Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 7
- 13. August 2006
Na endlich. Nachdem ich auch telefonisch nicht an die zuständige Person bei einer Kölner Druckerei komme, schreibe ich erneut eine Mail und bekomme wenige Minuten später schon einen Rückruf und die Zusage, dass ein Farbmuster sofort rausgeht. Fast zeitgleich nehme ich Kontakt zu einer anderen Druckerei im Raum Koblenz auf, die auch sehr interessant wirkt. Dort werden viele Booklets für bekannte Künstler gedruckt, die sich sicher freuen würden, mich in ihrer Riege begrüßen zu dürfen. (Ich darf mich nicht zu bescheiden geben, sonst wirkt das so, als wäre ich eine Hausfrau, die am Küchentisch ein Kinderbuch macht. Solche Storys zählen erst, wenn das Buch ein Erfolg ist.) Eine weitere Druckerei in Süddeutschland hat einen supernetten Service und wirkt, als wäre sie preiswert und sehr gut. Meine Güte - es wird ernst. Ich muss mich für eine Druckerei und ein Format entscheiden. Auf jeden Fall scheint es nicht sehr viel im Preis auszumachen, ob ich DinA5, DinA4 oder eine freie Zwischengröße wähle. Das heißt, dass vom Hoch- bis zu Querformat wieder alles drin ist. Das mir angebotene Quadratformat von 21 x 20 cm kommt mir momentan am interessantesten vor. Wie gut, dass ich noch keine Zeichnung im Hochformat A5 angefangen habe!

Aber welche Druckerei? Nach Köln kann ich schnell mal fahren und Zwischenstände ansehen, bei Koblenz ginge das mit etwas mehr Mühe auch noch, bei der süddeutschen Druckerei bin ich ganz auf mein Vertrauen und das Internet angewiesen. Da ich sehr auf die Kosten achten muss, macht die Druckerei mit dem günstigsten Angebot natürlich sofort 100 Sonderpunkte, aber die Qualität ist auch wichtig. Flaue Illustrationen und nachlässige Bindungen will ich auch für wenig Geld nicht haben. Dann bezahle ich doch lieber etwas mehr. Aber ehe ich definitive Kostenvoranschläge bekomme, muss ich mich erstmal für ein Format entscheiden und genaue Angaben über Größe, Seitenanzahl und Auflagenhöhe machen, damit die definitiven Kostenvoranschläge überhaupt gemacht werden können. Ohje, bei all der Planungsarbeit komme ich ja nicht mehr ans Zeichnen! Ich glaub, ich muss eine Bürokraft einstellen.

Damit es voran geht, fahre ich mal eben 280 km und lasse mich in der mittelweiten Druckerei bei Koblenz über die Möglichkeiten beraten. Abgesehen davon, dass mir dort alles sehr nett und sehr gut erscheint, kommt eine wichtige Entscheidung heraus: Schnelle, preiswerte Katalogheftung kommt nicht in Frage, weil sie bei stärkerer Beanspruchung nicht hält. Ich stecke viel Zeit, Kreativität und Arbeit in mein Buch und das soll man auch in der Qualität der Bindung erkennen. Dann lieber teurere, dafür gute Exemplare haben, die auch noch an die Enkel vererbt werden können, als massenweise Billigprodukte auf den Markt werfen. “Wat nix kos is och nix” sagt man in Köln, (Was nichts kostet ist auch nichts), und so verlasse ich die Wühltisch- und Mitbringsel-Zone und begebe ich in die höherwertige Geschenke-Ecke. Jetzt bin ich mal gespannt auf den Kostenvoranschlag, der in der nächsten Woche kommen wird, und ob ich dann doch lieber wieder über die Hauptsache-gekauft-Variante nachdenke.

Damit die Käufer überhaupt wissen, was sie kaufen müssen, ist Werbung wichtig. Potentielle Kunden müssen neugierig gemacht, die Nachfrage muss gefördert werden. Am besten wären tägliche Clips im TV-Werbeprogramm. Eine Giraffe im Bild, der plötzlich die Punkte vom Leib rieseln und während sie dumm guckt, ertönt die Stimme aus dem Off: “Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor.” Dann ein schwarzer Bildschirm mit der gelben Schrift: “Nur noch 129 Tage....” oder je nachdem, wie lange es bis zur Buchveröffentlichung noch dauert. Eine ganze Nation würde sich täglich fragen, was der Mist soll, aber immer neugieriger werden. Mein Problem ist nur, dass ich mir einen Buchdruck garantiert nicht mehr leisten kann, wenn auch nur einmal der Clip gespielt wird. Tja, an solch einfachen Dingen scheitern unglaubliche Werbekampagnen. Aber vielleicht lasse ich wenigstens kurz vor der Veröffentlichung tausend Als-die-kleine-Giraffe- ihre-Punkte-verlor- Aufkleber drucken, die ich an Autos pappe, vor Konzerten heimlich an die Rücken der Besucher klebe und in die Brötchentüten von Bäckereien stecke. Und wer 50 Stück gefunden und gesammelt hat, bekommt ein Buch umsonst! Deutschland auf der Suche nach den Giraffenaufklebern. Bei den Suchmaschinen Google, Yahoo und Lycos kommt man übrigens schon auf meine Homepage, wenn man den Satz “Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor” eingibt. Wie klasse! Bisher gibt es für die meisten Menschen aber leider noch überhaupt keinen Anlass diesen Satz dort einzugeben.

Wow! Wenn das mit meiner Werbung so weiter geht, steigt die Nachfrage so gewaltig an, dass meine Druckerei mit dem Drucken der hohen Auflagen gar nicht mehr hinterher kommen wird. Habe ich dann eigentlich Zeit, um als Gast in abendliche Talkshows zu gehen? Vielleicht sollte ich jetzt endlich mal fertig planen, dann mit den Illustrationen anfangen und den Text einigen Leuten zum Probelesen und Korrigieren geben. Ich verkauf hier ja Italienreisen, ehe ich den Bus hab.

Hoch, quer oder quadratisch?
Finde ich die eine Druckerei, die am nettesten, am zuverlässigsten
und am preiswertesten ist?
Und was passiert sonst noch?



Woche 8 - 20. August 2006
Ich bekomme meinen Kostenvoranschlag, freue mich und schlucke gleichzeitig. Für das Geld kann ich mir ein Auto kaufen. Ein ziemlich kleines, ziemlich altes und ziemlich gebrauchtes, aber immerhin. Erstaunlich finde ich, dass die geplanten 250 Exemplare im Gesamtpreis nicht viel preiswerter als 350 Exemplare sind. Das bedeutet, dass der Einzelpreis des Buches stark sinkt, je mehr ich bestelle. Wenn ich jetzt 2000 Bücher drucken lasse, komme ich beim Stückpreis in der Herstellung bestimmt auf neun Euro runter! Allerdings bleiben dann vielleicht 1800 unverkaufte Bücher zum Einkaufspreis von 9 Euro in meinem Schrank stehen, was mich 16.200 Euro kosten würde. Für den Preis kriege ich dann schon ein ziemlich großes, ziemlich neues und nur wenig gebrauchtes Auto. Ein Blick in mein Portemonnaie lässt mich dann doch mit den Füßen auf dem Boden bleiben und in bescheideneren Dimensionen planen. Immerhin muss ich alles vorfinanzieren und damit auch das Risiko eingehen, dass ich am Ende auf unverkauften Büchern sitzen bleibe. Und nichts ist unerotischer, als eine Hausfrau, die Schulden hat und zwischen 1800 unverkauften Kinderbüchern sitzt. Andererseits könnte ich es dann als “bebilderte Literatur im Wert von 16.200 Euro” bezeichnen, was gleich viel besser klingt. So lange man nicht sieht, dass es sich um Giraffenbücher handelt.

Auf jeden Fall habe ich jetzt schon einige Eckdaten. Das Buch wird ordentlich gebunden sein, das Format 21 x 21 cm haben, 48 Seiten Geschichte mit vielen Illustrationen auf gutem 170g-Papier haben und pro Stück später wahrscheinlich mehr als 15, aber weniger als 20 Euro kosten. Und es wird für Kinder im Alter von etwa 4 bis 9 sein. Und ganz typisch für meine markttechnisch ungünstige Strategie: Es wird wohl nicht vor Weihnachten fertig sein, weil ich das mit den vielen Illustrationen zeitlich nicht schaffe. Und es hat keinen Verlag, keine ISBN-Nummer, ist nicht über Buchhandlungen zu bekommen - bin ich eigentlich wahnsinnig??

Bevor ich diese Frage ausreichend klären kann, bastel ich mir schon einen Prototypen des Buches in der richtigen Größe, verteile den Text auf den 48 Seiten und lasse dabei genug freien Platz für meine Illustrationen. Wundersamerweise komme ich gut hin, könnte sogar die Schrift noch um einen Punkt vergrößern oder ein paar Sätze mehr schreiben. Prima!

Außerdem erhalte ich telefonisch die erste Einladung zu einer abendlichen Talkshow, reagiere aber nicht angemessen, indem ich hörbar mit Zetteln raschel und “Dienstag Termin bei Harald Schmidt, Donnerstag dann Raab und nächste Woche Letterman - mal sehen, wann ich Sie noch dazwischen kriege...” murmele, sondern grinsend: “Und wer ist jetzt wirklich dran?” frage. Ich war auch schon mal schlagfertiger. Da muss ich wohl noch üben, um Freunde, die mich mit verstellter Stimme reinlegen wollen, meinerseits zu verblüffen. Naja, mit der verkauften Millionenauflage wird diese Selbstsicherheit schon kommen.


Was ist, wenn Beckmann anruft und ich ihn mit meinen
vorgeschobenen Terminen abwimmel?
Fange ich jetzt mal endlich mit den Illustrationen an?
Und was passiert sonst noch?



Woche 9 - 27. August 2006
Es passiert nichts. Die Woche läuft völlig ohne Giraffe ab. Keine Skizzen, keine Illustrationen, keine Punkte, nicht mal eine Talkshow-Einladung. Wenn ich bei diesem Tempo bleibe, sehe ich schwarz, beziehungsweise nichts. Immerhin gucke ich mir beim Aufräumen nebenbei eine Zoo-Doku im Fernsehen an und achte dabei auf die Nasen der Affen im Profil und ihren Beinansatz. Diese Beobachtung wird mir vielleicht noch wertvoll sein, wenn ich irgendwann mal tatsächlich mit den Illustrationen beginne.

Beruhigenderweise habe ich nicht die Lust am Projekt verloren, sondern in dieser Woche einfach nur viele andere Arbeiten und Termine. Ich überlege aber schon ernsthaft, ob ich Struktur in die Arbeit am Kinderbuch bringen soll, indem ich mir grundsätzlich zwei Stunden am Tag für die Giraffe vorbehalte. Andere gehen ins Büro, ich setz mich dann hin und zeichne. Toll, da wird mein freies Leben demnächst beamtisch verwaltet und ich kann zwischen 9 und 11 Uhr nicht mehr einkaufen fahren oder telefonieren, weil da “Giraffenzeit” ist. Von 13 bis 14 Uhr ist dann Koch- und Essenszeit und von 15 bis 17 Uhr Filmschneidezeit. 14:15 bis 14:25 Wäsche falten, 11:02 bis 11:05 Ecken kehren, 17:30 bis 17:32 Bleistifte spitzen. “Tut mir leid, da kann ich nicht, da muss ich meine Bleistifte spitzen!”

Soll ich mir eine Stechuhr besorgen, um kontrollieren zu können, ob ich wirklich täglich zwei Stunden arbeite oder sogar mal Überstunden mache? Was ist, wenn ich krank bin? Brauche ich dann ein ärztliches Attest oder glaube ich mir das? Ach, ich denke, ich muss einfach von der Einstellung weg, dass das Kinderbuch mein privates Hobby ist und viele andere Sachen wichtiger sind. Wenn ich von jemandem die Aufgabe bekommen hätte, ein Giraffenbuch zu machen, würde ich mir völlig selbstverständlich die Zeit nehmen, den Auftrag möglichst schnell zu erfüllen. Es gibt keinen Grund, dass ich das bei mir selber anders mache.

Dann gebe ich mir also den Auftrag: “Mach doch bitte ein hübsches Kinderbuch über eine Giraffe. Endtermin offen, aber möglichst bald. Hetz dabei nicht, die Illus sollen gut werden!” “Ja, OK.” “Schön, ich freu mich.” “Ich mich auch!”
(Manchmal habe ich das Gefühl, wir wirken wie eine gespaltene Persönlichkeit.)


Ist ein fester Zeitplan bei kreativer Arbeit wirklich sinnvoll?
Gibt es in zwei Jahren noch Leser dieses Berichtes, wenn ich bis dahin immer noch keine einzige Illustration gemacht habe? 
Und was passiert sonst noch?



Weiter zur nächsten Seite

An den Anfang
Zu Woche 1-3
Zu Woche 4-6
Woche 7-9
Zu Woche 10-12
Zu Woche 13-15
Zu Woche 16-18
Zu Woche 19-21
Zu Woche 22-24
Zu Woche 25-27
Zu Woche 28-30
Zu Woche 31-33
Zu Woche 34-36
Zu Woche 37-39
Zu Woche 40-42
Zu Woche 43-45
Zu Woche 46-48
Zu Woche 49-51
Zu Woche 52-54
Zu Woche 55-57
Zu Woche 58-60
Zu Woche 61-63
Zu Woche 64-66
Zu Woche 67-69
Zu Woche 70-72
Zu Woche 73-75
Ende Woche 76