cordula Stratmann legte den Kopf nach hinten und lachte laut und dröhnend los. Die Fotografen stürzten nach vorne, sie hörte sofort auf und rief: “Neee, jetzt war ich doch ICH! Annemie guckt soooo...” und sie richtete sich steif und verklemmt guckend in ihren Sessel auf. Superklasse. Zwei Seelen in einem Körper.

Die beiden Aufzeichnungen waren abgedreht, wir hatten 3 1/2 Stunden im WDR verbracht, eine sehr nette Annemie erlebt, zwei Gäste, die uns nicht besonders interessierten, angesehen und waren inzwischen etwas müde. Bis auf die lange Pause zwischen den Sendungen war es aber trotzdem kurzweilig und lustig gewesen, denn Hera Lind und Manon Straché besaßen Humor und lachten gerne. Dass ich immer noch kein Fan von ihnen war, würde weder den beiden, noch dem WDR schlaflose Nächte bereiten. Mir übrigens auch nicht.

Auf dem Rückweg machten wir einen Schlenker an der Eisdiele vorbei und brachten den Kindern ein Eis mit. Ich nahm natürlich auch eins und hatte völlig vergessen, dass ich so eine süße Figur wie Hera Lind haben wollte. Das fiel mir erst wieder ein, als ich es gegessen hatte. Na, ist eben nicht jeder perfekt. 

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