28. September 2002     .     Erftstadt     .     Szene 93

Eine halbe Stunde von Köln entfernt liegt Erftstadt, dort gibt es den Ortsteil Blessem, und ganz hinten an einer Ecke die Dorfkneipe “Blessemer Eck”. Unten verhindern undurchsichtige Scheiben den Kontrollblick von außen, oben gibt es einen Saal, in dem es Karnevalssitzungen und Dorffeiern, aber auch Theateraufführungen der ‘Szene93’ gibt. Die Gruppe hatte bei den letzten Inszenierungen auf sich aufmerksam gemacht, weil die Stücke zum Teil ungewöhnlich waren (Extremities, Anne Frank), und die Umsetzung als sehr engagiert und professionell galt.

Momentan stand “Fletsch” auf dem Programm, ein Musical über einen Werwolf, und ich war sehr gespannt. Da die eigentliche Bühne sehr klein ist, wurde auch ein Teil des Saales als Bühne verwendet und die Zuschauer saßen auf Holzstühlen am Rand. Noch vor Beginn des eigentlichen Stückes humpelte immer wieder ein stark hustender, mit Lumpen verhüllter Mensch quer durch den Saal, hatte aber keine klar erkennbare Bedeutung. Ein Blick ins Programmheft und auf die schmutzigen Beine verriet uns, dass es Daniel Forschbach, der Runing Gag war. (Na gut, das mit den Beinen war jetzt ein billiger Witz, denn ich hatte ihn vorher schon ohne vermummenden Sack auf dem Kopf gesehen und am Kostüm wiedererkannt.) Als Runing Gag tauchte er immer wieder im weiteren Programm auf, schleppte Stühle an die richtige Stelle und übernahm kleine Anreichungen.

Der Saal war inzwischen mit mehr als 70 Zuschauern ausverkauft, die letzten Nachzügler quetschten sich auf dazugestellte Stühle, und das Stück ging irgendwie los. Jedenfalls saß der Runing Gag plötzlich auf einem Stuhl und las eine Zeitung, deren Titel einen Werwolf zeigte mit der Überschrift: “Sie sind unter uns!” Gruselig. Nach einer Weile stand er auf, schleppte umständlich seinen Stuhl unter einen Lampenschirm, knipste auf überraschende Art das Licht an (perfektes timing!) und eine laute Stimme aus dem Off begrüßte alle Anwesenden bei einer Therapiesitzung. Huch, ich spielte mit?

Der Neue in der Gruppe war Stanley (Ingo Brückner), der nach vorne kommen und seine Geschichte erzählen sollte. Verschüchtert und verlegen begann zu berichten, warum er ein Werwolf ist und wie alles begann. Dabei blieb er aber nicht nur auf seinem Stuhl sitzen, sondern einige Szenen wurden plötzlich mit den betreffenden Personen gespielt, zwischendurch gestoppt, die Off-Stimme gab Kommentare, und es war supergut und spannend gemacht. Eine Tanzgruppe aus mehreren Mädchen und einem Jungen unterstützten die Aussagen durch ihre Bewegungen und hatten richtige Choreographien dazu. Es war keine ausgebildete Ballettklasse, aber sie hatten sichtlich viel geübt, waren mit Begeisterung dabei und hatten zum Teil auch wirklich Talent. Sehr positiv also.

Mit instrumentaler Playback-Unterstützung sang Stanley dann plötzlich los und hatte eine richtig gute Stimme. Es war eine fetzige Shownummer mit Gesang und Tanz, und als das Lied zu Ende war, ging das Licht über dem Stuhl wieder an, die Tanzgruppe verließ die Bühne als wäre nichts gewesen, und die Stimme aus dem Off bemerkte lässig: “Schön, wenn dir das Singen hilft!” Superwitzig, und ich freute mich noch oft am Abend an solchen kleinen Stellen, die ich immer sehr klasse finde, weil sie so abgedreht sind.

Ingo Brückner spielte den kleinen, schüchternen Stanley absolut überzeugend und sehr gut. Im Büro traf er jeden Tag Daisy (Susanne Engel), die auf ihren Traummann wartete und an Stanley überhaupt nicht interessiert war. Mit wenigen Requisiten war ein Büro aufgebaut und die Szenen sehr lustig gestaltet. Stanley hatte absolut keine Chance bei Daisy, die sich ihren Mann völlig anders vorstellte.

Auch Stanleys Vater, (Frank Mausbach) ein Großwildjäger konnte mit seinem Sohn nicht viel anfangen. Unterstützt von der Tanzgruppe, die von Gazellen bis zu Büffeln spielten, sang er sehr begeistert ein Lied über die Jagd in Afrika. Der Refrain war immer sehr mitreißend und lustig in der Musik, so richtig showmäßig, und als Text wurde fröhlich lächelnd gesungen: “Und dann wird abgedrückt ..... der Kopf zerplatzt!” Sehr makaber, aber im Kontrast superwitzig! Am Schluß musste sogar ein toter Affe von der Bühne geschleift werden. Als Stanleys Vater erfuhr, dass sein Sohn ein Werwolf sei, entschied er sofort: “Hier geht Jagdleidenschaft vor Vaterliebe” und hatte ein neues Ziel.  
 

In der Zwischenzeit hatte sich Stanley durch den Biss körperlich verändert. Selbstbewußt und muskulöser (ich sah das nicht, aber die Ausstrahlung zeigte es deutlich), beeindruckte er Daisy sehr, und sie ging mit ihm in ein Restaurant. Sehr schön der Runing Gag, der sich optisch völlig unpassend danebenbenahm und Lacher auslöste.


Leider veränderte sich der Vegetarier Stanley mit Zuckungen und Gebrüll zum Werwolf und mußte das Rendezvous überstürzt verlassen. 

Er traf Esther (Corinna Wilden), die ihn gebissen hatte und die ein Lied über ihre Lieblingsspeisen sang (“widerliche Darmdurchbrüche, sowas nenn ich gute Küche”). Übrigens hatte Corinna Wilden eine klasse Ausstrahlung, konnte sehr gut spielen und bemerkenswert gut singen. Blitzende Augen, strahlendes Lächeln, direkter, herausfordernder  Blickkontakt mit dem Publikum - ich möchte nicht wissen, wer von den Anwesenden sich gerne mal von ihr hätte beißen lassen wollen.


Carlos, der Psychiater (Stephan Nichtweiß) war ein Freund von Stanleys Vater und konnte Stanley bei seinen Problemen auch nicht helfen. Treffender Kommentar aus dem Publikum: “Der braucht aber selber ‘nen Psychiater!” Er lachte irre, gab singend den Tipp “die Zähne zu fletschen” und benahm sich schön verrückt.


Es ging turbulent weiter, die Szenen wechselten schnell, Lichtwechel, Tanzszenen und die Stimme aus dem Off sorgten für fließende Übergänge, und es wurde nicht langweilig.

Allerdings waren die Lieder zum Teil sauschwer, forderten einen großen Tonumfang und hatten nicht unbedingt eingängige Melodien. Da waren die Schauspieler an manchen Stellen einfach überfordert, auch wenn ich das nicht schlimm fand. Sie sangen mutig drauflos und es lohnte sich. Ohne Gesang wäre es nicht so gut gewesen, und gerade Corinna Wilden und Ingo Brückner waren ausgesprochen gut. Es machte viel Spaß Zuschauer zu sein!

Wunderbar der “Es- ist- zum- mit- den- Wölfen- heulen- Blues”, den Stanley blau angeleuchtet und wie in einem Jazz-Nightclub sang, während sich hinter ihm Daisy gelb angestrahlt im Bett räkelte. Witzig allerdings dann, als er nach heißer, gemeinsam verbrachter Nacht am nächsten Morgen immer noch die Turnschuhe im Bett anhat.

Ein furioses und unerwartet witziges Ende, gemeinsamer Gesang und ein schönes Finale, bei dem alle nochmal gemeinsam auf der Bühne standen. Vom Publikum kam viel Applaus, und die 5 Darsteller, der Runing Gag und die Tanzgruppe verbeugten sich fröhlich lächelnd. Regie hatten übrigens Ingo Brückner und Stephan Nichtweiß geführt, also Stanley und der Psychiater.

Ich applaudierte heftig, fand den Abend sehr gut, kurzweilig und witzig, und kann die gute Regie und die lockere Ausführung nur loben.

Im November gibt es im “Blessemer Eck” in Erftstadt-Blessem von der Szene93 die Komödie “Boing-Boing” und ich bin sicher wieder als Zuschauer dabei.

Infos unter:
www.szene93.de

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