Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 1
- 2. Juli 2006
Bevor ich mit der Arbeit beginnen kann, muss ich erstmal für vier Wochen nach Italien. Oder nach Spanien. Das Ziel ist eigentlich egal, Hauptsache, ich bin den ganzen Juli weg. Wenn ich sage, dass ich Urlaub in Italien - oder Spanien - mache, wirkt das sehr überzeugend und in Wahrheit bleibe ich einfach zu Hause. Ich TUE nur so, als wäre ich weg. Das hat den Vorteil, dass ich endlich mal Zeit für das Kinderbuch habe und mich nicht verpflichtet fühle an dringenden Sachen für andere Leute zu arbeiten. Vier Wochen lang liege ich offiziell in Italien - oder Spanien - am Strand rum und KANN gar nicht arbeiten. Eine tolle Idee, oder? Und erst im August komme ich dann angeblich zurück. Wenn das Wetter in meinem Garten inzwischen gut genug war, bin ich dann auch so weit gebräunt, dass es keine verwunderten Fragen zu meiner Blässe gibt. Oder ich murmel einfach etwas von “Sonnenschutzfaktor 400”. Oder ich war eben “immer im Sand eingebuddelt”. Vier Wochen lang.

Am liebsten möchte ich sofort lostippen, aber ich weiß, dass vorher einige Sachen erledigt sein müssen, ehe ich wirklich “frei” habe und mich konzentriert und mit Ruhe an so ein Projekt setzen kann. Ich beende also meine letzten Arbeiten, richte mir einen Arbeitsplatz im Garten ein und suche meine Notizen und gekritzelten Skizzen zusammen. Beziehungsweise das, was ich davon noch finde, denn in den letzten Wochen habe ich spontane Ideen auf kleine Zettel gekritzelt, die ich dann spontan in der Wohnung abgelegt habe. Leider nicht immer an der selben Stelle. Aber egal.

Es ist ja nicht so, dass ich bei Null beginne. Meine Geschichte der kleinen Giraffe gibt es seit mehr als 10 Jahren und damals habe ich sogar schon mal mit den Zeichnungen angefangen. Meine Kinder erinnerten sich jetzt beim Blick auf die alten Bilder sofort an die Geschichte und stellten lachend fest, dass sie sie immer für eine “echte” Geschichte von einem Profi-Kinderbuchmacher gehalten hätten. Dabei habe ich sie ihnen früher nur anhand der Bilder erzählt. Na, wenn das mal keine guten Aussichten sind!

Damals hatte ich nicht mehr genügend Zeit für die Fertigstellung der Geschichte, außerdem war ich mit den Illustrationen unzufrieden. Die hatte ich nämlich nicht so gemacht, wie ich das eigentlich wollte, sondern ein wenig dem Stil von anderen Kinderbüchern angepasst. Was für ein Quatsch! Sie blieben mir fremd und waren nicht “meine” Illustrationen. Ich lernte eine wichtige Lektion für’s Leben: “Sei du selbst!” Und außerdem: “Fang mit dem Text an und passe die Bilder danach ein”, denn schon als kleines Kind konnte ich es nicht leiden, wenn der Text nicht passend neben dem Bild, sondern auf der Seite davor oder danach stand. 

Endlich ist es soweit: Der Juli beginnt, meine noch zu erledigenden Arbeiten sind erledigt und ich fahre offiziell für vier herrliche Ferienwochen nach Italien - oder Spanien. Während ich dort angeblich untätig am Strand liege, packe ich mir zu Hause meinen Laptop unter den Arm und wandere in die schottische Ecke meines Grillplatzes. Anstatt im Süden Europas, bin ich also ziemlich im Norden, aber dann doch in Wahrheit in der Mitte. Und als Krönung schreibe ich über Afrika. Eine unglaubliche Irreführung!

Mein Laptop könnte Gast in einer “Das waren die 90er”-Show sein. Er besticht durch sein klares Design, die überschaubaren Fähigkeiten und durch seine Speichermöglichkeit auf Diskette. Kein anderer unserer Computer hat noch ein Diskettenlaufwerk, so dass wir extra einen Adapter kaufen mussten, um die getippten Ergüsse überhaupt runterladen und weiterverwenden zu können. Aber es geht nichts über entspannte Tippstunden im Garten, und da hat mein Laptop alles, was ich brauche. Groß- und Kleinbuchstaben, Zeilenumbruch und sogar verschiedene Schriften. Jetzt fehlt mir nur noch der erste Satz. Der ist ganz wichtig bei einem Buch, denn er muss so interessant sein, dass der Leser unbedingt weiterlesen will. Außerdem muss er in die Geschichte und die Stimmung einführen.

“Es war so heiß.”  Wie wäre es damit? Fühlt man da nicht gleich den Schweiß auf der Stirn, ist müde und hat Durst? Ist das der entscheidende Anfang, oder sind es einfach nur vier Worte?

Wenn ich jetzt für jeden Satz so eine Überlegung beginne, wird das ein Projekt mit jahrelanger Laufzeit. Aber eigentlich kenne ich mich ja - wenn ich einmal angefangen habe, wird es eher schwer mich zu bremsen. Die größere Schwierigkeit wird sein, ein kurzes Kinderbuch zu schreiben und keinen vierbändigen Kinderroman.


Schaffe ich einen zweiten Satz?
Schreibe ich Postkarten aus Italien - oder Spanien?
Und was passiert sonst noch?



Woche 2 - 9. Juli 2006
Ich hab’s mir ja gleich gedacht: Es kann unspektakuläre Wochen geben. So wie diese. Ich sitze - nicht mal täglich - am Laptop und tippe. Es geht locker und leicht voran, die Giraffe hat ihre Punkte längst verloren und will sie wieder dran kriegen, und zwei Drittel der Geschichte sind fertig. Obwohl ich die Story im Prinzip ja im Kopf habe, werde ich von mir immer wieder mit Einzelheiten überrascht, die ich bis dahin nicht wusste und die plötzlich da sind und in die Tasten getippt werden. Irgendwas in meinem Kopf führt ein Eigenleben und nutzt mich einfach als tippendes Medium. Ich hoffe, dass ES auch die Tippfehler und die falsche Zeichensetzung selber verantwortet, aber vermutlich bleibt das mal wieder an mir hängen.

Bisher ist die Geschichte eine Seite lang. Diese erfreulich kleine und für ein Kinderbuch perfekte Menge liegt aber nur daran, weil man am Computerbildschirm nicht umblättern kann, sondern scrollen muss. Die Seite ist also ziemlich lang. Und sie wird noch länger, weil die Geschichte bis zum Ende geschrieben werden muss. Wie viele Seiten es wirklich sind, erfahre ich erst, wenn ich am Schluß das Getippte per Diskette an meinen “richtigen” Computer übergebe und ausdrucke.

Was mache ich eigentlich, wenn die Geschichte viel zu lang ist und ich sie nicht sinnvoll kürzen kann? Ein superdickes Kinderbuch kann ich schon in der Herstellung nicht bezahlen. Das kostet mich mit den ganzen Farbbildern dann pro Stück mindestens 30 Euro bei einer 1000er-Auflage. 1000 Bücher à 30 Euro sind 30.000 Euro Herstellungskosten. Wenn ich dann 100 verkauft bekomme, habe ich nur noch ein Minus von 27.000 Euro. *schluck* Wenn ich solche Summen sehe, muss ich ganz schnell an was anderes denken, um nicht sofort den Mut zu verlieren.

Vielleicht sollte ich das Buch dann lieber finanzierbar kapitelweise herausbringen “Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor - Band 1. Versäume nicht Band 2 bis 34!”, oder sogar als monatliche Zeitschrift. “Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor - jetzt als Abo jeden Monat frei ins Haus!” Bei der Flut von Bilderbüchern am Markt muss man kreativ sein, auffallen und ungewöhnliche Wege gehen, obwohl ich nicht glaube, dass gerade diese die richtigen wären.

Immerhin bin ich schon einen ungewöhnlichen Weg gegangen, indem ich mich nicht an die Regel des kurzen, einprägsamen Titels gehalten habe. “Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor” ist markttechnisch gesehen ein völliger Flop und wird als Überschrift nicht problemlos auf die Titelseite des Buches passen, aber es ist genau der Titel, den dieses Buch haben muss. Was für ein Glück, dass ich keinen Verlag habe, der mit einem knappen “Kommt gar nicht in Frage!” eine Titeländerung erzwingen könnte.  



Wieso ist es bei mir in Spanien am Strand so grün?
Sind Giraffen eigentlich Paarhufer?
Und was passiert sonst noch?




Woche 3 - 16. Juli 2006
Mein Laptop ist jetzt nicht nur museums-, sondern scheinbar auch schrottreif. Innerhalb weniger Minuten verweigert er plötzlich seine Mitarbeit beim ‘B’ und dann auch noch beim ‘N’. Dass seit der letzten Woche die rechte Shift-Taste nicht mehr reagiert und keine Großbuchstaben mehr schreibt, daran habe ich mich gewöhnt und immer schnell links gedrückt, aer ohe ud geht ix mehr! - “aber ohne b und n geht nix mehr!” heißt das und ich will nur mal schnell demonstrieren, wie unverständlich Sätze ohne Verwendung der beiden Buchstaben aussehen können.

Zum Glück ist nicht mehr viel an der Geschichte zu schreiben, und den Rest muss ich dann eben im Wohnzimmer am Computer tippen. Wie gut, dass ich keinen langen Erwachsenen-Roman schreibe! Für die letzten 800 Seiten bei schönem Sommerwetter nach drinnen zum Tippen zu gehen, fände ich nämlich blöde und würde lieber weiterhin draußen im Garten am Laptop bleiben wollen. Das hätte jetzt natürlich den Nachteil, dass der fertig getippte Roman ohne die Bs und Ns später vermutlich schwer zu lesen wäre. Allerdings wäre er, egal wie lang er würde, weil er keine Bilder hätte, im Schwarz-weiss-Druck trotzdem wesentlich preiswerter als jedes bunte Kinderbuch. Das lässt mich natürlich kurz ins Grübeln kommen, aber ich entscheide mich dann doch gegen den Roman. Wer weiß, welche Buchstaben am Laptop noch ausfallen. Mit nur noch drei funktionierenden Buchstaben lassen sich keine zwischenmenschlichen Beziehungen beschreiben. Zumindest nur wenige.

Als der erste Tippdurchgang der Geschichte fertig ist - für die noch fehlende Abschiedszeremonie lasse ich einfach mal eine Seite frei - und ich sie grob formatiere und ausdrucke, erhalte ich 12 Seiten in A4. Puh, ich hatte mehr befürchtet, weil ich am Laptop immer so ewig lang runterscrollen musste. Da habe ich mich für meine Verhältnisse ja fast schon kurz und knapp gehalten. Wenn ich die Seiten quer halte und zweispaltig nehme, also von einem handlichen A5 Format ausgehe, habe ich 24 Textseiten, die allerdings um mindestens ein Drittel mehr werden, wenn die Illustrationen dazu kommen. Von etwa 40 Seiten in A5 kann ich für die Kalkulation also ausgehen. Die Frage ist, ob ich lieber auf das größere A4 Format gehe, mehr Text auf jeder Seite unterbekomme und damit weniger Seiten brauche. Was kosten 20 A4-Seiten im Vergleich zu 40 A5-Seiten? Und kosten frei gewählte Zwischengrößen viel mehr, oder ist das egal? Und sind 10 Seiten mehr entscheidend teurer? Sollte ich also unbedingt den Text kürzen und nicht mehr Illus als unbedingt nötig verwenden, oder macht das auch nicht mehr viel aus?

Fragen über Fragen. Aber immerhin bin ich in einem Stadium, das konkrete Anfragen bei Druckereien und Copyshops erlaubt, weil ich endlich die ersten Angaben über den Umfang des Buches machen kann. Und die Anfragen sind jetzt auch dringend nötig, denn ehe ich mit der Aufteilung des Textes und den Illustrationen anfangen kann, muss ich mich für ein Format entscheiden. Ich kann nicht Din A5 zeichnen, nachher feststellen, dass A4 viel preiswerter wäre und alles umarbeiten. Die Illustrationen einfach zu vergrößern wäre ja vielleicht machbar, aber der Text sitzt dann in einer anderen Verteilung wohlmöglich nicht mehr genau bei den Bildern und das will ich nicht haben.

In den Zoo gehen und Giraffen angucken, muss ich auch noch. Eigentlich hatte ich mir gedacht, dass ich im Juli jeden Tag gemütlich unter dem Sonnenschirm im Garten sitze und illustriere, aber jetzt muss ich erst in Druckereien fahren, Preise einholen, Entscheidungen treffen und Giraffen angucken, ehe ich überhaupt den ersten Strich zeichnen kann. Wie blöde! Ich kann doch nicht nach dem Juli auch noch den ganzen August in Spanien verbringen. Oder in Italien. Das glaubt mir ja kein Mensch mehr. Besonders nicht, wenn ich ständig Zuhause ans Telefon gehe!

Das Manuskript lasse ich jetzt erstmal einige Tage unbesehen liegen und lese es dann wieder. Die meisten blöden Formulierungen und die ganz dämlichen Tippfehler fallen mir dann vermutlich sofort auf, aber den kompletten Text lasse ich lieber erst später von anderen Leuten gegenlesen. Also BEVOR ich einen Druckauftrag gebe, aber erst wenn die ersten Illus fertig sind und ich mich nicht durch die leiseste Kritik zum falschen Zeitpunkt sofort entmutigen lassen könnte. Wenn mir jemand sagt, dass die Geschichte Schrott ist und total umgearbeitet werden muss, gleichzeitig die Druckereien schwindelerregend hohe Kostenvoranschläge nennen und dann zufällig auch noch mein Lieblingspinsel haart, könnte mir das einen Schlag versetzen, der ein umfangreiches Motivations- und Aufbauseminar nötig macht. Das ist mir zu viel. Ich muss vorher einfach so motiviert sein und schon so tief in der Geschichte stecken, dass mich nichts umhaut, dass ich die Kritikpunkte aufgeschlossen ins Gehirn lasse und einfach gut gelaunt weiter mache. Vielleicht bekomme ich in den nächsten Wochen auch noch einen reichen Erbonkel, der mir die Sache finanziert, weil ich seine Lieblingsnichte bin? Ich kann echt total nett sein!


Was fressen Giraffen außer Akazien?
Wie sehen Akazien überhaupt aus?
Und was passiert sonst noch?


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