Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 61
- 16.September 2007
Woche 61. Das ist eine ziemlich hohe Zahl, finde ich. Einundsechzig Wochen Arbeit an einem mittelgroßen Kinderbuch? Es liegt natürlich daran, dass ich das Buch “nebenbei” mache und auch mit vielen anderen Dingen beschäftigt bin. Meine Zukunftssaussichten als Illustratorin sehen allerdings düster aus, wenn potentielle Auftraggeber diese monatelange Arbeit für mein normales Arbeitstempo halten. Aber ich bin ja gar nicht so scharf auf Auftraggeber, da ich mit meiner eigenen Verlegerin im Regelfall gut klar komme. Momentan läuft sie aber mit einem etwas vorwurfsvollen Gesicht herum, wenn ich in ihrer Nähe bin, und nörgelt, dass die Illustrationen schon längst fertig und eingescannt sein könnten. Außerdem hätte ich schon mehr an der Hör-CD tun müssen. Sie hat ja recht. Ich stimme ihr in allen Punkten voll zu.

Manchmal murmel ich dann entschuldigend etwas von “wichtigen Sachen”, die mich in den letzten Wochen aufgehalten und auf Kurzreisen geführt haben, aber sie kontert dann: “Warum hast du immer Zeit, um für andere zu arbeiten, aber nicht für dich?” und wirft hinterher: “Und war es wirklich so wichtig?” Ja, war es. Und schön außerdem. Aber jetzt ist Zeit, das Giraffenbuch wieder in den Vordergrund zu rücken und fertig zu machen. Aus diesem Grunde stelle ich einen Arbeitstisch ins Wohnzimmer, der nur für die Giraffe reserviert ist.
Er nimmt viel Platz weg und beim energiegeladenen Aufstehen vom Computer rempel ich jetzt jedesmal überrascht dagegen, aber er ist auch eine ständige Mahnung. Nicht zuletzt wegen der vielen blauen Flecken, die er mir beschert.

Das Affenbaby ist leider krank und muss den Ton-Aufnahmetermin verschieben. Da ist es doch ein Glück, dass mein Arbeitstempo langsam ist, ich jetzt nicht kurz vor dem Abgabetermin stehe und vor dem Krankenbett mit Kamillentee und Zwieback ungeduldig hin und her zappel. Ich kann geduldig abwarten, bis es wieder gesund und munter ist und die Stimmbänder nicht mehr krächzen und röcheln. Stattdessen nehme ich die Libellen auf, die in einer plötzlichen Eingebung als letzte mögliche Rolle vergeben wurden. Wie klingen fliegende Libellen? Summend, sirrend, flatternd oder doch wie kleine, knatternde Hubschrauber? Woran erkennt man Libellen, wenn man sie nicht sieht? Mit zu viel hohem “ssss” sind es Mücken, mit zu viel tiefem “rrrrrr” dicke Hummeln. Nach einigen Versuchen summt die Libelle vibrierende, fast singende Töne in das Mikrofon, die sehr märchenhaft klingen. Ich bin gespannt, wie die später beim Mix mit leisem Wasserplätschern und quakenden Fröschen klingen. Wahrscheinlich total schön.

Das Titelbild steht jetzt auch fest. Eine einsame, kleine Giraffe mit viel Landschaft drumherum. Sie sieht einen mit leicht verwundertem Blick an und man erwartet fast, dass plötzlich ihre Punkte runterfallen. Das wirft natürlich Fragen auf, die später nur beim Lesen zu beantworten sind. Leider wird aus dem Titelbild nicht klar, dass ziemlich viele andere Tiere in der Geschichte vorkommen, die wiederum die Hör-CD mit ziemlich vielen Stimmen vollsprechen, aber die Giraffe ganz alleine im Bild, das passt in der Aussage schon.

Während das Titelbild bunter wird, wird es mir ganz komisch zumute. Auf einmal weiß ich, wie das Buch ungefähr aussehen wird. Bis letzte Woche hatte ja selbst ich keine Vorstellung davon. Und dass da: “Text und Illustrationen von Anette Dewitz” drauf steht, ist irgendwie unglaublich. Es ist ja nicht so, dass ich zum ersten Mal etwas präsentiere, auf dem mein Name steht, aber dass hier endlich ein lang gewünschter Traum erfüllt wird, mein eigenes Kinderbuch, ist schon ganz besonders toll.

Zum Glück wird meine Verlegerin nie zustimmen, dass die Reste der Auflage im nächsten Jahr auf Wühltischen verramscht werden. Es werden Exklusiv-Ausgaben bleiben, die lieber exklusiv im Keller gelagert werden und dort exklusiv zustauben. “Die erste Auflage ist komplett weg”, kann ich dann lässig verkünden und verschweige einfach, dass ich sie nur in den Keller geschleppt habe.

Wieviel Platz brauch ich eigentlich im Keller, wenn ein Buch etwa 1 cm dick ist und ich jeweils 100 übereinander stapel?
Kann ich behaupten, dass ich 250 Bücher für meine Ur-Enkel einlagern will?
Und was passiert sonst noch?



Woche 62 - 23.September 2007
Tätääää. Das Titelbild ist fertig und die Giraffe fängt an sich zu freuen, denn sie weiß, dass sie ihr Abenteuer bald überstanden hat. Bald steckt sie für immer und ewig fertig gedruckt in Büchern. Das “für immer und ewig” lässt mich die Illustrationen besonders kritisch ansehen und am liebsten würde ich die Hälfte von ihnen nochmal ganz neu anfangen. Da stört mich das, dort jenes und immer denke ich: “Hätte ich das nicht noch besser machen können?” Vermutlich schon, aber es soll ja nicht mein Lebenswerk werden, an dem ich bis kurz vor dem 90. Geburtstag herumpinsel, um die Idealfassung zu bekommen. Das Buch stellt eben den jetzigen Stand meiner Fähigkeiten dar. Damit lasse ich mir ja auch Steigerungsmöglichkeiten für ein eventuell nächstes Buch offen. Das ist sehr geschickt, finde ich.

Das Überarbeiten der Bilder dauert recht lange und erstaunlicherweise finde ich immer noch Stellen, die ich übersehen habe. Wieso sind da die Blumen noch gar nicht bunt? Warum hat der linke Affe keinen Schatten? Und sollte der dicke blaue Punkt nicht ursprünglich ein Käfer mit Beinen werden??

Dreiundfünfzig Illustrationen sind es geworden, und auch wenn einige sehr klein sind, ist auf anderen umso mehr Kleinkramgewimmel drauf. Aufmerksame Mathematiker werden schnell ausrechnen können, dass 53 Illustrationen, verteilt auf 48 Seiten bedeutet: Es gibt viele Bilder. Das hätten allerdings auch Leute erkennen können, die keine Mathematiker sind. Richtige Mathematiker wären sowieso ganz genau auf 1,104 Bilder pro Seite gekommen, aber ich zerschnippel doch keine Illus, nur damit der Schnitt stimmt!

Um mal wieder Zeit, die ich nicht habe, zu verplempern, bastel ich mir mit dem Titelmotiv eine kleine Primitiv-Animation und setze sie auf die Homepage. Obwohl die Giraffe ihre Punkte dort sehr ungewöhnlich verliert, indem sie einfach plötzlich weg sind, gibt die Szene trotzdem ganz gut die Stimmung der Geschichte wider. Genau so ein Typ ist die kleine Giraffe. Still, ein wenig allein und sehr sanft.

Schon wieder arbeite ich “nebenbei” an einem anderen Projekt, das in dieser Woche parallel läuft. Vormittags schwinge ich große Pinsel an über zwei Meter hohen und sehr breiten Kulissenwänden für ein Weihnachts-Theaterstück, nachmittags strichel ich feine Schattenlinien an den Giraffenbildern. Vor allem der tägliche Klimawechsel von großen Eiszapfen und verschneiten Tannen hin zu kleinem tropischen Urwaldklima macht mir Sorgen. Kann man davon Jetlag kriegen? Dass ich in dieser Woche an zwei Abenden auch noch in eine Rainald-Grebe-Vorstellung gehe, sieht nur auf den ersten Blick nach Extra-Anstrengung aus. In Wahrheit kriege ich da so viel Energie, dass es in der nächsten Woche mit doppeltem Schwung weitergehen wird. Hab ich schonmal erwähnt, dass ich Rainald Grebe klasse finde?

Werden die morgen beginnenden Herbstferien die Restarbeiten tempomäßig voranbringen?
Sollte ich nicht endlich mal die Erzählstimme für die Hör-CD einlesen?
Und was passiert sonst noch?



Woche 63 - 30.September 2007
Meine Güte - der 30. September! Das ist der Termin, an dem ich eigentlich mit meinem Kinderbuch fertig sein wollte. Wird wohl bis heute nachmittag nicht klappen. Momentan ist es aber auch total blöd. Die Illus sind so gut wie fertig, der Scanner läuft und der Text ist fertig. Trotzdem geht es nicht richtig weiter. Ehe ich jetzt nämlich alle Illus einscannen und ein letztes Mal am Computer bearbeiten kann, muss ich wissen, ob meine Druckerei die Illus auch öffnen und in schönen Farben drucken kann. Also scanne ich zunächst nur zwei Illustrationen in den Werten, die ich für richtig halte, ein, setze sie mit dem passenden Text ins Layout und schicke die Daten zur Druckerei. Erst wenn die alles problemlos öffnen können und der Probedruck gut ausfällt, kann ich mit voller Energie loslegen. Aber vielleicht brauchen die dort weniger Kontrast in den Illus, oder mehr Farbe, so dass es völlig blödsinnig wäre, jetzt schon alle Illus einzuscannen. Vielleicht kommen sie nicht mal mit meinem Layout zurecht und ich muss alles in einem anderen Programm oder an einem anderen Computer neu machen. Oder ich habe 48 volle Seiten und erfahre dann erst, dass zwei davon unbedingt weiß bleiben müssen. Argh! Es kann noch so viel schief gehen.

Am Rechner sehen winzige Details aus den Randbereichen der Bilder bei der starken Vergrößerung plötzlich wie Hauptmotive aus und kommen mir ganz unbekannt vor. Fasziniert starre ich auf meine eigenen Bilder. Erstaunlicherweise sehen sie so groß gar nicht sehr krakelig, sondern richtig gut aus. Hätte ich vielleicht das komplette Buch auf 3 x 3 cm Miniaturblätter zeichnen und anschließend einfach hochvergrößern sollen?

Der Text kommt professionell korrigiert von der Korrekturleserin zurück und ich blätter aufmerksam durch die Seiten. Ach, so viele Kommas braucht man? Und was ist der Unterschied zwischen “herunter” und “hinunter”? Das “herunter” hat sie mir nämlich mehrfach durchgestrichen und ein “hinunter” daneben gekritzelt. Nicht, dass ich diese Korrektur irgendwie anzweifeln würde, im Gegenteil, ich bin total interessiert, warum das so ist. Es gibt vermutlich einige Wörter, die ich einfach im Sprachgebrauch habe, ohne ganz genau über ihre Bedeutung nachzudenken. Beim Blick auf die Korrekturzeichen bin ich total gut gelaunt und finde alles spannend. Ein richtiges Manuskript muss unbedingt mit hakeligen Korrekturzeichen aus dem Lektorat kommen, damit es richtig echt aussieht! Zum Glück hat meine Lektorin nicht seitenweise durchgestrichen und daneben “Dringend überdenken!” oder “So nicht!” gekritzelt. Hätte sie vielleicht gerne gemacht, war aber nicht ihre Aufgabe. Es steht auch nicht mit roter Tinte eine Beurteilung darunter, wie z.B.: “Anette, du hast dir viel Mühe gegeben und eine ausufernde Phantasie, solltest aber mehr auf Inhalt, Grammatik, Zeichensetzung, Logik und den Gebrauch von “hinunter” und “herunter” achten! Beim nächsten Mal unbedingt kürzer halten!”

Kaum habe ich alle Korrekturen sorgfältig übertragen und ein sauberes Manuskript vor mir liegen, greife ich zu Buntstiften und fertige ein Hör-Manuskript an, das erneut viele Streichungen und bunte Striche bekommt. In der Hörfassung fallen nämlich überflüssige Teile weg. “Die Giraffe sagte ...” ist überflüssig, wenn man sie sowieso sprechen hört. Aber ob das dann alles so klappt, mit den gestrichenen Stellen, wie ich es mir als Hörbuch-Macher-Anfängerin vorstelle, ist noch fraglich. Auf jeden Fall sieht das Hör-Manuskript mit seinen vielen bunten Strichen super professionell aus. Ich weiß nur nicht, ob ich den Profi-Anschein aufrecht halten kann, wenn mich demnächst jemand kopfüber in der Regentonne gurgeln sieht, wo ich das Untertauchen des Krokodiles tonmäßig aufnehmen muss. Aber egal, für ein gutes Ergebnis muss man sich schonmal zum Affen machen.

Muss ich für ein richtiges Krokodilgeräusch eigentlich mit Mikrofon in die Regentonne tauchen?
Kann ich aus sehr stark vergrößerten Winzig-Illus schöne Fototapeten machen lassen?
Und was passiert sonst noch?


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