VOLKER PISPERS
  
Damit müssen Sie rechnen
                                  
3.9.2002, Pantheon, Bonn

Sein Auftritt bei der Pantheon-Gala im Sommer hatte uns so gut gefallen, dass wir sofort Karten kauften, als Volker Pispers mit dem kompletten Programm ins Pantheon kam. Diese Idee hatten aber nicht nur wir, denn das Foyer war zur Einlaßzeit schon ungewöhnlich voll, und wir waren froh, noch gute Plätze im Saal zu finden.

Ziemlich pünktlich um 20 Uhr betrat Volker Pispers ganz einfach die Bühne und legte sofort los. Es ging um den Anschlag auf das World Trade Center, der sich in den nächsten Tagen zum erstenmal jährte und um die Medien, in denen immer wieder Bilder davon gezeigt wurden. Volker Pispers verglich knallhart 3000 tote Amerikaner mit 30.000 toten Afghanen und 1,5 Millionen toten Tutsis und Hutus und stellte gnadenlos fest, dass nicht die Anzahl der Toten, sondern deren Wertigkeit entscheidend war. Dass einzelne Amerikaner für heißen Kaffee auf der Hose Millionen Dollar als Schadenersatz bekommen, das Leben von versehentlich bombardierten Afghanen aber nur jeweils 200 Dollar wert ist. Es war hammerhart und ging tief unter die Haut, auch wenn man zustimmend klatschen oder sogar lachen musste. Hin und wieder blieb mir das Lachen aber auch im Hals stecken, weil es eben nicht witzig, sondern die ungerechte und erschreckende Wahrheit war. Auch mich haben die Toten in New York mehr erschüttert, als die weitaus höhere Anzahl von toten Tutsis und Hutus, und ich habe wirklich keine Ahnung mehr, ob es mehr Tutsis oder mehr Hutus waren, achte aber wie die meisten Leute peinlich berührt darauf, dass ich wenigstens nicht politisch unkorrekt “Neger” sage. Keine Ahnung haben, nicht wirklich interessiert sein, aber Wert auf die Form legen. 

Volker Pispers kam mit genauen Zahlen, fundamentiertem Wissen und manchmal erschreckend logischen Schlußfolgerungen. Bezeichnungen wie Rebellen, Terrortruppen, Friedenstruppen, Friedenserhaltungskampffliegerstaffel schwirrten durch den Raum und wurden hin- und hergetauscht, so wie es in der Politik nach Ansicht des jeweiligen Betrachters auch geschieht. Um mich herum hörte ich immer wieder Kommentare: “Ist der hart!” und auch: “Da hat er nicht Unrecht.” und das Publikum ging richtig mit und war sehr gespannt aufmerksam.

Natürlich gab es auch sehr viel zu lachen, wenn Bemerkungen kamen wie: “Moslems sind Menschen, die die Religion ernst nehmen. Undenkbar für Katholiken!” oder die “rückgratlos aufgeklärte Spendenaffäre”. Es traf einfach extrem gut. Nach dem weltweiten Terror ging es an die heimische Poltitik und da bekamen alle eins übergebraten. “Das Tolle an der Merkel ist: Die STELLT sich gar nicht blöd!” Teilweise zitierte er nur wörtlich (seine Schröder-Stimme war verblüffend!) und das reichte aus, um im Saal lautes Gelächter und die ersten Lachtränen auszulösen.

Immer blieb Volker Pispers aber sehr menschenfreundlich, zeigte keinen Hass, sondern nur echte Empörung über die Ungerechtigkeiten auf der Welt. Er sprach über unfähige Politiker, die trotzdem gewählt werden, Zitat: “Muß das kleinere Übel immer so groß sein?”, und über Politiker, bei denen man nicht genau weiß, ob sie gewählt wurden, Zitat: “Die Amerikaner können ganz gezielt aus fünf Kilometer Höhe sehr kleine Ziele treffen, aber keine Wahlzettel-Zählmaschine bauen.”

Es war einfach klasse! Er beleuchtete das Weltbild aus anderen Perspektiven und ich sah Dinge plötzlich anders als vorher. Es waren eine Menge Denkanstöße, die Volker Pispers losließ, und ich merkte, dass ich danach über manche Dinge nachdenken und sie vielleicht auch etwas anders sehen würde. Allerdings kamen die Sachen so schnell hintereinander, dass ich gar keine Zeit hatte, sofort mit dem Nachdenken zu beginnen, sondern nur die hammerharten Einschläge genoß. Firmen, die an der Herstellung von Tellerminen, Minensuchgeräten und Prothesen beteiligt sind, als “Systemanbieter” zu bezeichnen, ließ gleichzeitig lachen und heftig schlucken, während Bemerkungen über Schröder wie: “Er hängt ja nicht an seiner Meinung.” spontane Lachanfälle auslösten.

Als ich schon dachte, dass das Programm ohne Pause sein würde, guckte Volker Pispers plötzlich auf die Uhr und rief: Oh, ich muß dringend mal Pause machen!” Ein sofortiges, weibliches: “Ja!” erklang vom Rand, und er grinste: “Das kam spontan tief aus Ihrer Blase!” Es war 21 Uhr 20 und die Pause hatten alle nötig.

Eine halbe Stunde später ging es eher noch schneller und temperamentvoller weiter. Er sprach über die Integration von Ausländern, den Ausschnitt aus seinem Programm, der mich bei der Gala schon so fasziniert hatte. Da hatte ich vorher auch nie so richtig drüber nachgedacht, und hatte seitdem eine viel bewußtere Meinung zu diesem Thema. (Ist doch irgendwie klasse, wenn ein Kabarettist mit seinen Überlegungen den Zuhören Themen richtig bewußt macht, über die sie auch Wochen später noch nachdenken!)

Volker Pispers Standpunkt: “Man muß nicht integriert sein, um friedlich miteinander zu leben.” Als Beispiel führte er auf, dass auch der Kölner in Bayern nicht integriert wäre, auch Rheinländer und Westfalen, sogar Kölner und Düsseldorfer tolerant nebeneinander leben könnten, ohne sich in die andere Kultur eingliedern zu müssen. An den schwierigen deutschen Integrations-Sprachtests würden wahrscheinlich die Hälfte der deutschen Staatsbürger scheitern und müssten demnach sofort ausgewiesen werden. Alles logisch kombiniert, und der politische Schwachsinn der Verordungen leuchtete überall durch, so dass das Publikum wirklich Spaß hatte und sehr viel und laut lachte. Klasse!

Als es dann über Schule und die Lehrer ging, war die Stimmung riesig. Volker Pispers rechnete logisch aus, dass die Lebensarbeitszeit eines Lehres im ungünstigsten Fall 14 Jahre betragen würde, er also statistisch gesehen nicht mal jeden 4. Tag seines Lebens arbeiten würde. Proteste aus dem Publikum (wahrscheinlich von Lehrern) enträftete er sofort und lachte dabei so unverschämt, dass alle Spaß hatten. Den Schulen schlug er eine Unterrichtsform vor, die dem Privatfernsehen ähneln würde, mit Werbeunterbrechungen, Hotline bei Fragen im Unterricht (“die Schüler greifen dann sofort zum Handy und rufen an”), und kurzen Trailern zur nächsten Stunde. Superwitzig!

Danach nahm er sich die Gesundheitsreform und die Ärzte vor. Er grinste: “Oh, die Lehrer lehnen sich entspannt zurück.” und musste dann beim Blick ins Publikum selber loslachen: “Manche Gesichter müssen Sie einfach von vorne sehen!” Er erklärte das real existierende Abrechnungswesen und die Kassenärztliche Vereinigung, war ehrlich empört und ließ seinen Ärger darüber in sehr eindringlichen Worten heraus. Dabei blieb er sehr locker und souverän, aber die Informationen die er gab, waren doch erschreckend. So hatte ich das bis dahin nicht gewußt, und das System war wirklich unglaublich ungerecht und hirnlos. Sehr klar verdeutlichte er das Honorar-Budget auf der einen, und das Verschreibungs-Budget auf der anderen Seite, und wie idiotisch und völlig sinnlos das von der Kassenärztlichen Vereinigung geregelt war.

Nach den Chefärzten, der Post und der Bahn war ich bis oben voll und nur noch bedingt aufnahmefähig. Das Programm gefiel mir ausgesprochen gut und ich war völlig begeistert, aber ich konnte einfach nicht mehr. Der Blick auf die Uhr zeigte, dass es fast 23 Uhr war und ich glaube, Volker Pispers hätte locker noch eine halbe Stunde dranhängen und supergut über weitere Themen sprechen können. Darum war ich froh, als er auf die Uhr guckte und feststellte: “Im Vertrag steht ‘zwei mal 45 Minuten plus Pause’, Sie hören also seit 65 Minuten Zugaben.” (Und damit ich jetzt zeigen kann, dass ich bei Volker Pispers was gelernt habe, sehe ich den Abend mal aus der Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung: Das Repertoire-Budget war noch nicht ausgeschöpft, aber beim Geld zahlte er seit 65 Minuten drauf.)

Volker Pispers bedankte sich bei den Mitarbeitern und legte den Zuschauern nahe, auch mal Abende mit unbekannten Kabarettleuten zu besuchen, denn das gäbe es eine Menge guter Leute, die eben noch nicht durch Radio und Fernsehen bekannt wären. Dem kann ich nur zustimmen.

Erstaunlicherweise stand Volker Pispers nach dem Programm gut gelaunt und scheinbar topfit am CD-Stand, lachte und unterhielt sich freundlich, während die Zuschauer, die den ganzen Abend nur gesessen und ihm zugehört hatten, lächelnd, aber doch müde und ausgepowert die Treppe hochschlichen. Zweieinhalb Stunden lang Denkanstöße zu bekommen, muß erstmal verabeitet werden.

Mir hat der Abend bei Volker Pispers extrem gut gefallen, ich werde ganz sicher wieder hingehen und halte ihn mit seiner ehrlichen, freundlichen Art und den hammerharten Treffern für wirkliche Spitzenklasse im deutschen Kabarett.
Unbedingt hingehen! Äußerst empfehlenswert!!
SPITZENKLASSE!

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